Grünstadt „Zu was Kriege führen“

Aus dem Leid, das seiner Familie durch die beiden Weltkriege widerfahren ist, hat Paul M.* seine ganz persönliche Konsequenz gezogen. „Ich bin zu 100 Prozent Pazifist, seit ich die Briefe und Dokumente gelesen habe, die ich im Sekretär meiner Großmutter gefunden habe“, sagt der 70-Jährige, der in einem Dorf im Leiningerland lebt. Erna M. hat unter anderem 30 Feldpostbriefe aufbewahrt, die ihr Ehemann 1916 und 1917 aus Rumänien und Russland geschrieben hatte. Zusammen mit der Familiengeschichte und den Lebenserinnerungen, die sein Vater in den 1980er Jahren aufgeschrieben hat, ergibt sich für Paul M. ein klares Bild: „Der Krieg hat den Großvater aus der Bahn geworfen.“ Gewalt in der Familie und finanzielle Not waren die Folge. Die Briefe, die Aufzeichnungen des Vaters und weitere Dokumente hat der Rentner der RHEINPFALZ zur Verfügung gestellt. Anlass war die Serie „VierzehnAchtzehn“. Das 20. Jahrhundert hatte gar nicht schlecht für die Familie angefangen. Urgroßvater Ludwig, der in den 1880er Jahren aus einem Dorf am Donnersberg an die Haardt gekommen war, lebte in bescheidenem Wohlstand, arbeitete als Fuhrmann und Landwirt, später kam noch eine Gaststätte dazu. Fünf Kinder hatte er mit seiner Ehefrau. Ein Junge und ein Mädchen starben noch als Kleinkinder, zwei Söhne und eine Tochter erreichten das Erwachsenenalter. Im Jahr 1914 trifft die Familie ein schwerer Schicksalsschlag, durchkreuzt die Lebensplanung. Der jüngere Sohn Johann, als Erbe ausersehen, stirbt mit 24 Jahren im November bei den Kämpfen an der Westfront. Der ältere Sohn Hermann, 1888 geboren, hatte den Eltern nicht immer Freude bereitet und im Juli 1914 gegen den Willen der Eltern geheiratet, da ein Kind unterwegs war. Doch die erst unerwünschte Schwiegertochter Erna fügt sich gut ein, arbeitet in der Landwirtschaft des Schwiegervaters, nachdem ihr Ehemann Ende 1915 auch als Soldat an die Front musste. Mit ihrem Sohn Walter, am 26. Dezember 1914 geboren, lebt Erna M. in einer kleinen Mietwohnung, hofft auf ein besseres Leben nach dem Krieg. Und die Hoffnung scheint nicht unbegründet: Ihr Ehemann schreibt viele Feldpostbriefe an die „liebe Frau und Kind“. Verspricht, dass sie sich nach dem Ende des „elenden Krieges ein paar schöne Jahre“ machen werden. So spart Erna M. und hat als ihr Mann im Frühjahr 1919 heimkehrt, so viel Geld zur Seite gelegt, dass sie ein paar Äcker kaufen können. Die Familie vergrößert sich schnell: Zwischen 1920 und 1923 werden zwei Söhne und eine Tochter geboren. Doch das Glück ist brüchig, nichts wird gut. Für Erna M. kommen jetzt die schlimmsten Jahre ihres Lebens: Der Ehemann war malariakrank aus dem Krieg heimgekommen. Seine Fieberschübe, die immer öfter kommen, kann er nur mit Alkohol ertragen. Auch der Umzug ins Haus des Schwiegervaters bessert nichts, ständig gibt es Streit. „Nach der Inflation blieb uns nichts übrig wie ein Haufen Schulden“, schreibt der älteste Sohn Walter in seinen Lebenserinnerungen. Er berichtet, dass sein kranker Vater Hermann oft schlechte Geschäfte gemacht hat. Bei Zahlungsschwierigkeiten habe Großvater Ludwig anfangs noch geholfen. Zudem sei der Vater immer rabiater geworden: Einmal habe er ihn so hart mit dem Koppelschloss geschlagen, dass er einen Tag lang bewusstlos war. „Meine Mutter war dann zeitweise mit meinen jüngeren Geschwistern bei ihren Eltern.“ Im Februar 1937 stirbt Hermann M. im Alter von 48 Jahren, war betrunken vom Stuhl gefallen und sofort tot. „Eine schwere Belastung war von uns genommen“, kommentiert Sohn Walter in seinen Aufzeichnungen. Doch finanziell steht es nicht gut, die Familie ist hoch verschuldet. Beim Amtsgericht Grünstadt gibt es ein Entschuldungsverfahren, ein Teil der Schulden wird erlassen. Hilfreich ist, dass der Großvater schon 1934 die Enkel als Erben eingesetzt hat. Erna M. arbeitet weiter fleißig, unterstützt von den Kindern, und führt auch die Gastwirtschaft. Doch das Leben hält weitere Nackenschläge bereit. Zwei Söhne sterben im nächsten Weltkrieg: Karl fällt 1942 im Alter von 22 Jahren bei Stalingrad, und Fritz wird 1944 mit 21 Jahren bei einem Bombenangriff in Worms getötet. 80 Jahre alt ist Erna M. geworden. Nie hat sie geklagt, nie über die Tragödien in ihrem Leben gesprochen, erzählt ihr Enkel Paul M. Sie sei nicht bitter, sondern immer liebevoll und gütig gewesen. Nur sein Vater Walter habe schon mal Andeutungen zur Familiengeschichte gemacht. Aber was seine Großmutter erdulden musste, habe er erst anhand der Briefe und Dokumente aus ihrem Nachlass erkannt. „Mir ist dadurch bewusst geworden, zu was Kriege führen.“ * Alle Namen wurden geändert.

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