Kaiserslautern Der große Auftritt

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100 Jahre Dada dank Pirmasens, zwei Jahre „Offene Welt“ in Ludwigshafen und andere kulturelle Anlässe, um sich auf 2016 zu freuen. Eine ganz subjektive Vorausschau auf die schönen Seiten des neuen Jahres. Holen Sie schon einmal den Kalender raus und freuen Sie sich mit uns.

Es werde – bunter

Klar, aktuell sind da vor allem auch Sorgen und Ängste. Das Mantra der Kanzlerin, „Wir schaffen das“, wird ja nicht alleine dadurch zur Wahrheit, dass sie es wiederholt. Viele Deutsche fragen sich: Wie viele kommen noch? Wie viele Flüchtlinge kann dies Land verkraften? Wie sieht das Deutschland dann aus, selbst wenn die Integration gelingt? Ist das dann noch mein Land? Und dennoch: Jetzt mal hoffend, dass die Pegida-Polizei ebenso weghört wie die AfD-Wahrheits-Kolonnen der „Lügenpresse“ gegenüber einmal etwas Nachsicht walten lassen: Man kann sich vielleicht auch auf diese Menschen freuen, die da zu uns kommen. Kann auf ein bunteres, offeneres, humaneres Deutschland hoffen. Ja doch, dazu gehört, dass man die eigenen Ängste und Sorgen, die durchaus berechtigt sind, überwindet. Es gehört Mut dazu – aber wie viel Mut haben die Menschen nötig gehabt, die sich da über das Meer aufgemacht haben zu uns, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um eine neue Chance zu bekommen? (pom Dada da, da und da Ganz klar, Dada ist groß da. 2016. Jubelseligkeit bis zum Irrsinn und zur Bewusstlosigkeit. Gut so. Vor 100 Jahren trat die kurzlebige und langwirkende Anti- und Begriffserweiterungskunst, in Zürich auf den Plan, um mit Masken, Tanz und Nonsens-Gedichten Aufruhr aufzuführen. Im Rest der Welt tobte Krieg. Das Cabaret Voltaire in der Spiegelgasse war die Dada-Base, nebenan dachte Lenin weltrevolutionär. Eine Stunde der Enthusiasten war das, der Dandys und Dilettanten, Freaks und Furiosen. Sie dauerte fünf gute Jahre lang. Gründungsguru der Dadaisten war ein gewisser Hugo Ball, der von 1886 bis 1927 lebte. Ein Pirmasenser. Ein Pfälzer. Lautdichter, dessen Buchstabenklingklang im Bischofskostüm aus Pappe im Nachhinein riesengroß geworden ist. An seiner Seite Emmy Ball-Hennings, Tänzerin, Muse, Artistin, mit edlem Gestus ging die auf den Strich, wenn es aus Gründen des Überlebens sein musste. Andere Dada-Größen: Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Hans Arp und Sophie Taeuber, die Collage-Virtuosin Hanna Höch. 2016 lassen sie Schauen in Mannheim und Stade hochleben. In Zürich Dada-Ausstellungen da, da und da, fünf an der Zahl. Im Arp-Museum in Rolandseck dreht es sich um die „Genese Dada“. Bücher erscheinen. Sascha Werner hat den limitierten Handpressendruck „Gedichte der Liebe“ von Emmy und Hugo Ball herausgebracht. Im Deutschland-Radio wird die Radio-Oper „Gadji Beri # 2016“ uraufgeführt. Dada, bis man gaga wird und zwischendurch hört man den Popsong „I Zinmbra“ von den Talking Heads, die Vertonung von Hugo Balls Gedicht „Gadji beri bimba“. Schade, dass dessen Heimat eher lahm reagiert. Der Kultur-sommer, eröffnet wird im Mai in Germersheim, beruft sich zwar inhaltlich auch auf das Dada-Jubiläum. Das Motto „Der Sommer des Vergnügens“ allerdings variiert Shakespeare. Und Pirmasens, Bärmesens, Palimpalim, Himmelherrgott, hat für das Spätjahr die fast nicht mehr ersehnte Eröffnung des Hugo-Ball-Kabinetts avisiert. Und in der Alten Post soll die Ausstellung „Seepferdchen und Flugfische“ (ein Ball-Gedicht), die im Februar im Arp-Museum öffnet, übernommen werden. Wann? Zu sehen sind Arbeiten von Stipendiaten des Künstlerhauses Balmoral und des Landes Rheinland-Pfalz. Werke im Geiste Dadas. Schon klar. (mac) „Tschick“ im Kino Ein Hoffen, ein Bangen: Wolfgang Herrndorfs Jungsroman „Tschick“ ist ein Herzensbuch. Und kommt 2016 ins Kino, am 15. September. Regie führt Fatih Akin. Das kann toll werden, schließlich sind Roadtrips Akins Ding, man erinnere sich an „Im Juli“. Oder das Ganze geht mächtig in die Hose, man denke an „The Cut“. Doch da der Stoff nicht bleiern schwer ist und davon handelt, stets seinen Optimismus zu bewahren: Wird schon gut werden. (ütz) „Offene Welt“ in Ludwigshafen „Offene Welt“ heißt das Theater-Festival des Ludwigshafener Pfalzbaus im März, und das ist ein sehr treffender Name. Hier geht es nämlich um die Folgen unserer globalisierten Welt, um Flüchtlinge und Arbeitsmigranten, die in großer Zahl zu uns kommen, weil Krieg und Armut sie aus ihrer Heimat vertrieben haben. Und es geht um unsere verständliche Angst vor dem Fremden und Neuen und um den nicht hinnehmbaren Fremdenhass, den manche den Flüchtlingen entgegenbringen. Der neue Ludwigshafener Theaterleiter Tilman Gersch hat das Festival Ende Februar 2015 erstmals veranstaltet, die eingeladenen Projekte beschäftigten sich mit rumänischen Erntehelferin und kubanischen Exilanten, mit der Ermordung einer serbischen Familie durch kroatische Nationalisten, mit dem Münchner NSU-Prozess und deutschen Kriegseinsätzen. Hochgelobte Inszenierungen wie Elfriede Jelineks „Schweigendes Mädchen“ von den Münchner Kammerspielen waren zu sehen. Ob das Programm bei der zweiten Auflage von 9. bis 13. März ähnlich hochkarätig ausfällt, ist derzeit noch ungewiss, die Etatsituation ist schwierig. Auf jeden Fall dabei sein werden als europäische Erstaufführungen Produktionen aus Chile und Brasilien. Und es wird wieder spannende Diskussionen geben über eine offene Welt, die so viel Angst bereitet und so viele Chancen eröffnet und deren Verwerfungen und Zusammenhänge weit komplexer sind, als sich das ein Pegida-Hirn auszumalen vermag. (dw) Wagner-Fest in Kaiserslautern „Tristan“. Wie unfair, immer wird nur der Mann, also der Held, die männliche Hauptpartie, genannt. Kaum jemand sagt den ganzen Namen, „Tristan und Isolde“. Und natürlich nennt man den berühmtesten Akkord der Oper, die ja laut Richard Wagner nur eine Handlung ist, ja den prominentesten Akkord der gesamten Musikgeschichte, ach was, der gesamten Universums, „Tristan“-Akkord. „Tristan-und-Isolde“-Akkord wäre ja auch etwas umständlich. Im April kann man ihn in Kaiserslautern hören. Nicht nur den Akkord: die ganze Oper. Eine gewaltige Herausforderung für das einzige Mehrspartenhaus der Pfalz. Für die Besetzung der übermenschlich schweren Titelpartien kann und wird man sich Hilfe holen. Aber die Musiker des Pfalztheater-Orchesters müssen dieses vielleicht großartigste Werk in der Geschichte des Musiktheaters im Grunde alleine bewältigen. Fast. Denn da ist ja noch Generalmusikdirektor Uwe Sandner, der bereits mehrfach bewiesen hat, dass er auch vor Gipfelwerken keine Angst hat. Wir auch nicht. Deshalb: Große Vorfreude auf die Premiere. (pom) Überraschung! Kennen Sie das? Man freut sich, und dann ist die Enttäuschung groß. Freudlos ist das Leben deswegen noch lange nicht. Am größten ist die Freude doch über etwas, das man gar nicht so erwartet hat: kleine Konzerte irgendwo auf dem Land, das Entdecken von Unbekanntem – weit oder nah, unerwartete Begegnungen mit netten Menschen. Doch, darauf kann man sich gewiss freuen. Genauso wie auf jeden Tag, an dem die Rolltreppe im Bahnhof Ludwigshafen-Mitte wider Erwarten doch funktioniert. (gil) Das neue BASF-Hochhaus Unbedingte Vorfreude herrscht ja auf das neue BASF-Hochhaus. War das nicht irgendwie versprochen worden, beim Abriss des alten, denkmalgeschützten Baus, der zu den Ikonen der bundesrepublikanischen Architekturgeschichte gehört? Dass da wieder ein Wahrzeichen hinkommt, wo das Engelhorn-Hochhaus überragte. „Wir werden Ludwigshafen nicht enttäuschen“, sagte BASF-Standortchefin Margret Suckale 2013. Werksleiter Friedrich Seitz meinte, noch bevor Ende 2013 ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben war, „es wird ein attraktiver Bau“. Gewonnen hat den Wettbewerb im Sommer 2014 das Düsseldorfer Büro Eller + Eller. Der Jury-Vorsitzende Albert Speer lobte das 88 Meter hohe Gebäude mit Glasfassade, das auf 20 Etagen Platz für 600 Mitarbeiter vorsieht und eine Terrasse und einen Dachgarten, die auch Besuchern zugänglich sind. Besonders gefiel Speer die Flexibilität im Innern, die hohe Energieeffizienz und die städtebauliche Einbindung. Wobei, nebenbei bemerkt, die Energieeffizienz beim Abriss des alten Gebäudes insgesamt ziemlich gelitten haben dürfte. Auf keinen Fall vor 2016 sei mit dem Baubeginn des neuen Leuchtturms zu rechnen, hieß es dann von Seiten der BASF, wer immer auch fragte. Heißt das nicht, 2016 ist es so weit? Gut, es gab da diese bösen falschen Gerüchte über einen Vorstandsbeschluss, dass es gar keinen Neubau geben werde, was wir – um es zuzugeben – von Anfang an vermutet hatten. Dann war ja auch noch die undementiert gebliebene Aussage von BASF-Chef Kurt Bock, der gesagt haben soll, während seiner Amtszeit (die vermutlich bis Ende des Jahrzehnts dauert) werde kein Geld für einen Neubau ausgegeben. Die Hoffnung aber, die ja in Ludwigshafen, zumindest, was den Städtebau anbetrifft, in den letzten Zügen liegt, stirbt am Anfang eines neuen Jahres ja auf jeden Fall zuletzt. (mac) Saša Stanišíc stellt Fallen Sprache kann ein Schatz sein, und gute Geschichten klingen lang im Leser nach (zum Jahreswechsel sind Sinnsprüche erlaubt). Im Mai nun erscheint ein neues Buch von Deutschlands wohl zärtlichstem Worterkunder Saša Stanišíc, geboren in Višegrad/Bosnien, aufgewachsen in Heidelberg, wohnhaft in Hamburg. Eine witzige, herzerreißnde, kluge Kurzgeschichte über seine Teenagerzeit zwischen den Kulturen, am Rand von Heidelberg, hat er dieses Jahr bei seiner wunderbaren Lesung in Freinsheim vorgetragen. Und ganz nebenbei gegen die Angst vor dem Unbekannten anerzählt. Nach seinem Roman „Vor dem Fest“, für den er den Leipziger Buchpreis gewann, kommt nun „Fallensteller“, ein Buch voller Geschichten über Liebe und Krieg, Reisen und Altern: „Über die, die sich locken lassen, über die, die sich befreien.“ (ütz) Kultur selber machen Ein Instrument spielen können. Kann ich nicht, denken Sie. Denken: Nicht mal Notenlesen kann ich. Überhaupt: Malen können, dichten können, Theaterspielen können, tanzen können. Als wäre das eine Leistungsforderung, benotet, wie in der Schule. Doch darum geht es nicht. Stattdessen sollte jeder einfach mal ausprobieren – und genießen. 2016 ist ein Jahr, in dem wir alle Kunst und Kultur selber machen sollten. Mal in der örtlichen Musikschule nachfragen, ob die auch Erwachsene unterrichten. Klavier. Wollten wir doch schon immer lernen. Einfach in die Tasten hauen und dann überrascht sein, wie schnell die rechte Hand etwas anderes tun kann als die linke. Zur Schnupperprobe in den Gospelchor gehen. Oder nächstes Weihnachten mit dem Posaunenchor bei klirrender Kälte, das eisige Instrument in den Händen, den ersten warmen Ton von „Stille Nacht“ anspielen, mit allen anderen gemeinsam im Einklang. Menschen bleiben stehen und lächeln. Oder vor dem ersten Auftritt mit der Laientheatergruppe bauchschmetterlingsgefüllt hinter der Dorfbühne stehen und sich wieder wie ein Kind bei der Einschulung fühlen, später den Applaus einfangen. Den Wasserfarbenkasten hervorkramen. Ein Blatt Papier nehmen. Eine Geschichte aufschreiben. Was am Tag so passiert ist. Ein Gedicht. Wir alle dürfen Kultur selber machen. Zu alt für den Anfang ist niemand. Nur eins muss man wirklich können: sich trauen. (rxs) Der letzte Kino-Mythos Ein nagelneuer epischer Film mit Ouvertüre vor geschlossenem Vorhang. Im 70-mm-Format. Wo gibt es denn so was noch? Wenn am 28. Januar Quentin Tarantinos achter Film „The Hateful 8“ in Deutschland anläuft, ist das mehr als ein Kinostart. Es ist das letzte Aufbäumen des alten Kinos vor der digitalen Beliebigkeit. Der Zoo-Palast in Berlin, die Schauburg in Karlsruhe, die Lichtburg in Essen und das Savoy in Hamburg haben ihre 70-mm-Projektoren behalten und werden nun zu Kultstätten für Tarantino-Fans. Die 70-mm-Fassung hat 187 Minuten, die digitale 167. Das liegt an der Ouvertüre und einer Pause, bei der Bild und Ton weiterlaufen. Es gibt ein Programmheft. Wie zu Hollywoods Glanzzeit. Oscar-Preisträger Tarantino (52) ist der letzte Mohikaner. Er dreht auf Film, weil er weiß, dass Filmmaterial im Gehirn anders wirkt. Die Klarheit des 70-mm-Films ist digital (noch) nicht zu übertreffen. Stundenlang philosophiert er über die Magie im Kopf, die entsteht, wenn ein Film mit 24 Bildern pro Sekunde durch einen Projektor läuft, mit minimalem Schwarzbalken dazwischen. Digitaler Projektion fehlt diese Magie. Deshalb beschert uns Analog-Tarantino dieses letztes Quantum Glück, bevor die Welt des Kinos endlich untergeht, weil es keine Kopierwerk für Filmstreifen mehr gibt; in Deutschland macht zum Jahresende das letzte dicht. „The Hateful 8“ gehört zum seltenen Genre Schneewestern. Es ist darin so kalt, dass Christoph Waltz in ein Grizzlybärkostüm schlüpft. Für die Ouvertüre verpflichtete Tarantino Altmeister Ennio Morricone, der sich mit dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“zum Klassiker machte. So ist „The Hateful 8“ Hommage und Abgesang zugleich – der letzte wahre Kino-Mythos. (adi) Am Anfang schon ans Ende denken „Um kurz vor eins an der Fruchthalle, wie immer?“ Er hat einen festen Platz im Terminkalender, der Kulturmarkt in der Kaiserslauterer Fruchthalle. Immer im Advent. Eine schöne Auszeit vom Trubel: mal in der Pause hin, mal den Weihnachtseinkauf unterbrechen. Oder direkt fortsetzen – mit liebevoll gefertigtem Kunsthandwerk von bis zu 90 Ausstellern. Schmuck von Goldschmiedeschülern oder aus Fahrradketten, Schalen aus finnischem Papiergarn, Keramik, Filzfeen, … Hochwertige Unikate, nicht kitschig, schöner als auf den meisten Weihnachtsmärkten. Dazu Mangoldcremesuppe bei der Lebenshilfe oder heiße Schokolade bei den Schülern im Obergeschoss. Unbedingt mitnehmen zum Staunen und Quatschen: eine liebe Freundin. Ist auch ein Unikat, gibt’s jedoch selbst beim Kulturmarkt nicht zu kaufen. (sbn)

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