Kaiserslautern Erregte Gemüter

„Modern Times“ lautet das Motto des fünfteiligen Sommer-Musikfestes der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Mit der Vorstellung des Programms Nummer fünf begab sich das Orchester am Freitagabend zur Eröffnung der Kaiserslauterer Konzertsaison in schonungsloser Weise in das aufregende Spannungsfeld zwischen alter und neuer Musik.

Was unter dem Titel „Inschrift“ in der spärlich besuchten Fruchthalle geboten wurde, war außergewöhnlich. Überraschte Gesichter: Bereits nach zehn Minuten Musik wird das Publikum in die Pause gebeten. Große Umbaumaßnahmen des Orchesterapparats seien nun erforderlich, entschuldigt sich Dirigent Karl-Heinz Steffens. In der Tat bot der Auftakt mit Wolfgang Rihms 1995 als Auftragswerk für den Markusdom komponiertes Orchesterstück „In-Schrift I“ einen ungewohnten Anblick: Vorne die Bläser, hinten die Streicher, genauer gesagt die Celli und Kontrabässe. Geigen? Fehlanzeige. Das Ganze hatte naturgemäß einen völlig abgedunkelten Klang zur Folge. Wer erzeugt die tiefsten Töne? Kontrafagott, Posaunen und Kontrabässe traten in den Wettbewerb. Das Kontrafagott gewann. Ganz hinten glich das artistische Bemühen der Perkussionsinstrumente einem Kampf um Leben und Tod. Als Klangskulpteur begibt sich Rihm auf die Spuren von Michelangelo und auf Giovanni Gabrieli, jenem Renaissance-Komponisten, der im Markusdom mit seiner Technik der venezianischen Mehrchörigkeit Musikgeschichte geschrieben hat. Aus den anfänglichen Glockentönen meißelte, besser kratzte die Staatsphilharmonie aufregende Klangskulpturen heraus; dazwischen die für Rihm typischen Renaissance-Zitate, die einen Ausflug in das gute alte Dur-Moll-System ermöglichen.Auf zu neuen Ufern: Moderne Zeiten suchte und fand die Staatsphilharmonie nach dem Orchesterumbau in der brutal anmutenden Konfrontation der Deutschen Messe D 872 von Schubert mit frühen Werken von Anton Webern. Zunächst erfreute man sich an der lieblich-naiven Darstellung des Schubert’schen Eingangsatzes durch den mit strahlkräftig-frischen jungen Stimmen aufwartenden Domkammerchor Mainz (Leitung: Domkapellmeister Karsten Storck), um gleich danach ins kalte Fahrwasser früher Zwölfton-Experimente geworfen zu werden. Die Werke beider Komponisten wurden zeit ihres Lebens kaum aufgeführt. Beide wollen im Prinzip nur die Wahrheit darstellen: Der eine sucht sie in der Abstraktion, der andere in der romantischen Schlichtheit. Letztere lotete der Domchor Mainz in Begleitung des Bläserensembles der Staatsphilharmonie mit emotionaler Tiefe aus, präsentierte statt einer katholischen Messe eher einen Liederzyklus in der Art der „Winterreise“. Die Messteile wurden in abwechselnder Folge von Weberns „Sechs Bagatellen für Streichquartett“, den „Fünf Stücken für kleines Orchester“ und den Variationen für Orchester zu Gehör gebracht – ein gewagtes Experiment, das wegen der extremen Kontraste für sehr viel Nervenkitzel sorgt. So zählen die 84 Jahre nach Schuberts Deutscher Messe komponierten Bagatellen von Webern zu den ganz frühen, jeweils nur ein paar Sekunden dauernden atonalen Versuchen. Für die maximale Lautstärke entschieden sich die Mitglieder der Staatsphilharmonie für das Pianissimo, das zusammen mit den ausgeklügelten, eher Geräusche als Klänge verursachenden Spieltechniken ein geradezu gespenstisches Hörerlebnis zur Folge hatte. Zur vollen Orchestergröße baut sich die Staatsphilharmonie schließlich mit den Variationen für Orchester auf, bevor mit dem Schubert’schen Schlussgesang die erregten Gemüter wieder ihren Frieden fanden.

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