Kaiserslautern Fritz J. Raddatz: Literaturkritiker tot

Er galt als einer der streitbarsten, durchaus aber auch umstrittensten Kulturjournalisten Deutschlands: Fritz J. Raddatz ist gestern im Alter von 83 Jahren gestorben.

Raddatz war so etwas wie der Oscar Wilde des deutschen Literaturbetriebs. Ein Dandy des Feuilletons, Stilist durchaus nicht nur in seiner Sprache, die häufig genug als spitze Waffe eingesetzt wurde, nie als plumpe Keule. Er besaß, wie man in seinen 2014 erschienenen „Tagebüchern 2002 - 2012“ nachlesen kann, einen Sektquirl, den er mit sich trug. Eine Gerätschaft aus einer anderen Epoche, die wie der Publizist, Kritiker, Professor, Journalist nicht mehr so recht in unsere Zeit passen wollte. Man hatte damit einst dem Champagner die Kohlensäure entzogen, was einer Geschmacksverirrung gleichkommt, die man Raddatz nun wirklich nicht zugetraut hätte. Geboren wurde er 1931 in Berlin. Nach der Schule studierte er unter anderem Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität in Ostberlin. Später siedelte Raddatz in den Westen über, war stellvertretender Leiter des Rowohlt-Verlags und schließlich von 1977 bis 1985 Feuilleton-Chef der „Zeit“. Sein Abgang bei der Wochenzeitung ist legendär. In einem Leitartikel zur Frankfurter Buchmesse 1985 lässt er den Dichterfürsten Goethe über den Frankfurter Bahnhof räsonieren, weil er einer Glosse der „Neuen Züricher Zeitung“ aufgesessen war. Selbstredend gab es zu Goethes Lebzeiten noch keinen Bahnhof, weil die erste Eisenbahn erst 1835 fuhr, Goethe jedoch 1832 starb. Das deutsche Feuilleton rieb sich die Hände, schenkelklopfend machte man sich über Raddatz ebenso lustig wie über die „Zeit“. Raddatz war seinen Ressortleiter-Posten los. Eine Entlassung, die er als „beruflichen Herzinfarkt“ bezeichnete. Er hat mehr als 25 Bücher veröffentlicht, Romane wie „Die Abtreibung“, aber auch seine Autobiographie mit dem Titel „Unruhestifter“. Er hat Biographien von Heinrich Heine und Gottfried Benn geschrieben, war Herausgeber der Werke Tucholskys. Vor allem aber war er ein genialer Darsteller seiner selbst. (pom/Foto: dpa)

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