Kaiserslautern Eine Stadt ist Dada

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Pirmasens hat ein Erbe, die Schweiz, die ganze Welt. Genau vor 100 Jahren, am 5. Februar 1916, ging in Zürich das Cabaret Voltaire an den Start. Eine Künstlerkneipe des Pirmasensers Hugo Ball, von Emmy Hennings und Tristan Tzara. Die Geburtsstunde von Dada, eine Detonation. Die Antikunst gilt als wichtigste Kunst-Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Jubel herrscht jetzt zum Jubiläum in Zürich. Und Ball thront in den Ausstellungen als Dada-Intellektueller über allem. In seiner Heimatstadt Pirmasens wird er nicht ganz so groß gefeiert.

Wer die Hugo-Ball-Sammlung in Pirmasens aufsucht, muss in der Stadtbücherei herumlaufen, das ist die einzige Rettung. Ein originelles Gebäude. Gefühlt sieht es darin so aus, wie früher auch. Vorbei geht es an der Theke, Regalen. In ein, ja, eher muffiges kleines Hinterzimmer. Von der Decke zum Türstock zieht sich – lalala – ein Spinnennetz. Ein guter alter Schreibtisch, womöglich aus der Zeit, als der damalige Stadtbüchereileiter Ernst Teubner die Hugo-Ball-Sammlung gegründet hat, 1970. Zwei Bürostühle. Ein hoher Tresorschrank. Voilá, das ist sie. Fast 6000 Exponate mit Bezug zum einzig weltberühmten Stadtsohn in einem Raum, der deprimiert. Kein Wunder, dass Balls Erben den Nachlass lieber im Schweizer Literaturarchiv in Bern aufbewahren. Akkurat, aber dicht gedrängt, stehen, liegen, stapeln sich in Pirmasens die Texte von und über Hugo Ball und seine Frau Emmy Hennings, über das Züricher Cabaret Voltaire. Autographen, Fotos, Ton- und Filmträger, Kunst. Die Totenmaske Balls liegt in einem Postpaket im Tresor. Eckhard Faul, der Pirmasenser Ball-Kenner, die Dada-Koryphäe, der Sammlungs-Chef, der sich Betreuer nennen darf, hat an seinem Arbeitsplatz weder Computer noch Telefon. Geschweige denn, dass auch nur ein Exponat digitalisiert vorliegt. Die Homepage der Ball-Sammlung ist in den städtischen Internetseiten unter „Verwaltung/Ämter“ versteckt. Faul ist, finanziert von der privaten Rheinberger Stiftung, bei der Hugo-Ball-Gesellschaft beschäftigt. Nicht mehr wie früher bei der Stadt. Gleichwohl, Oberbürgermeister Bernhard Matheis (CDU) hat als zweiter Vorsitzender der Ball-Gesellschaft und mit seinem Gewicht bei der Rheinberger Stiftung immer noch starken Einfluss auf seinen Nichtmitarbeiter. Gern erklärt Jurist Matheis, im Schattenkabinett von CDU-Ministerpräsidentschaftskandidatin Julia Klöckner Chef der Staatskanzlei und für die Kunst und Kultur zuständig, alles, was mit Ball zu tun hat, zur obersten OB-Sache. Aber eher die repräsentativen Angelegenheiten. Die schicke Hugo-Ball-Preis-Verleihung etwa. Sie findet alle drei Jahre statt. Immer dann, wenn sich ausnahmsweise die überregionale Literaturschickeria in Bärmesens sehen lässt. Die Arbeit mit der Ball-Sammlung dagegen hat Eckhard Faul allein. Die beinahe tagtäglichen Telefonate muss er von seinem Privattelefon aus erledigen. Er ist Inhaber einer halben Stelle. Der 1959 geborene Dr. phil. hat wieder nur einen Zeitvertrag erhalten, der Ende des Jahres ausläuft. Im Gegensatz dazu wird seine Sachkenntnis ohne Ende nachgefragt. Heute Abend zum Beispiel wieder, beim „Fest des Irrsinns“ in der schönen, Millionen Euro teuren neuen Alten Post. In das konzeptionell nach wie vor etwas undeutlich bespielte Pirmasenser Renommierhaus ist längst die Heinrich-Bürkel-Galerie eingezogen, gewidmet einem – mit Verlaub – eher zweitrangigen Maler des Biedermeier. Von Hugo Ball, dem beispielsweise die internationale Performancekunst immer noch nacheifert, findet sich dort kaum eine Spur. Der Auftakt der groß angekündigten Pirmasenser Jubiläumsfeiern zum 100. Geburtstag des von ihm gegründeten Dadaismus aber wird schon hier abgehalten. Vor fünf Jahren schrieb Eckhard Faul wohl nicht ohne Grund in einem Buch-Aufsatz, es sei geplant, dass die Ball-Sammlung 2012 in der Alten Post größere Räume „beziehen und dann im Rahmen eines Hugo-Ball-Kabinetts auch eine Ausstellung zu Leben und Werk des Schriftstellers zeigen können“ werde. Vorschläge einer Projektgruppe der Karlsruher Hochschule für Gestaltung für die neue Präsentation der Sammlung in der Alten Post gab es damals auch schon. Allerdings scheiterten die wohl im Wirrwarr mit einem Kulturamtsleiter, den OB Matheis inzwischen schon wieder mehr oder weniger geschasst hat. Dass die Ball-Sammlung jemals in die Alte Post zieht, ist mittlerweile geradezu illusorisch. Gedacht wird jetzt an einen Standort in einem ehemaligen Kaufhaus. Beim „Fest des Irrsinns“ heute Abend soll Eckhard Faul über Nonsens-Lyrik und die – witzig – Ironie im Dadaismus sprechen. Die Pirmasenser Kinderkantorei und Chorklassen des Kant-Gymnasiums tragen bei der Veranstaltung Texte Balls, vertont von Peter Schindler, vor. Schüler des Ball-Gymnasiums tanzen und singen eine Geburtstagsrevue von Peter Renner. Pirmasens ist nicht Zürich, schon klar. Allein heute werden dort zwei großartige Ausstellungen eröffnet. „Dadaglobe“ im Kunsthaus Zürich, eine Schau, in der sechs Jahre wissenschaftliche Arbeit stecken, und die später ins MoMa nach New York weiterwandert. In der als visuell-akustischer Taumel inszenierten Dada-Schau im Landesmuseum ist Ball so etwas wie der intellektuelle Star. Im offiziellen Pirmasenser Veranstaltungskalender „PS: Events“ ist neunmal hinter Veranstaltungen das Logo „100 Jahre Dada“ gedruckt. „PS: Eine Stadt ist Dada“ lautet das Gesamt-Motto, äh, ja. Darunter sind Lesungen, eine lange Hugo-Ball-Nacht und ein, wie es heißt, eher zur Verkaufsförderung gedachtes „City Event“. Geplant ist auch ein Rundgang „auf den Spuren Balls“. Interessant sein dürfte dabei vor allem, wo er hinführt. So blickt zwar ein völlig referenzloser Bronze-Stier aus der Richtung von Balls Heimatkirchengemeinde St. Pirminius auf den Schlossplatz herab. Ein Ball-Denkmal aber gibt es nirgends. Auch das Geburtshaus des Lederhändlersohns ist nicht kenntlich. Es stand sehr wahrscheinlich auf dem Gelände, auf dem heute die Parkbrauerei residiert. Keine noch so kleine Plakette weist darauf hin. Bleibt noch, ins Hugo-Ball-Gymnasium zu wandern, das idyllisch im Wald liegt. Acht Jahre lang wurde darum gestritten, bis das Verwaltungsgericht in Neustadt entschied, dass es – Schluss, aus – so heißt. Das Nichtverhältnis der Stadt zu ihrem Weltbürger, das Jahrzehnte lang herrschte, ist geradezu legendär. Im Juli 1921 schrieb Ball an seine Stieftochter Annemarie: „Bis nach Pirmasens, schreibst Du, ist unser Ruf noch nicht gedrungen. Nun, das wird auch noch kommen, mein Liebling. Später einmal …“ Und irgendwie hat er damit ja auch recht behalten. Bis zur Ball-Stadt Pirmasens allerdings ist es trotz Ball-Preis, Ball-Almanach, Ball-Gesellschaft, Dada-Jubiläumsfeiern wohl noch ein längerer Weg. Komisch auch, dass der dem Dada-Jubiläum gewidmete rheinland-pfälzische Kultursommer woanders eröffnet wird. Vor allem, immer, wenn es abseits der „City-Events“ und Preisverleihungen wie bei der Ball-Sammlung zäh wird mit dem Nachleben, scheint es zu haken. Obwohl von der Stadtseite her der dynamische Stadtmarketingkoordinator Rolf Schlicher zuständig ist. Für den 13. Mai ist ein „kulinarischer Kabarettabend“ in der Alten Post unter dem Titel „Erinnerungen eines Gedächtnislosen“ angekündigt. So gut, so schön. Die schon sehr lange erwartete Eröffnung des Hugo-Ball-Kabinetts in der Alten Post steht im Terminbuch dagegen erst mit Datum 20. November. Kurz vor Ende des Dada-Jubiläumsjahres, leider. Und darüber, wie das Kabinett aussehen soll, dass das Ansehen des Dichters auf den Tag hinaus verewigt, ist so gut wie nichts bekannt. Was man weiß, ist, dass das Berliner Beratungs- und Kreativbüro studio klv die Dauerausstellung einrichten soll. Der „Fullservice Anbieter“ wirbt mit „ganzheitlicher Herangehensweise“ und entwickelt mit Vorliebe „interaktive Ausstellungen, Science-Center, Markenwelten und Besucherzentren“. Auch das Konzept für das erfolgreiche Pirmasenser „Dynamikum“, in dem Marketingexperte Rolf Schlicher als Geschäftsführer fungiert, stammt aus der Ideenwerkstatt der Berliner. Samt einer sehr schönen, interaktiven Gedichtmaschine mit Bild und Ton übrigens, mit deren Hilfe sich aus Versatzstücken neue Ball-Lautgedichte generieren lassen. Macht schon Spaß. Und immerhin, wie Eckhard Faul bestätigt, haben die Berliner Kreativleute seine ernsthafte, aber im muffigen Hinterzimmer verbleibenden Expertise, auch schon eingeholt.

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