Grünstadt Ahnungen von der Nichtigkeit

„Zeit und Vergänglichkeit“ ist das Thema der Schwarz-Weiß-Fotografien und der Webteppiche von Waltraud Deimel aus Bockenheim. Und so hat sie auch ihre Ausstellung beim Sieben Mühlen Kunst- und Kulturverein Großkarlbach überschrieben, die bis 21. Juni im Kulturtreff Altes Rathaus zu sehen ist.

Beide Ausdrucksformen, Fotografie und Webkunst, nutzt die Künstlerin parallel. „Waltraud Deimel komponiert nicht, sie konstruiert“, sagte die Kunsthistorikerin Alis Hoppenrath, Vorsitzende des Frankenthaler Kunstvereins Die Treidler, in ihrer Einführung. Und in der Tat: Deimel verlässt sich für ihre Fotos nicht nur auf den richtigen Blickwinkel, sie puzzelt die Bildteile zusammen, belichtet doppelt oder gar dreifach. Und doch atmen ihre Fotos den unverfälschten Augenblick, sind nicht am Computer bearbeitet. „Ich bin analog“, betont sie, mit der Digitalkamera könne sie sich nicht anfreunden. Deimel, 1939 in Dresden geboren, ist Fotografin von Beruf, und ihr Werkzeug beherrscht sie. Ein Bild zeigt eine verwelkte Tulpe, die im Todeskampf einen letzten Wassertropfen absondert und das Gesichts einer älteren Frau verdeckt. Deimel greift hier ein Vanitas-Motiv auf – und so nennt sie auch die gesamten Fotoreihe. Das lateinische Wort bedeutet Nichtigkeit, Eitelkeit, Vergeblichkeit. In der jüdisch-christlichen Vorstellung steht es für die Vergänglichkeit. In der Malerei finden sich dafür in früheren Zeiten Motive wie der Totenschädel oder eine Sanduhr, meist in Verbindung mit einem Bild des blühenden Lebens – Deimel setzt eine frische Tulpe oder ein Gesicht neben verwelkende Blumen. Eine Sanduhr hat sie gewebt mit rotgold leuchtendem Kupferdraht. Das Thema erweitert Deimel in der Installation „Zeiten – Zeichen“ um Fotos von rostendem Eisen und zerfallendem Beton. Das Motiv fand sie auf Sylt, wo Ende der 1920er-Jahre Eisenspundbuhnen das Wegspülen des Sands verhindern sollten. Wind, Wellen und Salzwasser haben daran genagt. Es sind melancholische Bilder, die in der Ausstellung untermalt werden durch den gleichförmigen Takt von Metronom und Wellenrauschen. Die Leidenschaft Fotografie hat Deimel auch in der Familienphase nicht losgelassen. Als die Zeit für Fotoaufträge fehlte, hat sie die Gobelinweberei oder Bildwirkerei als neue handwerklich-künstlerische Liebe entdeckt. Zufällig hat sie erfahren, dass in Worms „verrückte Weber zugange“ waren. „Ich bin eigentlich gar kein Handarbeitstyp“, erzählt die heute 76-Jährige. „Aber da wurde ich hellhörig, das wollte ich mir mal angucken.“ Sie tat’s und blieb dabei, ja mehr noch, seit über 30 Jahren gibt Deimel selbst Kurse im Weben. In der Bildwirkerei setzt Deimel neben Gewebe wie Leinen auch nichttextile Materialien wie Kupferdraht, Angelschnur oder Weide ein. Hoppenrath verglich das Weben mit dem Malen: Was dem Maler die Skizze, ist dem Weber der Entwurf, Karton genannt, unter dem Webgut angebracht. Dieser Karton ist normalerweise die Vorlage des Künstlers für eine Webmanufaktur. Deimel aber webt selbst. Die Arbeit beschreibt sie als meditativ. „Ich genieße diese Zeit, weil ich auch viel im Kopf bewegen kann.“ So entstand manche Idee. Zwei Webarbeiten empfangen den Besucher im Hof des Alten Rathauses: „Kreuz der Welt – Verzweiflung und Hoffnung“ nennt Deimel zwei Kreuze: ein christliches und eins, das entfernt an das Andreaskreuz, mehr jedoch an ein Durchstreichen, Durchixen erinnert. Dynamisch wirkt das Zeichen wie die Geste, die, so Hoppenrath, dem Verzweifelten Erleichterung schenkt. Daneben das christliche Kreuz, das auch für das Segnen steht. Stark und fest, verspricht es Halt und Hoffnung. Info Ausstellung „Zeit und Vergänglichkeit“ von Waltraud Deimel bis 21. Juni, Kulturtreff Altes Rathaus, Großkarlbach, geöffnet sonntags sowie an den Feiertagen Fronleichnam (4. Juni) und Pfingstmontag (25. Mai) 14 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung. Finissage am Sonntag, 21. Juni, 14 Uhr: Gedichte, Prosa, Gedanken zum Thema Zeit und Vergänglichkeit.

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