Frankenthal „Nicht die Augen verschließen“

Abdo Agirman ist 1989 aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet. Der heute 47-Jährige gehört gleich im doppelten Sinne einer Minderheit an: Er ist Kurde, er ist Jeside. Die Welt nahm erst in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres richtig Notiz von Menschen mit dieser Glaubensrichtung, als diese von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates im Sindschar-Gebirge im Nordirak eingekesselt wurden. Agirman organisiert mit anderen Familien jesidischen Glaubens Hilfstransporte. „Die Welt kann doch nicht einfach die Augen vor der Not dieser Menschen verschließen“, sagt der 47-Jährige, der mittlerweile deutscher Staatsbürger und als Gemeindearbeiter in Beindersheim beschäftigt ist. Sein Unverständnis für das, was sich da seit Monaten in Syrien und dem Nordirak vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, ist unüberhörbar. Auch die Politik der Bundesregierung sieht Agirman mit Argwohn. Denn bei Kurden moslemischen Glaubens stünden die Jesiden ebenfalls nicht hoch im Kurs. Die Bundesregierung liefere Waffen an den Präsidenten des kurdischen Autonomiegebietes im Nordirak, Masud Barzani. „Die moslemischen Kurden präferieren aber andere Ziele als den Schutz der Jesiden“, sagt Agirman. Neben Agirman sitzt beim Gespräch mit der RHEINPFALZ Amin Avdal Khalaf. Er gehört der jesidischen Priesterkaste an. Khalaf ist aus dem nordirakischen Shingal nach Deutschland geflüchtet. Er lebt im Rhein-Pfalz-Kreis und berichtet von Gräueltaten der Dschihadisten. Sie hätten Jesiden verschleppt, um Lösegeld zu erpressen; dabei sei der Verbleib vieler Menschen lange unklar. Khalaf weiß von Angehörigen, die getötet und verletzt wurden. Er hat noch Angehörige im Krisengebiet, von denen er gerne weitere in Sicherheit wissen würde. Wer könne, der versuche zu fliehen. Die Älteren blieben meist zurück. Viele der aus ihren Dörfern vertriebenen Jesiden trauten sich nicht zurück. Die Dschihadisten hätten ihre Häuser vermint, so Khalaf. Deshalb lebten derzeit viele Jesiden in Wäldern unter notdürftig aus Planen errichteten Unterkünften. Agirman lebte in der Türkei im Dorf Güven (kurdisch Bacin) in der Provinz Mardin. Über Trier und Ingelheim kam er nach Beindersheim. Seit 2002 lebt er mit seiner Frau und den vier Kindern in Eppstein. Er gehört dem jesidischen Gruppe Bacin in Bielefeld an, in der sich Personen aus dem gleichen Heimatgebiet zusammengeschlossen haben. Rund 100 Familien jesidischen Glaubens lebten in einem Umkreis von rund 50 Kilometern um Frankenthal, berichtet Agirman. Regelmäßig gebe es Treffen. Was fehle seien Räumlichkeiten: Anfragen bei Kirchen oder anderen Organisationen seien bisher ins Leere gelaufen. „Niemand konnte uns helfen“, sagt der Eppsteiner. Auch für die Lagerung der gespendeten Hilfsgüter sucht Agirman nach einem geeigneten Platz, möglichst im Raum Frankenthal, Ludwigshafen, Worms. Bisher lagerte er die gespendeten Sachen bei sich im Keller, bis sich ein Hilfstransport auf den Weg macht, zuletzt aus Pforzheim. „Der dortige Bürgermeister hat uns sogar den Transport finanziert.“ Kleidung aller Art, Decken, Feldbetten, Schlafsäcke, Rollstühle und Krücken seien besonders gesucht. Auch um Spenden möglichst stabiler Kartons zum Verpacken der Hilfsgüter bittet Agirman. Und er hat noch eine besondere Bitte: Jeder der Sachspenden abgibt, solle sich doch möglichst mit einem kleinen finanziellen Beitrag für den Transport beteiligen. „Die Kosten sind für uns alleine schwer zu bewältigen.“ Rund 7000 Euro müssten aufgebracht werden, um einen Lastwagen auf die rund 7000 Kilometer weite Strecke zu schicken. 140 Euro haben Vorstandsmitglieder des Flomersheimer SPD-Ortsverbandes, bei dem Agirman Mitglied ist, für die Hilfstransporte gespendet. Der Kontakt von Agirman zur SPD kam über die Flomersheimer Ortsvereinsvorsitzende Marlene Siegel zustande. Die Hilfsgüter gingen zuerst in die Grenzregion in der Türkei. Von dort würden sie an Bedürftige verteilt, ganz gleich, welchen Glauben diese hätten, versichert der 47-Jährige aus Eppstein. Mit Sorgen sieht Agirman das, was sich in Deutschland bei den sogenannten Montagsdemonstrationen derzeit tue. Hier in der Vorderpfalz sei es noch ruhig. Aber in Bielefeld, Hannover oder Celle seien Angehörige seiner Glaubensgemeinschaft schon Anfeindungen ausgesetzt gewesen. (nt)

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