Marnheim Von der Brücke ins ganze Land

Mehr als 100 Sängerinnen und Sänger solidarisierten sich mit anderen Chören in ganz Deutschland und sangen für Frieden und Freih
Mehr als 100 Sängerinnen und Sänger solidarisierten sich mit anderen Chören in ganz Deutschland und sangen für Frieden und Freiheit.

Rund 120 Menschen nahmen am Tag der Wiedervereinigung an „Deutschland singt – Friede und Einheit“ teil

Der Brückentorso in Marnheim ist steinerner Zeuge dessen, was Kriege entzweien können. Am Tag der Wiedervereinigung trafen sich an diesem symbolträchtigen Ort rund 120 Sängerinnen und Sänger, um der Initiative des Bundesmusikverbands Chor und Orchester zu folgen und mit ganz Deutschland ein doppeltes Friedensjubiläum zu feiern. Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, und vor 30 Jahren wurde unser Land wiedervereinigt. In 150 Städten und Gemeinden – darunter auch Marnheim – erklangen um 19 Uhr Friedenslieder.

Jeder Teilnehmer erhielt am Eingang eine Broschüre mit den Texten der zehn Lieder sowie eine Kerze. Die Besucher hielten den nötigen Abstand ein und sangen mit Masken, die Marnheimer Feuerwehr unterstützte das Einhalten der Corona-Regeln. Unterstützt wurden sie vom Marnheimer Kirchenchor unter Dirigentin Doris Bender und durch die Kantorei Albisheim sowie vom Bläserensemble Splendid Brass und Tobias Roos am Schlagzeug.

„Seht, was wir erreicht haben“

Die Anfangszeit für die Veranstaltung erschien zunächst seltsam: 18.45 Uhr. Doch es gab einen guten Grund dafür: so konnten noch Grußworte gesprochen werden, und gemeinsam mit allen Initiativen in Deutschland konnte das Singen in Marnheim pünktlich um 19 Uhr beginnen. „Der innere Prozess der Vereinigung ist noch nicht abgeschlossen, aber heute feiern wir mit Liedern von Hoffnung, Frieden und Dank“, sagte Pfarrer Michael Mai. Ortsbürgermeister Tim Mühlbach erinnerte daran, dass es deutsche Wehrmachtssoldaten waren, die kurz vor Kriegsende die Bahnbrücke sprengten, um das Eintreffen der Alliierten aufzuhalten. „Auch wenn es Unterschiede gibt, seht was wir erreicht haben, welche Brücken wir gebaut haben.“

Der Brückentorso wurde in den Farben der Französischen Revolution mit ihrem Ruf nach Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit, also blau an den Pfeilern und mit einem weißen und einem roten Bogen angestrahlt. Kreisbeigeordneter Ernst-Ludwig Huy überbrachte im Namen von Landrat Rainer Guth ein Grußwort: „Ich bin stolz auf dieses Land und dankbar, dass die Ostdeutschen diese friedliche Wiedervereinigung bewirkten.“

Die Freiheit der Gedanken besungen

Pünktlich zählte Moderator Mai den Countdown, so konnten die Anwesenden bundesweit zeitgleich beginnen. Zuerst mit „Die Gedanken sind frei“. „Schon vor 600 Jahren wollten Menschen sich nicht einzwängen lassen und sangen von Freiheit. Bis das Lied Ende des 18. Jahrhunderts zum Volkslied wurde. Sophie Scholl spielte es für ihren Vater im KZ, lasst uns dieses Lied mit ganz neuer Frische singen“, lud Mai ein.

„Wind of Change“ nannte er die Wendehymne. „Erinnern Sie sich noch, was Sie am 9. November 1989 taten? Vielen ist das unvergesslich. Ich sehe einen einzelnen Mann vor mir, der auf der Berliner Mauer stand und den Choral ,Nun danket alle Gott’ sang“. Es mache ihm bewusst, dass da eine friedliche Revolution ohne Blutvergießen geschehen sei, die von den Kirchen ausging. „Das scheinbar Unmögliche wurde möglich – Gott sei dank“, leitete Mai das nächste Lied ein.

Immer wieder neue Brücken schlagen

Nun erklangen „Dona nobis pacem“ und „Amazing Grace“, der amerikanische Protestsong der Bürgerrechtsbewegung „We shall overcome“ und in peppigem Rhythmus das israelische Volkslied „Hevennu shalom alechem“. Und dazu „Der Mond ist aufgegangen“, für Mai „ein echtes deutsches Volkslied im nachdenklichen Ton“.

„Über sieben Brücken musst du gehn“ wurde 1971 zum ersten Mal von der DDR-Band Karat gesungen und später im Westen von Peter Maffay übernommen, bis sie es nach der Wende gemeinsam aufnahmen. „Heute singen wir das gemeinsam und schlagen immer wieder neue Brücken“, lud Mai ein. Zum Abschluss der einstündigen Veranstaltung erklangen „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, die deutsche Nationalhymne und die Europahymne. Danach trugen viele Teilnehmer ihre brennenden Kerzen auf den ersten Schritten ihres Heimweges in die Welt hinaus.

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