Grünstadt Vor dem Neuanfang

Heute ist Dienstag. Zwei Tage nach dem historischen Referendum in Griechenland. Und ja, so hat sich wohl ein Gutteil der europäischen Gläubigerstaaten Demokratie nicht vorgestellt. Der griechische Ministerpräsident hat Rückendeckung für seine Politik erhalten, denn über 60 Prozent der an die Wahlurne gegangenen Landleute stimmten mit dem von Tsipras ersehnten „Nein“. In dieser Woche wird Krisenmanagement verlangt sein, denn sicher ist, für Griechenland bedeutet das Votum ein „Zurück auf Start“. Gehe nicht über Los. Ziehe kein Geld ein. Sind die griechischen Banken im Verlauf der Woche zahlungsunfähig? Oder wird schon an einem Plan einer (damit wiederkehrenden) Parallelwährung gearbeitet? Der Autor Petros Markaris hat die Drachme in dritten Band seiner (ursprünglich geplanten) Krisentrilogie „Abrechnung“ bereits wieder eingeführt, jenem Roman, der 2013 in der Heimat des 1937 in Istanbul geborenen und heute in Athen lebenden Autoren erschienen ist. „Zurück auf Start“, der aktuelle Fall für Kommissar Kostas Charitos spielt immer noch in der Krise – und sicher folgt auch noch der fünfte Band der vierbändigen Krisentrilogie. Petros Markaris ist mehr als ein Kriminalschriftsteller. Er hat Brecht und Goethe ins Griechische übertragen, und wenn seine Romane auf Deutsch erschienen, werden diese noch mal gründlich durchgesehen. Immer gut und sprachlich ausgefeilt durch die Übersetzung von Michaela Prinzinger, präsentiert sich Markaris stets als penibler Beobachter der aktuellen Situation in Griechenland - und er hält mit seiner Meinung nicht zurück. In „Finstere Zeiten“ hat er sich explizit zur Krise in Griechenland geäußert, jetzt fließen die Folgen für das Land immer wieder in Passagen seiner lesenswerten Kriminalserie um Kostas Charitos ein. So schreibt er: „Das Problem mit den Deutschen ist, dass sie nicht nur überzeugt sind, sie hätten eine gesunde Wirtschaft, was zweifellos zutrifft. Sondern auch, dass sie den gesunden Menschenverstand gepachtet haben – woran man durchaus seine Zweifel haben kann.“ Wie es sich für einen Kriminalroman gehört, beginnt auch die Geschichte von „Zurück auf Start“ mit einem Toten, allerdings hat der Deutschgrieche Andreas Makridis Selbstmord begangen, es fehlt nur ein Abschiedsbrief. Statt diesem geht bei der Polizei ein Bekennerschreiben ein, unterzeichnet mit „Die Griechen der fünfziger Jahre“! Was anfangs nur für Irritationen sorgt, konkretisiert sich beim zweiten Toten. Und diesmal gibt’s keine Zweifel, dass es Mord war. Der Leiter eines privaten Nachhilfeinstitutes wird erschossen – stilecht mit einem alten Armeerevolver! Der neunte Fall für Charitos ist kein Mitratefall für den Leser, sondern ein facettenreicher Gesellschaftsroman, dargeboten mit den Mitteln des Krimis. Ein Puzzle gewinnt langsam an Kontur und nebenbei sind es die kleinen Episoden, die besser als jede Fernsehreportage ein Bild vom Griechenland unter EU-Sanktionen geben. Ein aktuellerer literarischer Kommentar ist fast nicht denkbar. Lesezeichen Petros Markaris: Zurück auf Start. Diogenes 2015, Hardcover, 355 Seiten, 23,99 Euro

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