Grünstadt „Ich habe mich maßlos überschätzt“

Christian Vogel (links), der Protagonist der Dokumentation „Egal was kommt“, erläutert dem Geschäftsführer der Filmwelt Grünstad
Christian Vogel (links), der Protagonist der Dokumentation »Egal was kommt«, erläutert dem Geschäftsführer der Filmwelt Grünstadt, Alexander Cyron, Details an seiner treuen BMW.

Auf dem Vorplatz der Filmwelt Grünstadt reiht sich ein Motorrad an das nächste, drinnen wird im fast vollbesetzten Kino 1 die Doku „Egal was kommt“ gezeigt. Protagonist Christian Vogel aus Waldeck-Frankenberg bei Kassel ist da und beantwortet nach der Vorstellung Publikumsfragen. Zu erleben war am Sonntag in rund 120 Minuten die 333 Tage währende Tour des Bikers rund um die Welt. Ein Trip der besonderen Art – sehr interessant und spannend.

Wer atemberaubende Landschaftsaufnahmen und eine verklärte Geschichte von Freiheit und Abenteuer mit eitel Sonnenschein erwartet hat, wird enttäuscht. Die Bilder, die in zirka 150 deutschen und österreichischen Kinos laufen, sind oft sogar unscharf und überstrahlt. Letztlich ist aber wohl kein Zuschauer enttäuscht. „Ein geiler Film!“, ist aus den hinteren Reihen zu hören. Ein anderer Besucher sagt: „Ich hätte fast geheult.“ Was sich auf der Leinwand abspielt, ist ergreifend, wohl, weil es authentisch ist und Einblicke in alle – auch die unschönen – Facetten gewährt, die die Erfüllung eines Lebenstraums so mit sich bringen kann. „Mit 16, als ich eine Lehre zum Gas- und Wasserinstallateur absolvierte, hab’ ich in der Bild-Zeitung die Kolumne ,Ohne Geld um die Welt’ gelesen“, definiert Vogel die Initialzündung, die schließlich dazu führte, dass er 20.000 Euro ansparte, 2015 seinen Job als freier Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks aufgab, seine Wohnung kündigte und sich von seiner Freundin Miriam verabschiedete. Konkret vorbereitet habe er sich auf seine Reise fünfeinhalb Monate, beantwortet der 37-Jährige eine Frage aus dem Kinopublikum. Ein Film sei ursprünglich gar nicht geplant gewesen. „Ich wollte nur ein Jahr Pause machen.“ Die ersten Bilder zeigen Vogel, wie er in einer Wüste mit größter Kraftanstrengung versucht, seine umgestürzte BMW wieder aufzurichten. Mit Gepäck wiegt das Gefährt etwa 300 Kilogramm. Nach einer Rückblende um einige Monate, in der auch Eltern und Partnerin zu Wort kommen, sitzt der Journalist in einem Flugzeug nach Orlando im Osten der USA. Nein, er habe zuvor keine Route erarbeitet, sagt Vogel im RHEINPFALZ-Gespräch, „aber da ich kein Russisch spreche, habe ich mich für einen leichteren Start im Westen entschieden“. Insgesamt sei es ein Irrglaube, dass man alles im Detail von daheim aus organisieren könne. Um Visa zu erhalten, müsse man mitunter Bestechungsgeld locker machen oder gar jemanden haben, der die eigene Unterschrift fälscht. Die Einreise nach Russland von Vancouver über Seoul nach Wladiwostok sei unproblematisch gewesen. Dafür wird dem Abenteurer aus Sicherheitsgründen davon abgeraten, in dem riesigen Land zu zelten. Drei Tage Dauerregen, miese oder gar keine Straßen, bei 40 Grad im Schatten festgefahren, zwei angebrochene Rippen. „Im Land des Lächelns vergeht mir das Lachen“, beschreibt er in der Doku seine Erfahrungen in China, wo ihm und seiner Internetbekanntschaft ein Aufpasser zur Seite gestellt wird, ohne den die beiden Männer nicht einmal Tanken gehen dürfen. Über lange Zeit funktioniert das Geldabheben nicht, und in Indien zwingt ihn ein folgenschwerer Unfall zu einem wochenlangen Stopp. Zwischendurch, in der Mongolei, ist es so weit: Vogel gesteht sich ein, dass er sich „maßlos überschätzt“ hat. Zweifel kommen auf, dass er sich seinen Traum jemals allein erfüllen kann. Wie er es dennoch geschafft hat, seinen Weg fortzuführen, erklärt er achselzuckend: „Ich hatte keine andere Wahl.“ Allerdings sei er auch stur und im Grunde optimistisch eingestellt. „Wenn man sein Möglichstes tut, geht es schon irgendwie weiter“, so Vogel, dessen Zuversicht nicht auf einer Religion beruht. Seine Erkenntnis nach der 55.000 Kilometer langen Weltumrundung: „Die Mehrzahl der Menschen ist gut. Meist wird einem weitergeholfen.“ Und welches der 22 durchquerten Länder hat den Hessen am meisten beeindruckt? „Pakistan“, sagt er ganz spontan, „wohl auch, weil ich dagegen viele Vorurteile hatte wegen Nine-Eleven und Taliban“.

x