Grünstadt Reiche Vielfalt der Muttersprachen

Es ist jedes Mal ein herzerwärmender und hochinteressanter Abend, wenn die Bockenheimer Mundart-Werkstatt am Samstagabend nach der Weinmesse zur Lesung der vier Teilnehmer in die Emichsburg einlädt. Sie finden jedes Mal ein überaus interessiertes und aufmerksam lauschendes Publikum. Nur schade, dass es immer wieder so überaus überschaubar ist. Zweifellos gibt es noch viele Menschen in Bockenheim und Umgebung, die an diesen Abenden Freude haben könnten.

Tagsüber haben die vier Dichter mit der Schifferstadter Lehrerin und Autorin Ute Zimmermann, die in jeder Hinsicht Motor und Seele dieses Unternehmens ist, im Magdalenenturm des Schlossgutes, den Familie Janson mollig warm gemacht hatte, getagt, sich gegenseitig ihre dichterischen Werke vorgelegt, sie – ganz unter sich – offen diskutiert und sich vielleicht auch schon von Bockenheims Rebzeilen zu dem einen oder anderen Vers inspirieren lassen. Denn bei dem, was sie abends lesen und singen, soll auch das Thema Wein vertreten sein. Den Auftakt macht – zunächst ganz kurz – einer der Großen der Mundartszene: René Egles, der elsässische Chansonnier aus Straßburg, der sich sicher ist: Auch wenn er sein Elsässer Platt spricht, wird er in „ganz Ditschland verstann“. Der erste Akteur, der seine kleinen Szenen, meist zum Schmunzeln anregend, gekonnt im Stehen interpretiert, ist Hanno Kluge aus Böblingen, seines Zeichens Lehrer und Autor mit einer beachtlichen Veröffentlichungsliste. Auch wenn sein Name nicht danach klinge, widme er sich seit 1980 der schwäbischen Mundart. Trotzdem habe er beschlossen, sich nicht in Hannes Gscheidle umzubenennen. Kluges Bemerkungen sind nah am Alltag, registrieren Veränderungen – etwa des klassischen Schwabenbildes: „Vader schafft, Muoder schafft, Bu schafft – d’Schul net“, er rezensiert den schwäbischen Nationalsport, das „Brudle“, also Meckern, mit der klassischen Devise: „Net gbrudlet is g’lobt genug“. Und er registriert in einem schönen Text „Heimkehr“, der mit der Zeile beginnt: „Wann i d’Gschdank von de Mischde widder schmeck“, die Ambivalenz dörflicher Heimat zwischen wärmender Geborgenheit und enger sozialer Kontrolle. Dies alles ist, weil er mit Erläuterungen nicht spart, bestens zu verstehen. Das moselfränkische Platt von Ursula Kerber aus Überherrn, geboren in Roden, jetzt Saarlouis, erschließt sich pfälzischen Ohren wegen seiner recht fremdartigen Akzentuierung erst allmählich. Zum Thema Wein erzählt sie, die aus einen Milieu stammt, in dem Wein allenfalls an hohen Feiertagen auf den Tisch kam, eine jugendliche Reiseerinnerung, die erste Begegnung mit italienischem Vino da Tavola. Sie reflektiert den Unterschied zwischen den Generationen – ihre Großmutter hatte zwölf Kinder, ihre Mutter zwei, sie selbst eines – und bringt einen sehr prägnanten Text über eine Mutter, die ihren Sohn auch noch ins Erwachsenenalter immerzu umhegt und umsorgt, bis sie einen Geburtstagsbrief von ihm erhält: „Eich schenken Dir: Dei Freiheit.“ Das ist ebenso schlicht wie treffend gesagt. Den klanglichen Charme des Moselfränkisches entfaltet ihre Beschreibung eines Regenwetters. Wenige Stunden vor der Mundartwerkstatt hatte Barbara Franke, die ihr das schöne Leitwort mit auf dem Weg gegeben hatte: Hochsprache sei wie Stöckelschuhe auf Asphalt, Mundart dagegen wie Barfußlaufen auf der Wiese, ihre Teilnahme wegen Krankheit abgesagt; kurzentschlossen hatte Silvia Calles aus Haßloch den pfälzischen Part übernommen. Dabei ist die Bankkauffrau und Laienschauspielerin, weil sie so schreibfaul ist, eigentlich gar noch keine richtige Autorin, sondern – heute ganz selten – eine Vertreterin der mündlichen Tradition. Die Geschichten, die sie als Kind ihrer Verwandtschaft und den Menschen in den Wirtschaften abgelauscht hat, erzählt sie frisch, ungeniert und mit einem beträchtlichen Quantum an Charme weiter. In ihrem Erzählen finden sich all jene Stilmittel und Kniffe, Spannung zu bauen und die Zuhörer bei der Stange zu halten, die diese alte Erzählweise zur bewusst gestalteten Kunstform machen. Drollig die Geschichte aus dem „Schwanen“, wie eine Schönheitskonkurrenz unter Männern dadurch entschieden wurde, dass die Wirtin das mangelhafte Brusthaar eines Kandidaten mit ihrem Rheuma-Katzenfell verstärkte. Herrlich herzlich, warm und wehmütig sind die Lieder, die René Egles zu singen weiß. Er wohnt bei Straßburg an der Grenze zwischen der alemannischem und der rheinfränkischen Spielart seines aussterbenden Dialekts: Die heutige Jugend verstehe Elsässisch allenfalls noch, aber auf den Schulhöfen werde nurmehr Französisch gesprochen. Mit Wärme erinnert er an die Anti-Atom-Bewegung der 70er und 80er Jahre, die ihm zum ersten Mal die Erfahrung vermittelt habe, dass jenseits der nur sechs Kilometer entfernten Grenze Menschen leben, die die selbe alemannische Sprache sprechen. Seine Chansons, die um diese Thematiken kreisen, bezaubern durch Kraft, einschmeichelnde Melodik, Zärtlichkeit und kluge Melancholie. Man könnte René Egles noch Stunden lang lauschen ...

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