Kaiserslautern Bewegte Beweger

Gustav Mahler war die Bremse im fünften Akademiekonzert, das in der ersten Hälfte vor Tempo beinahe überschäumte. Neben Geschwindigkeit regierten an diesem Abend im Mannheimer Rosengarten tiefe Streicherklänge und die Oboe. Alles zusammen ergab wunderbare Höreindrücke unter Dan Ettinger am Pult.

Sechs Minuten gebündelte Energie fahren auf das Publikum im Mozartsaal nieder. Spätestens jetzt sind auch die Zuschauer in Reihe 35 wach. Die Festive Overture von Dmitri Schostakowitsch ist unter dem Dirigat von Dan Ettinger an Erhabenheit und temporeicher Virtuosität kaum zu überbieten. Beeindrucktes Raunen im Publikum bestätigt das. Den Schlusspunkt setzt der Maestro so entschlossen, als wolle er noch ein „Und jetzt erst recht!“ hinter diesen Konzertauftakt setzen. Überhaupt beweist Ettinger sich wieder einmal als Beweger der Extreme. Einsätze wirft er wie einen Bumerang ins Orchester des Nationaltheaters Mannheim und erhält die gewünschten Klänge prompt zurück. Die Zusammenarbeit funktioniert. Bei Sergej Prokofjews 1. Sinfonie, der sogenannten „Symphonie classique“ op. 25, wirkt das hohe Tempo allerdings teilweise gehetzt, unterstreicht aber gleichzeitig das hohe technische Können der Musiker. Auch wird das wunderbare Stück zu einem Fest der tiefen Streicher, die Haltetöne und Bögen präzise und gleichzeitig schön sonor ausarbeiten. Hauptwerk des Abends ist Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“: eine Stunde Länge und dabei kein einfaches und sofort eingängiges Stück – auch für die Hörer. Der Komponist hat darin ins Deutsche übertragene chinesische Gedichte vertont. Es ist die Rede von Lotosblumen, von Seide und einem Pavillon aus Porzellan, im Orchester gibt’s eine Mandoline und Glockenspiel. Aber so recht nach Exotik und Asien mag das Ganze nicht klingen, sondern nach einem Komponisten, der sich nicht entscheiden konnte, ob er nun eine Sinfonie oder doch lieber einen Liederzyklus schreiben soll. Umso mehr liegt es an den Interpreten, die sechs unterschiedlichen Sätze stimmig zu verbinden, wie eine lange Kette. Das gelingt dem Orchester, ebenso wie den Solisten aus dem Ensemble des Nationaltheaters. Martin Muehle singt den Tenor-Part manchmal etwas angestrengt, doch kräftig, schneidend und direkt. Edna Prochnik überzeugt mit ihrer äußerst detaillierten Ausgestaltung. Die Mezzosopranistin weiß genau, was sie da singt, unterstützt mit Armen und Händen den Tonhöhen-Verlauf und die Handlung. Die Zeile „um meine bittern Tränen mild aufzutrocknen“ vermittelt sie tatsächlich tief berührt und deprimiert. Mit „Ich sehne mich, o Freund, an deiner Seite die Schönheit dieses Abends zu genießen“ reagiert Prochnik auf die überwältigende Sanftheit des Orchesters mit einem ebenso behutsamen und ausdrucksstarken Einsatz. Im sehr farbig und greifbar musizierten Orchesterpart sticht besonders Oboistin Daniela Tessmann mit ihrem kräftigen und melodiösen Spiel hervor. Hat Mahler doch dem Holzblasinstrument vor allem im zweiten Satz die Hauptlinien gewidmet. Höhepunkt der Mahler-Interpretation ist der halbstündige letzte Satz „Der Abschied“, bei dem die Ewigkeit, im Text besungen, mit Celesta, Violinen und einer fast unhörbaren Singstimme ausgehaucht wird. Beglücktes Publikum, beglückte Interpreten und ein Blumenstrauß für die Frau mit der Oboe.

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