Kaiserslautern Bach und Bürgerschreck

Einer ausgeklügelten programmatischen Konzeption unterwarf der Solocellist der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, Peter Gerschwitz, sein Solokonzert am Sonntag in der Rochuskapelle Hohenecken: Er stellte zwei Solosuiten von Johann Sebastian Bach die Solosonate von Paul Hindemith gegenüber. Ein großes Auditorium folgte den fundierten Werkeinführungen und interpretatorischen Glanzleistungen interessiert.

Die Festrede und Laudatio Hindemiths 1950 in Hamburg anlässlich des 200. Todesjahres Bachs bot Gerschwitz die Quelle für einen interessanten Vergleich: Einmal skizzierte Gerschwitz die Auseinandersetzung Hindemiths mit Bachs Aufführungspraxis, wobei Hindemith von der Prämisse ausging, dass Bach mit seinen personellen und Klangmitteln bewusst arbeitete und dessen damaligen Konstellationen – etwa als Thomaskantor – zu rekonstruieren seien. Ansonsten klassifizierte Gerschwitz Hindemith als Repräsentanten der klassischen Moderne und als „Bürgerschreck“, der aber mit seinem Werk „Ludus tonalis“ mit zwölf Fugen und Interludien (Zwischenspielen) – ähnlich wie Bach mit seinem „Wohltemperierten Klavier“ – musikpädagogische Zyklen hinterließ. Auch sonst konnte Gerschwitz zwischen Bach und Hindemith viele Verbindungslinien ziehen und Gemeinsamkeiten im Vortrag bewusst machen. Beide haben in ihren Kompositionen für Cello solo eine lebhaft pulsierende Spielfreude kompositorisch entwickelt und sind für die damalige Entstehungszeit bis an die Grenzen des spieltechnisch Machbaren gegangen. Beide waren bei ihrer kompositorischen Konzeption von einer Experimentierfreude getrieben, beide schöpfen alle technischen, klanglichen und stilistischen Möglichkeiten aus, erweitern dabei den tonalen Spielraum – ihrer Zeit entsprechend. Allerdings verarbeiten die vorgestellten Bach-Suiten (Nr. 1 und 4) nach einem Prélude stilisierte Tanzsätze des Barock wie Allemande, Courante oder Sarabande. Trotz der damit vorgegebenen taktlichen Metrik gelingt es Bach, diese Sätze mit neuem Ausdruck zu füllen. Gerschwitz stellte dabei eine klar strukturierte und scharf konturierte Interpretationsauffassung vor, die melodische und rhythmische Finessen sowie harmonische Entwicklungen zwar stringent herausarbeitet, auch den taktübergreifenden Spannungsbogen aufbaut, aber nie romantisierend übertreibend wirkt. Es ist ein Bach aus der Perspektive des Analytikers, der formale Zusammenhänge, motivische Entwicklungen und Verzierungen entdeckt und subtil vermittelt. Sein Gestaltungsprinzip war aber auch gleichzeitig von federnder, graziler und verspielter Leichtigkeit geprägt. Umso größer war der interpretatorische Kontrast zu Hindemith, der bewusst in den schon eigentümlichen Satzangaben (etwa „Sehr markiert, mit festen Bogenstrichen“) große Intensität und dynamische Bandbreite einfordert – und von Gerschwitz auch bekam. Die aus früher Schaffensphase stammende Solosonate impliziert klangliche Härten, schroffe, bisweilen bizarre Wirkungen, die aber dennoch durch Gerschwitz’ ordnende Hand ihre Sinneinheiten offenbarten. Episoden mit solch markanten Konturen wechselten mit jenen in großer Innigkeit und Expressivität in der Art romantischer Kantilenen. Bei allen Sätzen erwies sich der Cellist als ein in perfekter Synchronisation zwischen Bogen- und Griffhand agierender Interpret, der sich souverän über jedwede spieltechnischen Hürden erhebt und so deutliche Maßstäbe setzt. Dabei klingt seine Tongebung in allen Lagen sehr ausgeglichen.

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