Donnersbergkreis Vergnügen mit Bernhard

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RAMSEN. Eine glänzend zusammengestellte und vorgetragene, höchst vergnügliche und dabei immer wieder Abgründe der menschlichen Existenz aufreißende Lesung aus dem Werk des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard servierten die Schauspieler Birte Schrein und Severin von Hoensbroech am Samstagabend im Jagdsaal der Forelle am Eiswoog. In den Lesungspausen verwöhnte die Küche des Seehauses Forelle die – wohl des mit Glatteis drohenden Wetters halber – nicht sehr zahlreichen, aber umso aufmerksameren Gäste mit einem höchst leckeren Menü.

Er war zweifellos ein seltsamer, kaum für andere erreichbarer Gesell, dieser gleichwohl mit vielen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller, der vorzugsweise die unangenehmen Seiten der menschlichen Existenz in Gestalt verschrobener Selbstbezogenheit in seinen Texten hervorhob. Viel davon erklärt sich aus Bernhards Biographie. Wegen eines Lungenleidens wanderte er in seiner Jugend von Sanatorium zu Sanatorium. Mit 19 Jahren sah er sich in ein Badezimmer zum Sterben abgeschoben; das Personal kam nur noch, um zu sehen, ob er schon tot sei. Da habe er unter Aufbietung aller Kräfte beschlossen weiterzuleben. Der Tod blieb indes in seinem Leben und in seinem Werk ein ständiger Begleiter. Er rede über den Tod wie andere Leute über eine Semmel, sagte er einmal. Dies alles und manches Bezeichnende mehr geht aus einem Interview hervor, das der Journalist André Müller Bernhard im Jahr 1979 regelrecht abtrotzte – indem er den Schriftsteller, der vorher auf keinen Kontaktversuch geantwortet hatte, in seinem ländlichen Domizil aufsuchte und regelrecht belagerte, bis er schließlich die Erlaubnis erhielt, das Tonband einzuschalten. Birte Schrein las die Fragen und Schilderungen Müllers, Severin von Hoensbroech die Antworten Bernhards, ganz ohne den Versuch, das österreichische Kolorit der Bernhardschen Sprache nachzuahmen, aber mit glaubwürdiger Vergegenwärtigung der harten Entschiedenheit, mit der Bernhard seine Antworten ausstieß. Da war viel Spiegelfechterei mit überspitzten Sätzen voll grimmigen Humors, aber auch zwischendrin immer wieder die Bereitschaft zu ehrlicher, ungeschminkter Auskunft, etwa wenn es um Bernhards Verhältnis zu Liebe, Sexualität, überhaupt zu anderen Menschen ging: Er sei in einem Alter, wo andere sich damit zu befassen pflegen, vollauf von der Aufgabe in Anspruch genommen gewesen, zu überleben: eine Antwort, in die vieles eingeschlossen ist. Dieses Müllersche Interview bildete den Rahmen der Lesung. Es war immer wieder ungemein amüsant anzuhören in seinen krassen, schlagfertigen Bemerkungen. Und es enthüllte zugleich vieles über Bernhard, so dass nicht wenige aus dem Publikum in den Pausen und danach sich erkundigten, was man wohl am besten zuerst liest, wenn man Bernhard kennenlernen will. Zwischen den einzelnen Gesprächsteilen lasen die beiden Rezitatoren Ausschnitte aus Bernhards Schriften. Da gab es zum Beispiel eine geradezu groteske Novelle aus Johann Wolfgang von Goethes letzten Lebenstagen, welche mit großer Lust an herrlichen, komplizierten und weit gespannten Satzperioden zunächst ungebrochen Goethes Milieu in Weimar ausmalt, bis Goethe, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, auf Ludwig Wittgenstein, einen Philosophen des 20. Jahrhunderts zu sprechen kommt und seinen Beauftragten aussendet, diesen aus England zu Besuch zu laden, was daran scheitert, dass Wittgenstein am Tage vor dem Eintreffen des Sekretärs gestorben ist. Diese Geschichte ist auf mancherlei Ebene so ironisch, dass allein dies schon ein großes Vergnügen macht. Birte Schrein macht in ihrem exzellenten Vortrag dieser komplexen, viele Zeilen langen Satzgebilde ein Zweites sinnfällig: wie wunderschön, wie hochmusikalisch Bernhards Sprache ist, wie reich an syntaktischen Möglichkeiten und feinen Schattierungen von Ernst, Ironie und tieferer Bedeutung. Ähnlich grotesk, wiewohl Bernhards eigenem Erleben entnommen, war die von Severin von Hoensbroech ungemein lebendig vorgetragene Schilderung des Autors, wie er zweimal nach Bremen reiste, um einen Literaturpreis anzunehmen und in der Folge, um in der Jury mit über den nächsten Preisträger zu befinden. Mit wenigen Strichen weiß Bernhard sein Gegenüber treffend zu karikieren und dabei auch noch manches nicht eben Schmeichelhafte über die Befindlichkeit der Bundesrepublik durch – wie es scheint – reine Schilderung des Vorgefallenen zu enthüllen. Der Beifall für diese kurzweilige, gut gelaunt gebotene Literaturkunde des Vereins „Eiswoog heute“ war beim auf das Angenehmste gesättigten Publikum groß, und gern blieb man noch zum Austausch über das Gehörte im Jagdsaal beisammen.

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