Kaiserslautern Die Last des Erwachsenwerdens

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Zwei echte Erstlings-Spielfilme, die sich denn auch mit den Sorgen und Hoffnungen junger Leute beschäftigen, sind die Beiträge aus Estland und Großbritannien/Irland im Newcomer-Wettbewerb des 65. Filmfestivals Mannheim-Heidelberg.

Acht Jahre hat die Estin Anu Aun an „The Polar Boy“ gearbeitet, ihr Debüt ist ein Herzensstoff, bei der Premiere in Mannheim fließen Glückstränen: Hart gekämpft hat sie im kleinen Filmland Estland, das nur vier, fünf Produktionen jährlich fördert, für ihre aufwendig inszenierte Annäherung ans Thema bipolare Störung, geschickt verknüpft mit der Frage, ob ein junger Fotograf nur für seine Kunst leben will, oder sich auf eine Liebesbeziehung einlässt, die kompliziert werden könnte. Die Frage nach der Balance zwischen Leben und Kunst hat sie sich selbst gestellt: In einem Drehbuchworkshop sagte ihr ein Experte, es gebe schon genug Filme über psychologische Störungen, sie solle persönlicher, grundsätzlicher werden. Jedoch überfrachtet Aun durch die komplizierte Drehbuchkonstruktion ihr Drama nun etwas: Ihr Alter Ego ist der junge Fotograf Mattias. Er ist auf dem Sprung auf eine Berliner Kunsthochschule, doch verlangt der Professor mehr Mut. Mattias hat perspektiv und technisch starke Architekturfotografien eingereicht. „Aber wo ist die Seele?“, fragt der Professor den Abiturienten, der ohne seine Hasselblad-Kamera nicht aus dem Haus geht. Was die Seele ausmacht, entwickelt sich fortan zum Kernthema: Mattias verliebt sich in eine ungezähmte Schöne, die jedoch krank ist, bipolar. Eine Diagnose, die ihn irritiert – und die er schonungslos hinterfragt. Er ahmt ihre Symptome nach und landet in einer Psychiatrie wie direkt aus „Einer flog über das Kuckucksnest“. Keine Übertreibung sei dies aber, verrät Anu Aun im Filmgespräch: Ihr Drama basiert auf Erlebnissen eines als bipolar diagnostizierten nahen Verwandten, den sie in einer solchen Einrichtung besucht hatte, im ländlichen Estland, wo der Putz bröselte und noch Sowjetmethoden herrschten. Und gibt es das überhaupt, bipolare Störungen?, fragt der Film zugleich. So behauptet Mattias, die geliebte Hanna wäre doch nur freier. Eine Laiendiagnose, die diese mit radikaler Konsequenz widerlegt. Auch wirft sie ihm nicht zu Unrecht vor, sie eher als Fotomotiv denn als Mensch zu sehen. „The Polar Boy“ ist zwar nicht vollends gelungen, doch bleiben viele der spannenden Filmbilder und die Fragen nach Verantwortung, Egoismus, Moral und Kunst lange im Kopf. Das britisch-irische Roadmovie „Moon Dogs“ dagegen folgt mit reichlich Humor zwei ungleichen Stiefbrüdern, die es von den schottischen Shetland-Inseln in die Metropole Glasgow zieht. Der wehmütig wirkende Musiker Thor, der Folkkonventionen mit Elektronik aufbricht, und der brave Michael, der gerade durchs Abi gefallen ist, machen sich per Boot und zu Fuß über die Orkneys zum Festland auf. Doch ohne die Sängerin Caitlin, die sie unterwegs treffen, wären sie aufgeschmissen: Sie lehrt sie, was Unabhängigkeit ist. „Es ist ein Film darüber, wie gut und wichtig Rebellion ist“, sagt Hauptdarstellerin Tara Lee bei der Premiere des bisherigen Favoriten auf den Publikumspreis. Aber vor allem feiert der Film des Walisers Philip John, der zuvor an Serienerfolgen wie „Being Human“ mitwirkte, das Aufkeimen von Verantwortungsgefühl – verpackt als angenehm unverkitschte Liebeserklärung an die schottische Natur und Musik. Aber schließlich kommt Philip John auch vom Punkrock. Termine —„The Polar Boy“ läuft noch heute in Mannheim, „Moon Dogs“ heute und Samstag.

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