Kaiserslautern Entdecker, Erzähler, Enthusiast

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Er war ein Begeisterter: für Musik, Literatur und Politik; ein Mit-Menschen-Redender und Über-Menschen-Redender. Deshalb auch ein aufmerksamer Zuhörer. Am Sonntag ist der Autor und Moderator Roger Willemsen 60-jährig gestorben.

Er konnte nerven. Oh ja! Wenn er mit seiner leicht arroganten Stimme, rheinisch im Abgang, immer enthusiastisch, fremdwortgespickt, Bandwurmsätze auf seine Zuhörer niederprasseln ließ. Wann atmete dieser Mann eigentlich beim Sprechen? Doch selten wurden wir so gerne genervt. Weil man bei ihm immer auch lernen konnte. Suchen mussten die Menschen Roger Willemsen nirgendwo. Der tauchte einfach auf. Überall. Geistig mittendrin, begeistert, begeisternd. „Ich bin schnell entflammbar“, hat er einmal in einem Interview gesagt. Wir hier in der Redaktion – eine kleine Umfrage durch alle Altersgruppen – kennen ihn aus Fernsehsendungen, haben seine Gedanken in Büchern gelesen, erinnern uns an Begegnungen auf der Buchmesse, an kurze aber anregende Gespräche, sahen ihn in Konzertsälen. Wer sich etwa auf den roten Sitzen im großen NDR-Sendesaal niederließ, in Hannover, sonntagmorgenverschlafen, bei der Konzertmatinee des Norddeutschen Rundfunks, konnte hören, wie Willemsen etwas über eine Bruckner-Sinfonie erzählte. Oder erklärte, warum Mozarts Sinfonie Nr. 40 nicht nur ein Ohrwurm, sondern eigentlich tieftraurig ist. Eine neue Sichtweise. Dabei ist er eigentlich gar kein Musiker oder Musikwissenschaftler. Er studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Aber er liebte die Musik – Klassik wie Jazz – und wollte andere Menschen mit seinem Brennen anstecken. Die Begeisterung für ... nun, für irgendwie alles, war überzeugend. Er war Intellektueller und Akribiker. 1955 in Bonn als Sohn zweier Kunstexperten geboren, wurde er vor allem als Moderator und Mann für Interviews bekannt. Zuerst mit seinem Magazin „0137“ beim Bezahlsender Premiere. Dann im ZDF mit „Willemsens Musikszene“, später moderierte er den „Literaturclub“. In der Welt war er unterwegs. Dort wollte er Menschen treffen, erspüren, was sie bewegt. Willemsen engagierte sich nicht nur wohltätig, sondern auch dadurch, dass er Menschen zu Hause wissen ließ. Etwa, was in Afghanistan passierte. 2006 erschien sein Buch „Afghanische Reise“. Auch mit Guantanamo-Häftlingen hat er gesprochen. Der Rhein-Neckar Region, namentlich Mannheim, war er vor allem durch sein Engagement beim Literaturfestival „lesen.hören“ verbunden. Mitarbeiter der Alten Feuerwache haben nun – traurig – nachgerechnet: insgesamt 37 Auftritte in der Location am Neckar in 13 Jahren, 19 davon bei „lesen.hören.“ 2014 ist sein, wie wir nun wissen, letztes Buch erschienen. Für „Das Hohe Haus“ hatte sich Willemsen ein Jahr lang Bundestagssitzungen in Berlin angehört. Angetan! Alle. Das Ergebnis ist ein Einblick in den Politbetrieb. Einen Betrieb, der so wichtig wie auch manchmal lächerlich ist. Willemsen hatte stets ein Auge für die kleine Absurdität im Alltag. Spaßvogel war er auch, der Mann mit der auffälligen Brille, dem grauen Wuschelkopf und dem Sakko. Intellektuell per Erscheinungsbild und gleichzeitig fähig dazu, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu erzählen, dass Männer auf öffentlichen Toiletten zum Seufzen neigen. Im August 2015 war Willemsen zu Gast in der rbb-Talkshow „Thadeusz“. Wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag. Wenige Tage, bevor er von seiner Krebserkankung erfuhr. „Ich liebe an der Liebe ihr produktives Element“, sagte er dort. Auch, dass er in Beziehungen nie über eine bestimmte „Sollbruchstelle“ hinausgekommen sei. Willemsen war unverheiratet, lebte ein Leben für den Enthusiasmus. Am Sonntagabend ist Roger Willemsen im Alter von 60 Jahren in seinem Haus nahe Hamburg gestorben. Viele Menschen trauern jetzt. Auch in den sozialen Netzwerken. Auf Facebook schreibt eine Nutzerin aus der Hansestadt: „Willemsen war wohl die einzige in der Öffentlichkeit sprechende Person, die nach einem dreiminütigen Satz am Ende niemals ein einziges falsches Hilfsverb gesetzt hat.“ Danke – auch dafür.

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