Grünstadt Lauferlebnisse der besonderen Art

Jetzt gibt es kein Zurück mehr für unseren Marathonmann Sebastian Stollhof. Wenige Tage vor seinem ersten 42,2 Kilometer langen Lauf auf der Weinstraße hat er sich bei einer gemeinsamen Trainingseinheit noch einige Tipps von einem geholt, der reichlich Marathonerfahrung hat: André Kossmann. Er stellt nicht nur Laufkleider her, sondern hat auch eine beachtliche Bestzeit von 2:25:32 Stunden. Eine Laufrunde durch das Landschaftsschutzgebiet Maudacher Bruch mit Gesprächen über die richtige Ernährung und das ideale Tempo.

„Was für eine Zeit hast Du dir denn vorgenommen?“ Auf die Frage von André Kossmann gibt es eine kurze Antwort: gar keine. Natürlich habe ich lange überlegt, ob ich nicht eine bestimmte Zeit angehen soll. Doch nach eineinhalb Jahren Training auf diesen Höhepunkt hin habe ich keine Lust, am Sonntag dann vielleicht enttäuscht ins Ziel zu laufen, weil ich meine vorgenommene Zeit verpasst habe. Oder noch schlimmer: Ich überschätze mich, schleppe mich vielleicht mit letzter Kraft ins Ziel und nehme um mich herum unter Umständen nichts mehr wahr. Das alles soll doch bitteschön nicht passieren bei meiner Marathon-Premiere. Ich will gut durchkommen. Ich will den Marathon Deutsche Weinstraße ein Stück weit auch als das angehen, was er ja sein soll: ein Landschafts- und Erlebnislauf.

Apropos: Schon die ersten Meter unserer Trainingsrunde zeigen, dass das auch für das Maudacher Bruch gilt. Hier, vor den Toren Ludwigshafens, fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Herrliche Wege, viel Wasser und so mancher Vogel, den man in der Pfalz gar nicht vermutet. André Kossmann weiß schon, warum er mich hierher bestellt hat. Hier hat er seine ersten Runden gedreht, hier ist er unzählige Kilometer gelaufen, hier kennt er jeden Baum. Und er kann meine Taktik für Sonntag nachvollziehen. „Man sollte sich nicht überschätzen. Der erste Marathon wird sehr selten in der maximal möglichen Marathonzeit gelaufen, sondern meist zehn bis 15 Minuten langsamer. Man braucht drei bis vier Marathons, um sich an die wirkliche Bestzeit heranzutasten“, sagt der 54-Jährige.

Ob es so viele bei mir überhaupt werden? Eines ist klar: Die Laufschuhe werde ich danach nicht an den Nagel hängen. Dazu hat mich der Laufsport viel zu sehr gepackt. Auch ein Verdienst der vielen Läufer und Laufgruppen in und um Grünstadt und Eisenberg, die mir geholfen haben, für den Marathon fit zu werden.

André Kossmann hat bereits zehn Marathons auf dem Buckel. „Eigentlich bin ich sehr sparsam und mit Respekt diese Distanz gelaufen, 25 Kilometer oder Halbmarathons dafür wesentlich häufiger“, erzählt er, während wir am Sportgelände des TV Maudach vorbeilaufen. Hier hat André als kleiner Bub seine ersten Sporterfahrungen gesammelt – als Turner. „Da war ich aber ziemlich schlecht“, sagt er lächelnd. Doch sein Trainer wusste Rat, ließ den 15-Jährigen bei einem Waldlauf der Turner mitrennen. „Und da war ich gut.“ Allerdings hat es noch einmal vier Jahre gedauert, bis er vom Laufvirus so richtig infiziert wurde. „Bei der Bundeswehr mussten wir einen 2000-Meter-Lauf machen und ich habe alle überrundet. Daraufhin hat mich unser Kompaniechef, der selbst begeisterter Läufer war, jeden Tag mittags zum Laufen mitgenommen. Es hat Spaß gemacht, ich wurde immer schneller. So bin ich dabei geblieben.“

Nicht nur das, Kossmann lief 1986 in Stuttgart, damals für die Stuttgarter Kickers aktiv, 2:25:32 Stunden über die Marathondistanz. Er hatte das Zeug zum Profi, entschied sich aber anders. „Ich wusste, dass ich irgendwann einen festen Beruf haben muss, also habe ich mich für ein BWL-Studium entschieden.“

Wir wagen derweil den Blick nach oben. Mitten im Maudacher Bruch steht ein 125 Meter hoher Berg, den wir bezwingen wollen – der Michaelsberg, im Volksmund auch „Monte Scherbelino“ genannt, weil er in den in den 50er Jahren aus einer Schutthalde entstanden ist. Der Ausblick hier oben ist herrlich. Wer weiß, wie Andrés Aussichten gewesen wären, wenn er sich doch entschieden hätten, Laufprofi zu werden? „Ich habe viele kennengelernt, die es letztlich nicht geschafft haben“, sagt er.

So hat er es sich lieber zur Aufgabe gemacht, die Läufer auszustatten, war stets in der Laufbekleidungsbranche tätig und stellt unter Kossmann Lauf-Design selbst Kleider her. Keine Kinderarbeit, vernünftige Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze in Deutschland, das bieten seine Nähereien. Zudem legt er Wert auf hautfreundliche Stoffe.

Natürlich steckt hinter all dem viel Arbeit. Zeit, um sich selbst gezielt auf Wettkämpfe vorzubereiten, bleibt da kaum. Dennoch dreht André Kossmann regelmäßig seine Laufrunden. „Man kann überall laufen, lernt Städte, Länder und Menschen kennen. Laufen ist für mich entspannend. 30 Minuten an der frischen Luft, ganz entspannt ohne Uhr oder Herzfrequenzmesser machen ruhig, entspannen und haben schon viele Probleme gelöst, die sich im Büroalltag als unüberwindlich dargestellt haben“, schwärmt Kossmann, der mittlerweile bei Weinheim lebt.

Wobei er mir am Sonntag durchaus zu einer Uhr rät: „Vorher ausrechnen, wie schnell Du laufen kannst. Und dann gleich zu Beginn auf der Uhr die Kilometer-Zwischenzeiten kontrollieren. Fast alle Beginner laufen zu schnell an. Und büßen das zum Schluss. Außerdem ist es wichtig, das Trinken im Training zu üben.“ Wie viel man während des Wettkampfes an Getränken braucht, das müsse jeder selbst wissen. Jedoch ist es wichtig, regelmäßig zu trinken. Das machen wir jetzt auch, beenden ein wirklich herrliches Lauferlebnis. Ich hätte nichts dagegen, wenn ich ein solches auch am Sonntag bekommen würde. (ssl)

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