Kaiserslautern Der Pfeil trifft mitten ins Herz

War besser als PDC-Spieler Thomas Luksch: Dirk Becker vom DV Kaiserslautern.
War besser als PDC-Spieler Thomas Luksch: Dirk Becker vom DV Kaiserslautern.

Wahnsinn! Der DV Kaiserslautern hat sich durch einen sensationellen Lauf zum Deutschen Meister 2017 gekrönt – als Außenseiter: In einem Motivationsrausch überrollte das bockstarke Bundesliga-Team in Niederbayern den Lokalmatadoren DC Black Birds Kelheim, amtierender Titelträger und DDV-Pokalsieger, im Finale mit 7:4. Ein wahres Dart-Märchen. Denn: Der DVK stand in der Vorrunde vor dem Aus. Bis er den Kampfgeist entdeckte.

Mario Henn nahm Anlauf. Wohin er wollte, das wusste er selbst nicht. Einfach weg, einfach alles rauslassen. Der Zwei-Meter-Koloss im aufgeknöpften Hemd setzte zu einem nie erwarteten Sprint an – und nahm fast die Isarhalle im bayerischen Wörth auseinander. Stühle krachten zu Boden, Henn, der in dieser Jubelszene Qualitäten als Hürdenläufer beweisen wollte, gleich mit, begraben von einem Haufen roter Trikots. Unglaublich. Der DV Kaiserslautern rastete aus. „Da denkst du an die Mannschaft und wirfst den Pfeil rein. Deutscher Meister, fertig“, blickte der Pfundskerl aus dem rheinhessischen Flonheim später glückselig auf die spielentscheidenden Minuten vor gut 150 Zuschauern. „Für mich persönlich bedeutet das sehr viel. Ich habe diese Saison nicht oft gespielt, bin dann wieder zu den alten Darts zurück. Mit Goldi ist das einfach ein perfektes Doppel.“ Einigen Lauterern kamen nach dem Goldschuss die Tränen. Es war der wichtigste, gleichzeitig der schwerste Pfeil im Leben des Rheinhessen. Und er saß. Mitten in die Doppel-20, mitten ins Herz des bayerischen DC Black Birds Kelheim. Henn drehte sich mit ausgebreiteten Armen um – die „rote Wand“ dahinter explodierte. 7:4. Der letzte Punkt mit Doppelpartner Sascha Goldammer. Der Zähler, den der DVK für seinen zweiten Deutschen Meistertitel nach 2014 benötigte. „Das Gefühl ist unbeschreiblich. Wenn alle an einem Strang ziehen, motiviert sind, dann läuft das von ganz alleine“, beschrieb Jens Bauer die emotionale Lage nach dem Gewinn des 70-Zentimeter-Silberpotts. Thomas Cassagne, nach durchwachsenen letzten Monaten über beide Tage bärenstark, schwärmte: „Mit unserer Aufstellung können wir jeden schlagen. Zum richtigen Zeitpunkt kam der Adrenalin-Kick.“ Dabei waren die Pfälzer, hinter den Black Birds „Vize“ der Staffel Süd, am Samstag in der Gruppenphase zum Scheitern verurteilt: Zum Auftakt sprang nur ein 6:6-Remis gegen den DC Dartmoor Darmstadt heraus, unzählige Doppelchancen versiebten die Lauterer. Teilweise durften die Hessen mit 30 bis 33 Darts checken. Psycho-Druck. „Wenn das Quäntchen Glück nicht auf deiner Seite ist …“, hatte Goldammer da schon Böses geahnt. Im zweiten Spiel gegen Rekordmeister DC Vegesack Bremen rannte der DVK, von Kapitän Uwe Schmitt klug positioniert, hoffnungslos einem 0:3 hinterher – bis Dominik Appels Gala kam. Gegen Tomas „Shorty“ Seyler, bekannt als WM-Kommentator und lange unumstrittene Eins der Nation, drehte er ein 0:2. Mit 14-, 17- und 15-Darter. Extraklasse. Angepeitscht von den DVK-Fans spielte sich Appel ins Dart-Fieber. „Das war am Wochenende der Knackpunkt“, wusste Mitspieler Dirk Becker, der im Endspiel selbst ein Wahnsinns-Einzel gegen Thomas Luksch hinlegte. „Wenn man als Hobby-Darter einen PDC-Spieler wegräumt, ist das ein Highlight.“ Vegesack wurde mit 7:5 niedergekämpft, ein 8:4 gegen den SC Diedersen Treble Bull löste das Halbfinalticket als Gruppensieger. Am „goldenen Sonntag“ legte Lautern dann wie entfesselt los. Ein Höhepunkt jagte den nächsten: Beim dramatischen 7:5-Halbfinale gegen den DC Bulldogs Wolfenbüttel schoss sich der DVK ein. Wolfgang Henn schmetterte zum Beginn einen 86er-Average ins Board, Top-Akteur Gabriel Clemens legte einen 13-Darter vor. Die Roten zeigten sich nervenstark auf die Doppel. Auch im Finale. Gegen den Favoriten aus Bayern. Kaiserslautern überrumpelte ihn nonchalant, die Black Birds waren schlichtweg machtlos. 3:1, 4:2, 5:3, 6:4 – niemals verlor der DVK, der zum richtigen Zeitpunkt seine Bestleistung abrief, die Kontrolle. Die Bayern, anfangs euphorisch von einer Hundertschaft unterstützt, sahen ihre Titelchance schleichend davongleiten. Ein mentaler Knick, vom Underdog so überrascht zu werden. Verrückt, dieses Endspiel. „So gut haben wir in den letzten Jahren kaum gespielt. In dieser Saison war das unsere absolut stärkste Leistung“, bekannte Wolfgang Henn. Der DVK wuchs nicht über sich hinaus – er zeigte das, was er kann. Und erfüllte sich den Traum, in die Annalen einzugehen. Zum zweiten Mal. Meisterspieler Clemens Gabriel, Wolfgang Henn, Mario Henn, Jens Bauer, Thomas Cassagne, Franz Höschele, Dominik Appel, Dirk Becker, Dieter Proksch, Michael Bernhardt, Sascha Goldammer, Udo Giese, Sebastian Kappler.

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