Kaiserslautern Bahnfahren in Zeiten von Streiks und anderen Alltäglichkeiten

db glosse

Bahnfahrer sind die besseren Menschen. Glauben Sie nicht? Ich meine jetzt nicht das Umweltbewusstsein. Sondern die vielen anderen Kompetenzen, die das Bahnfahren mit sich bringt. Sie haben mehr Geduld als Autofahrer („Die Ankunft Ihres Zuges verzögert sich um voraussichtlich 120 Minuten“), eine höhere Sozialkompetenz („Tschuldigung, dürfte ich vielleicht meinen Fuß unter Ihrem Koffer hervorziehen?“), verfügen über große Kommunikations- und Mediationsfähigkeit („Wenn ihr drei zusammenrückt, dann kann er sein Fahrrad hier abstellen.“), haben durchs zwangsweise Mithören eine hohe Toleranzschwelle erreicht („Nein, das ist nicht der Rhein; wir fahren über den Neckar nach Ludwigshafen.“) und erwerben nebenbei psychologische Kenntnisse („Nein, Schuldzuweisungen bringen euch nicht weiter. Du musst in Ich-Botschaften reden.“)

Logisch, dass diesen Homo ferriviarius, den hartgesottenen Bahnfahrer – auch Homo stoicus genannt – selbst die Streiks der vergangenen Monate nicht aus der Ruhe bringen. Als Bahn-Pendlerin nehme ich gern ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf. Hat die Bahn doch durchaus ihre Vorzüge gegenüber dem Auto: Am Steuer den Laptop aufklappen oder schlafen könnte nämlich ungesund enden. Und wenn ein städtischer höherer Bediensteter auch noch denselben Weg hat, dann lässt sich die Zeit zudem für Recherchen nutzen. Oder eine Plauderei.

Sechs Meldungen zu einer kurzen Fahrt

Und so war schon der erste der inzwischen fünf Bahnstreiks Mitte November nur eine kleine Randnotiz in den täglichen Wirrungen der Bahn. Screenshots der Bahn-App erweisen sich als nützliches Beweismaterial. So wie dieser vom 30. Oktober 2023: Da zeigte die App wegen der Verspätung des Regionalexpress’ nach Mannheim – um eine läppische halbe Stunde – sechs Meldungen an, fünf davon in roter Schrift mit rotem Ausrufezeichen. Alles Meldungen, bei denen der Homo stoicus nur müde lächelt. 1. „Verspätung aus vorheriger Fahrt“ ist der Klassiker unter den Begründungen für Verspätung. 2. „Reparatur an einem Signal“ wechselt sich ab mit „Reparatur an der Weiche“ und „Reparatur am Zug“, oder wird wahlweise darum ergänzt. 3. „Verspätete Bereitstellung des Zuges“ kann manchmal auch die verspätete Bereitstellung des Lokführers sein, weil dieser mit einem verspäteten Zug anreiste, der seine Verspätung aus vorheriger Fahrt hat, weil dessen Lokführer aufgrund verspäteter Bereitstellung des Zuges verspätet losfuhr. 4. „Der Anschluss kann voraussichtlich nicht erreicht werden“ ist das Bahn-Synonym für „Pech gehabt“. Und beweist, dass Reisen mit der Bahn doch möglich ist, und zwar Zeitreisen. Denn wenn der Zug um 19.46 Uhr in Mannheim ankommt, der Anschlusszug jedoch um 19.30 Uhr abfährt, dann muss „voraussichtlich nicht erreichbar“ andere Dimensionen haben als die physikalisch bewiesenen in dieser Welt. Leider hab ich den Zeitreisen-Zug noch nie erwischt. 5. „Das defekte Stellwerk im Raum Mannheim Hbf beeinträchtigt den Zugverkehr“ ist großräumig und durch austauschbare Ortsnamen bundesweit einsetzbar.

Am besten den Urlaub mit GDL-Chef Weselsky abstimmen

Unter diesen roten Meldungen hatte gerade noch eine schwarze, also unwichtige Platz, für eine „Vorankündigung“: dass der GDL-Streik vom 15.11. ab 22 Uhr bis 16.11. zu einer Beeinträchtigung des Zugverkehrs und zu Zugausfällen führt. Aufatmen bei mir! Ich hatte ab 16. Urlaub und schaffte es am 15.11. abends noch nach Hause. Den Dezember-Streik überstand ich auch mit einem Homeoffice-Tag. Gut, dass Corona vorgearbeitet und die Wirtschaft auf Arbeiten zu Hause vorbereitet hatte.

Fürs Jahr 2024 galt es also, vorausschauend zu planen. Am besten den Urlaub oder sonstige Abwesenheiten direkt mit Claus Weselsky abstimmen, dachte ich mir. Doch ich erreichte ihn so schlecht; offenbar war er entweder immer gerade auf einem verlassenen Bahnhof ohne Empfang oder beim Verhandeln. Schnell wurde mir aber klar: So viele Tage, wie der GDL-Chef streiken ließ, hatte ich nicht an Urlaub. Also galt es, zumindest meine Vor-Ort-Termine seinen Streik-Plänen anzupassen. Ich begann also auf der Lauer zu liegen, immer in Erwartung der nächsten Eilmeldung. Ich musste so flexibel wie der DB-Fahrplan sein. So endete ein Streik mal einen Tag früher als geplant, dann starteten die Streiks quasi ohne Ankündigung. Und wieder hatte ich Glück – oder das passende GDL-Gespür: Am Sonntagabend kam die erlösende Info, dass am Stadtrats-Montag nicht gestreikt wird, sondern am terminfreien Dienstag. Puh, an meinem komplett durchgetakteten Mittwoch rollte es wieder.

Aber Streiktage haben ja auch ihre Gutes: Man weiß, dass bis auf ein paar Ausnahmen keine Züge kommen. Sonst wird man von der Meldung „Zug fällt aus“, „Halt entfällt“ oder „Verbindung entfällt“ erst auf dem Bahnsteig erwischt. Da ist doch auf einen Streik wesentlich mehr Verlass. Und man spart sich vor allem auf längeren Strecken auch das Jonglieren mit mindestens zwei Handys und mehreren Apps, um bei Verspätungen und Ausfällen die unzähligen Verbindungsmöglichkeiten alle im Blick zu haben; schließlich eröffnen sich dann immer ganz viele „Wenn-Dann-Optionen“. Auch die per App angekündigte gleichzeitige Abfahrt von zwei Zügen vom selben Gleis kommt bei Streiks seltener vor. Statt dessen sind die wenigen Züge, die überhaupt fahren, sehr leer. Also das perfekte Setting für Leute, die ins Bahnfahren mal reinschnuppern möchten! Also: Steigen Sie ein!

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