Frankenthal „In der Kommune spielt das Leben“

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Interview: Am Freitag wird Oberbürgermeister Theo Wieder (CDU) im Congress-Forum feierlich verabschiedet. Auch künftig sollte ein „kompromissorientierter Politikstil“ gepflegt werden, fordert er im RHEINPFALZ-Gespräch. In der Flüchtlingsfrage stellt sich der OB eindeutig hinter Kanzlerin Angela Merkel. Und er verrät, dass seine eigene Amtszeit mit einer schmerzhaften Panne begann.

Herr Wieder, 16 Amtsjahre stehen vor dem Abschluss. Welches Fazit ziehen Sie politisch und persönlich?

Das waren spannende, faszinierende Jahre. Es waren sicher die wichtigsten und interessantesten Jahre meines Berufslebens. Es war mir eine große Ehre, das hier tun zu dürfen und damit auch an die Stadt etwas zurückzugeben, die mir in meinem Leben viel gegeben hat. Ich war in der glücklichen Situation, dass mein Beruf mein Hobby war. Ich hatte in diesem Amt eine gewisse Grundidee, wie diese Stadt entwickelt werden sollte. Bei vielem war auch aufzubauen auf dem, was vor mir gestaltet worden ist. Gibt es Baustellen, wo Sie sich schnelleren Fortschritt gewünscht hätten? Es gibt in einer Stadt immer Baustellen. Im Bereich der Kultur gibt es eine große, die heißt Erkenbert-Museum. Die hätte ich gerne noch gestaltet. Das ist jetzt Aufgabe meines Nachfolgers; das wird er sicherlich sehr gut machen. Es wird sicher noch Jahre dauern, bis man dort eine Konzeption entwickelt und fachlich umgesetzt hat. Da hätte ich vielleicht in früheren Jahren etwas genauer hinschauen können. Wie würden Sie Ihr Amtsverständnis als OB beschreiben? Gefühlt haben Sie sich von der Moderation bei der Strohhutfesteröffnung bis zur Auswahl von Feldbetten für Flüchtlingsunterkünfte um alles gekümmert. Das Gestalten, das Agieren mit Menschen, das Moderieren – das ist etwas, was mir Spaß macht. Deswegen habe ich versucht, diesen Spaß einzubringen, ob das die Strohhutfesteröffnung war, ob das andere Veranstaltungen waren. Bei den anderen Themen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es notwendig war, sehr genau hinzuschauen. Dahinter steckt die Einsicht, dass die Probleme nicht kleiner werden, wenn man nicht hinschaut. Sie haben immer wieder darauf hingewiesen, dass Bund und Land den Kommunen Aufgaben zuweisen, aber nicht genügend Geld zur Verfügung stellen. Wo müsste sich am dringendsten was ändern? Bei aller Wertschätzung für Bund und Land: In der Kommune spielt das Leben. Zumindest in Rheinland-Pfalz sind die Kommunen über viele Jahre hinweg in einem Ausmaß ausgeblutet worden, das zur heutigen Situation geführt hat. Das Grundsatzproblem ist nach wie vor nicht gelöst: Jede staatliche Ebene muss für das geradestehen, was sie will. Wenn der Bund einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Zweijährige haben will, wenn das Land es noch für die Einjährigen ergänzt – dann müssen diejenigen, die das so gestalten wollen, dafür auch die Finanzen beisteuern ... ...also: wer bestellt, bezahlt. Die Kommunen haben für alles die Kompetenz, es umzusetzen. Aber man muss uns in die Lage versetzen, dass die Finanzmittel mitkommen. So, wie es jetzt läuft, werden die Städte in Rheinland-Pfalz aus dieser Problematik nicht herauskommen. Wir hatten bei der OB-Stichwahl eine Wahlbeteiligung von 35 Prozent. Was sagt das über den Zustand unserer Demokratie? Das ist ein besorgniserregendes Signal. Die Demokratie wurde erkämpft. Wo es hinführt, wenn die Demokratie nicht mehr da ist, haben wir in der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts mit großem Schmerz ertragen müssen. Meine Botschaft an alle, die vorschnell mit Politikverdrossenheit daherkommen, ist: Denkt dran, was ihr da in der Hand habt. Wer ein Wahlrecht hat, für das andere gekämpft haben und gestorben sind, sollte dieses Recht nicht leichtfertig ignorieren. Das enthebt Politik nicht der Aufgabe, immer wieder zu erklären, was sie tut. Die Menschen insgesamt sind heute einerseits kritischer, andererseits aber uninformierter. Demokratie erfordert Information ... ... und Bereitschaft, diese Information auch aufzunehmen ... Das wäre der nächste Satz gewesen. In einem freien Land habe ich alle Möglichkeiten, mir tiefgehende, gründliche Informationen zu beschaffen. Und nicht nur in oberflächlichen Schlagzeilen zu denken. Haben diejenigen, die „mehr Bürgerbeteiligung“ fordern, ein zu optimistisches Menschenbild? Wenn die Bereitschaft, sich zu informieren, nicht zunimmt, wird die Interessengeleitetheit von Bürgerbeteiligungen noch stärker werden. Wenn’s ganz dick kommt, werden die politisch Verantwortlichen in eine Lage gebracht, in der sie die Probleme nicht mehr lösen können. Das ist meine Sorge. Bürgerbeteiligung im Sinn von Information ist gut, wichtig und sinnvoll – aber im gebotenen Maß. Das Thema Flüchtlinge hat im Lauf des Jahres immer stärker an Bedeutung gewonnen. Um die Kanzlerin abgewandelt zu zitieren: Glauben Sie, „wir schaffen das“? Das hängt davon ab, was „wir schaffen das“ bedeutet. Der Grund der Flüchtlingswelle sind Terror, Krieg, menschenverachtende Regime in vielen Teilen der Welt. Und wenn den Menschen das Haus über dem Kopf zusammengebombt wird, darf man sich nicht wundern, dass sie sagen: „Ich muss mir eine bessere Lebensgrundlage suchen.“ Wir haben uns den Werten der Europäischen Union verpflichtet: Freiheit, Demokratie, Nächstenliebe. Wir sind all denjenigen verpflichtet, die zu uns kommen, eine menschenwürdige Bleibe zu bieten. Umgekehrt müssen wir erwarten, dass Menschen, die dauerhaft hier leben wollen, sich unseren Wertvorstellungen unterwerfen. Die Aufgabe, die uns da gestellt ist, hat uns als Verwaltung an die absolute Belastungsgrenze gebracht. Als wir Flüchtlinge in der Isenachsporthalle unterbringen mussten, war mir klar: Das wird nicht eine Sache weniger Wochen sein. Wir werden diese Unterkunft lange brauchen. Und ein größerer Teil derer, die gekommen sind, wird ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Dann wird die Arbeit intensiv weitergehen müssen. Frage an den Christdemokraten Theo Wieder. Das Thema Flüchtlinge wird in Ihrer Partei stark diskutiert. Die Bundeskanzlerin wird selbst von Parteifreunden heftig angegriffen. Wie stehen Sie dazu? Als Parteimitglied der CDU sage ich: Ich finde es hochproblematisch, wie auch Mitglieder meiner Partei mit dieser Frau umgehen. Was die sich da anhören muss, wie man sie behandelt – beispielsweise auf dem Parteitag der CSU. Das halte ich für unwürdig. Die CDU hat Angela Merkel die langjährige Regierungsfähigkeit zu verdanken. Und dann hat eine Partei gefälligst zu ihrer Spitzenfrau zu stehen, wenn Wind aufkommt. Und sie hat dann die Probleme in den Blick zu nehmen. Was halten Sie von dem Ruf nach einer Obergrenze für Flüchtlinge? Wer das fordert, muss wissen, was er tut. Er fordert die Änderung des Grundgesetzes und die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl. Diese Diskussion ist problematisch. Das Grundrecht auf Asyl wurde ins Grundgesetz eingefügt vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus. Vor diesem Hintergrund steht die Aussage, „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Und zu diesem Anspruch stehe ich ohne Wenn und Aber. Der Satz hat aber eine Kehrseite: Wer nicht als Flüchtling anerkannt ist, der kann in Deutschland kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben. Man darf die Frage des Asylrechts nicht mit der Frage von Einwanderung verwechseln. Und wir brauchen bei dieser Frage europäische Solidarität. Da muss man bei vielen Regierungen umliegender Länder darauf hinweisen, dass Solidarität sich nicht nur dann bewährt, wenn’s darum geht, möglichst viele EU-Fördermittel zu kriegen – die größtenteils auch von Deutschland bezahlt werden. Stichwort Wirtschaft: Sie haben sich stark im City- und Stadtmarketingverein engagiert. Es gibt in jüngster Zeit einige Ladenleerstände mehr als früher. Ist der Einzelhandel für aktuelle Herausforderungen gerüstet? Der Handel ist das eine, die Hauseigentümer sind das andere; für eine gelungene Innenstadtentwicklung braucht man beide. Und man braucht ein marktfähiges Gesamtkonzept und einen Kunden, der verantwortungsbewusst hinschaut, was er tut. Die Rahmenbedingungen haben sich durch die digitale Revolution in einem Ausmaß verändert, das vielen noch gar nicht klar ist. Ein Zukunftsmodell, das diskutiert wird, ist der Kombi-Weg: Das heißt, man hat zwar noch die Ladenfläche in der Innenstadt, aber alle, die dort im Handel sind, schaffen sich auch digitale Plattformen. Da ist sicher bei dem einen oder anderen in Frankenthal noch großer Nachholbedarf. Es gibt tolle Fachgeschäfte, die das schon lange praktizieren, aber es gibt auch welche, die auf diesem Zug noch überhaupt nicht mitfahren. Die werden früher oder später weitere Probleme bekommen. Dazu kommt: Die Marktanforderungen an Ladenimmobilien sind radikal, gerade bei Filialisten. Da ist bei den Anbietern von Immobilien sicher auch ein Denkprozess notwendig. Früher war ein Laden gestern leer, morgen wieder gefüllt. So einfach ist das heute nicht mehr. Die Gestaltungsmöglichkeiten einer Stadtverwaltung und eines Cityvereins sind überschaubar. Wir haben versucht, das Beste in der Vermittlung daraus zu machen. In Rheinland-Pfalz steht uns noch eine weitere Stufe der Verwaltungsreform bevor. Dabei wird auch die Bildung von Stadtkreisen ins Gespräch gebracht. Wie sollte sich Frankenthal hier positionieren? Der Begriff Stadtkreis ist mal vom früheren Speyerer Oberbürgermeister, Werner Schineller, und mir entwickelt worden. Dieses Modell haben wir in den Städtetag eingebracht und der Landesregierung vorgelegt. Ich sag’s mal so: Die bisherige Struktur hat sich in meinen Augen bestens bewährt. Aber wenn man bisher gut war, muss das nicht für die Zukunft gelten. Über alle Fragen kann man offen diskutieren. Ich sehe noch nicht, wo der Vorteil liegt, wenn ortsnahe Verwaltungsebenen, beispielsweise das Bauamt, plötzlich zur Kreisverwaltung nach Ludwigshafen verlagert werden. Was bedeutet „Stadtkreis“ konkret? Ich muss die Gemeinden, die um uns herum liegen, nicht in ihrer Selbstständigkeit angreifen, wenn ich nur die Verwaltung effizienter machen will. Wo steht geschrieben, dass eine Verwaltungseinheit in der Stadt Frankenthal nur angesteuert werden kann durch den Frankenthaler Stadtrat? So regelt es die heutige Gemeindeordnung. Wo steht geschrieben, dass es verboten ist, es so zu organisieren, dass ich die selbstständigen Gemeinderäte in Bobenheim-Roxheim, in Heßheim, in Lambsheim auch die Stadtkreisverwaltung Frankenthal ansteuern lasse? Der Vorschlag liegt auf dem Tisch und wird begutachtet. Wir werden sehen, was herauskommt. Im März nächsten Jahres haben wir eine Landtagswahl. Zurzeit liegt die CDU in Umfragen vorne. Sollte es Ihre Partei schaffen, die Regierung zu bilden, wird sie erfahrene Mitstreiter brauchen. Schließen Sie es aus, in einem solchen Fall ein Amt in Mainz zu übernehmen? Sie stellen aber lustige Fragen ... Wir trauen Ihnen einiges zu. Ich nehme mal an, es ist niemandem entgangen, dass ich, bis das so weit wäre, 61 Jahre alt bin, und dass das eigentlich nicht das Einstiegsalter in andere politische Karrieren ist. Derartige Pläne habe ich nicht. Das war jetzt kein hartes Dementi ... Derartige Pläne habe ich nicht. Ich bin gewählter Vorsitzender des Bezirksverbandes Pfalz, mindestens noch bis 2019. Auf den Gedanken mit Mainz bin ich nicht mal selbst gekommen. Also, aus meiner Sicht stellt sich dieses Thema nicht. Sie haben sich nach unserem Eindruck im OB-Wahlkampf zurückgenommen, Ihren Parteifreund Martin Hebich nicht öffentlich stark wahrnehmbar unterstützt. Wie haben Sie ihn denn im zurückliegenden halben Jahr auf die Herausforderungen des OB-Amts vorbereitet? Ich habe mich so verhalten, wie es der Gesetzgeber von mir fordert. Als Wahlleiter darf ich mich nicht mit dem Amt in die Wahl einmischen. Als Privatperson habe ich Martin Hebich natürlich im innerparteilichen Entscheidungsprozess unterstützt. Ich habe ihn im Wahlkampf mit verschiedenen Ratschlägen versehen – ich habe ja selbst zwei OB-Wahlkämpfe gestaltet. Jeder Mensch ist anders. Als ich vor 16 Jahren ins Haus eingezogen bin, kam ich ja von außen. Da kam niemand und hat gesagt, „das und das ist jetzt zu tun“. Ich bin am 2. Januar 2000 hier reingekommen und als erstes mal vom Stuhl geflogen, weil der nämlich kaputt war ... ...da hatte aber niemand vorher dran gesägt? Die Geschichte kennen nur wenige. Karl-Heinz Abel wollte kommen, um ein Begrüßungsfoto zu machen. Ich setze mich also auf den Stuhl, der im OB-Zimmer steht. Ich lehne mich zurück und – jetzt wird’s nicht mehr ganz so spaßig – der Sessel kippt nach hinten weg. Und ich sause hinten mit dem Kopf knapp am Regal vorbei. Das hat einen Schlag getan, meine Sekretärin kam ins Zimmer gestürzt. Es hat ein bisschen weh getan. Und dann kam Karl-Heinz Abel zum Begrüßungsfoto . Das war der erste Amtstag. So etwas wird Ihrem Nachfolger hoffentlich erspart bleiben ... Martin Hebich hat einen Vorteil: Er ist schon sieben Jahre lang Mitglied des Stadtvorstands; damit weiß man, wie der Laden läuft. Und selbstverständlich habe ich ihm an der einen oder anderen Stelle Hilfestellung gegeben. Ich habe ihn auch darauf vorbereitet, dass die Rolle eines Oberbürgermeisters eine andere ist als die eines Bürgermeisters. Natürlich wird es eine vernünftige Amtsübergabe geben. Unabhängig davon muss er das Recht haben, seine eigenen Wege zu gehen. Dafür wünsche ich ihm natürlich alles Glück der Welt. Ich würde mir wünschen, dass man den kompromissorientierten Politikstil in der Stadt weiterführt. Dass man erkennt, dass der Oberbürgermeister für sich alleine gar nichts ist. Sondern dass man angewiesen ist auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das muss im Mittelpunkt stehen – dann kann man gemeinsam was bewegen für eine Stadt. Zum Schluss ein Blick auf 2016: Können Sie sich vorstellen, dass Sie als „OB a.D.“ dann auch mal als Zuhörer in den Stadtrat kommen, sich vielleicht sogar in der Bürgerfragestunde zu Wort melden? Das Letztere: nein! Ich werde sicherlich nach der offiziellen Übergabe des Amtes eine gewisse Zeit nicht in der Öffentlichkeit der Stadt auftreten. Ich werde auch keine Leserbriefe schreiben. Ich habe genug zu tun mit der Aufgabe des Bezirkstagsvorsitzenden. Ich habe zudem bestimmte Funktionen in der kirchlichen Arbeit. Der Bischof von Speyer hat mich zum Vorsitzenden des Caritas-Rates im Bistum berufen, dort habe ich eine Aufsichtsratsfunktion. Und so wird es das eine oder andere geben, was ich dann noch tue. Aber nicht mehr in der Gestaltung der Stadt. Da hatte ich meine Zeit, und da beginnt jetzt eine andere. Das sehe ich ganz gelassen. Interview: Stephan Pieroth und Jörg Schmihing

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