Donnersbergkreis Immesheim: Das wohl zufriedenste Dorf der Region

Als die RHEINPFALZ am Dienstag gegen 17 Uhr zum Dorfspaziergang eintraf, öffnete der Himmel seine Schleusen. Ihre gute Laune verloren die Immesheimer aber nicht: Im strömenden Regen führte ein unverdrossenes Trüppchen den Redakteuren stolz seine 148-Seelen-Gemeinde vor. Wo Regen und Schlamm die Straße fast unpassierbar machten, wurde eine Behelfsbrücke gebaut.

„Drei, zwei, eins – uuund Schirme weg!“: RHEINPFALZ-Fotograf Thomas Stepan steht am Fenster im Obergeschoss der alten Schule und dirigiert die Menge auf dem Dorfplatz. Das große Gruppenfoto soll jetzt gemacht werden, aber es gießt wie aus Eimern. „Ich zähl von drei runter, dann klappt ihr kurz die Schirme zusammen, ich drück auf den Auslöser, und ihr dürft die Schirme wieder hochnehmen.“ Es klappt auf Anhieb, und dem Bild sieht man hinterher kaum an, unter welch erschwerten Bedingungen es entstand.

Kurz bevor die RHEINPFALZ kam, schien der Himmel seine Luken noch halbwegs dicht zu halten. Doch nur wenige Minuten später wird jede halbwegs trockene Ecke unter Bäumen, in den Räumen der Feuerwehr und im Dorfgemeinschaftshaus belagert. Letzteres war, wie fast überall, früher einmal die Schule und ist jetzt in den Worten von Ortschef Kurt Kauk „unser Wohnstubb“. Anfang der 1990er Jahre wurde das Gebäude von Grund auf renoviert. Heute wird es für Veranstaltungen, Sitzungen aber auch Privatfeiern genutzt.

Auf dem Grill brutzeln Würstchen

Trotz des strömenden Regens wirft die Feuerwehr unterm schützenden Dach ihres Gerätehauses die Würstchen auf den Grill. Der – solide auf drei Beinen stehend und mit einer riesigen Pfanne, die viel Holz oder auch Holzkohle aufnehmen kann, – ist etwas ganz Besonderes: „Er war früher mal eine Kelter“, verrät Kauk. „Sie stand lange in einem Vorgarten und rottete vor sich hin.“ Irgendwann habe er gedacht, da müsste man doch was draus machen. Die Kurbel der Kelter dient jetzt dazu, den an vier Ketten hängenden Rost hoch und runter zu hängen, und in den Schutzring wurde der Schriftzug der Feuerwehr gelasert. Die Marke Eigen(um)bau funktioniert tadellos: Kurz darauf werden schon die ersten Würstchen serviert. Auch für Vegetarier ist mit Käsebrötchen gesorgt.

Während ein Teil der Immesheimer noch kaut, setzt sich unter der Führung von Kurt Kauk und seinem Amtsvorgänger Fritz Lanninger ein Trüppchen in Bewegung. Die aufgespannten Schirme bieten allerdings wenig Schutz, da der Wind den Regen unerbittlich auch von den Seiten heranpeitscht. Egal, jetzt wird der Spaziergang durchgezogen. Die Stimmung ist trotz allem gut, nur wird nicht, wie eigentlich geplant, an jeder halbwegs schönen Ecke, von denen der Ort einige zu bieten hat, Halt gemacht. Vielmehr nimmt man zügig von hinten über den Friedhof die Kirche ins Visier.

Dass dies keine gewöhnliche Dorfkirche ist, ist auch durch den Regen zu erkennen. Von vorn wirkt sie durchaus modern, von hinten dagegen uralt. Und mit diesem Eindruck liegt der Betrachter gar nicht falsch, wie Erich Vollet gerne erläutert. Sie besteht nämlich tatsächlich aus zwei Teilen: Erstmals erwähnt 1375, zerfiel das Hauptschiff irgendwann, möglicherweise im Dreißigjährigen Krieg, genau weiß man das nicht mehr, zur Ruine und wurde mit einer Mauer von Chorraum getrennt, der als Kapelle erhalten blieb, aber nur Platz für wenige Menschen bot. Der Großteil der Gottesdienstbesucher musste draußen im Freien stehen. Anfang der 1960er Jahre wurde sich aufgemacht, diesen Zustand zu ändern. Während der gotische Chor erhalten blieb, wurde ein moderner Teil angebaut – genau in den Maßen des alten Schiffs. Bei den Umbauarbeiten kamen dann original erhaltene Fresken in der Fensternische zutage, die die Heiligen Katharina, Dorothea, Petrus und Jakobus den Älteren zeigen.

„Um Sechs wern die Glocke gelitt“

Während Vollet noch erzählt, wie der neue Altar damals von seinem Großvater mit dem Pferdefuhrwerk im Wormser Paulusstift abgeholt wurde, rumpelt es plötzlich im Gebälk. Es wird doch jetzt nicht auch noch donnern? Ortschef Kauk gibt Entwarnung: „Bei uns wern um Sechs noch die Glocke gelitt!“ Und schon dröhnt das Geläut durch das Kirchenschiff, während draußen immer noch der Regen unnachgiebig vom Himmel rauscht.

Aber es hilft ja alles nichts. Ab durch den Regen geht es schließlich Richtung Hauptstraße zum Wohnhaus von Angelika Schneider-Funk, die dort im vergangenen Jahr ihre „Crazy Music School“ für elementare Musikerziehung eröffnet hat. Sie bietet Musiktherapie für verhaltensauffällige Kinder, beispielsweise solche mit ADHS, aber auch für Senioren mit Demenzerkrankungen. Sie selbst ist gerade in Schleswig-Holstein, dafür gibt Ehemann Carsten Funk einen Einblick in die Arbeit seiner Frau, die ihren Job im Einzelhandel an den Nagel gehängt hat, um sich nur noch der Musik zu widmen. Neben ihrer therapeutischen Arbeit singt sie auch selbst: auf Hochzeiten zum Beispiel. Das Ehepaar ist 2014 nach Immesheim gezogen. Wie Funk, der Mainzer ist, sagt, fühlt es sich inzwischen schon mehr als heimisch.

Auf dem Weg zu Bianca Rathmanns Wellness-Atelier hat sich die Straße in einen Schlammbach verwandelt. Doch ihr Mann weiß Rat – und legt kurzerhand einige Holzlatten als Brücken über den Wasserlauf. Die geborene Mainzerin, die auch schon im rheinhessischen Gau-Odernheim gewohnt hat, lebt seit 24 Jahren in Immesheim – und fühlt sich pudelwohl. „Ich hätte niemals woanders bauen können“, sagt sie mit Blick auf das ganz aus Holz gebaute Haus, in das sie vor kurzen erst mit Mann und Hund gezogen ist.

Oben wohnt die Familie, unten hat Bianca Rathmann ihr Wellness-Atelier, wo sie Fußpflege, Massage und Kosmetikbehandlungen anbietet – und für die durchnässten Spaziergänger jetzt auch heißen Tee oder Kaffee. Rathmann hat Arzthelferin gelernt, später eine Ausbildung zur Kosmetikerin, Fußpflegerin und Massagetherapeutin gemacht. Seit sechs Jahren ist sie selbstständig. An Immesheim liebt sie „die Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung, und dass man trotzdem seine Ruhe hat, wenn man das will, und sich auch mal zurückziehen kann“.

Die Gemeinschaft und Unterstützung schätzen auch die anderen Immesheimer. Zum Beispiel Fritz Lanninger. Er kümmert sich mit seiner Frau Renate um das im 18. Jahrhundert errichtete Kreuz in der Hauptstraße. Vor Jahren, noch als Bürgermeister, hat er dafür gesorgt, dass der Sockel, der am Zerbröckeln war, restauriert wurde. Die Immesheimer seien sofort bereit gewesen, 12.000 Euro dafür zu spenden. Als die Finanzierung schon stand, sei noch ein Spender mit einer größeren Summe gekommen. Von seinem Geld wurden dann die Friedhofstore abgestrahlt und pulverbeschichtet.

Wo es Arbeit gibt, sind auch Helfer

Amtsnachfolger Kauk hat keine Sorge, dass der Ort, der sich keinen Gemeindearbeiter leisten kann, auch künftig gut gepflegt wird: Wo etwas zu arbeiten sei, seien gleich 15, 16 Freiwillige da. „Jeder hilft mit, auch die Jugend ist sehr engagiert“, sagt er stolz. Ein Beispiel sei die Grünflächenaktion, bei der viele Bürger mitmachen, „weil sie sich damit identifizieren“. Aber auch Veranstaltungen im Dorf seien immer gut besucht. Warum das so ist, dazu hat Lanninger eine Theorie: „In der Stadt sagen die Leute: ,Ich muss da nicht hin, es werden auch so genug kommen.’ In einem kleinen Ort denkt jeder: ,Ich geh hin, damit jemand da ist.’“ Übrigens: Erst vor drei Monaten ist das jüngste Mitglied der Gemeinde auf die Welt gekommen: Lanningers Enkelin Lena. Und der älteste Bürger, Arthur Preiß, feiert am 14. Oktober seinen 89. Geburtstag.

Pünktlich zum Ende des Rundgangs hört es auf zu regnen. Und so beißt der eine oder andere Immesheimer beim Abschluss am offenen Feuer des Grills genussvoll in eine zweite Wurst. Auf die Frage, was im Dorf denn fehle, ob es auch etwas zu Kritisieren gebe, folgt erst kollektives Kopfschütteln. Dann fällt einem Bürger doch noch etwas ein: Die fehlenden Busse. „Man braucht halt ein Auto.“ Nach kurzem Hin und Her sind sich aber alle einig: Alles halb so schlimm. Dann geht man halt die zwei Kilometer zur nächsten Bushaltestelle zu Fuß. „Frieher is mer nur geloff“, wirft eine Bürgerin in die Runde, die zustimmend nickt. Und so scheint es, als wären alle wieder rundum zufrieden. Eine Tatsache, die die RHEINPFALZ-Redakteure nach diesem Besuch aber keineswegs wundert.

Dem Regen zum Trotz macht sich eine Gruppe unter Führung von Kurt Kauk (Zweiter von rechts) und seinem Amtsvorgänger Fritz Lanni
Dem Regen zum Trotz macht sich eine Gruppe unter Führung von Kurt Kauk (Zweiter von rechts) und seinem Amtsvorgänger Fritz Lanniger (links daneben) auf zum Dorfspaziergang. Foto: Stepan
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Foto: Stepan
Die Fensternische mit den original gotischen Fresken befindet sich im Chor der Kirche.
Die Fensternische mit den original gotischen Fresken befindet sich im Chor der Kirche. Foto: Stepan
Erich Vollet erläutert, wie es zum Wiederaufbau der Kirche Anfang der 1960er Jahre kam, nachdem das 1375 gebaute Schiff verfalle
Erich Vollet erläutert, wie es zum Wiederaufbau der Kirche Anfang der 1960er Jahre kam, nachdem das 1375 gebaute Schiff verfallen und der ehemalige Chor rund 200 Jahre lang als Kapelle genutzt worden war. Foto: Stepan
Man muss sich nur zu helfen wissen... Weil die Straße auf dem Weg zum Wellness-Center von Bianca Rathmann eher einem Schlammbach
Man muss sich nur zu helfen wissen... Weil die Straße auf dem Weg zum Wellness-Center von Bianca Rathmann eher einem Schlammbach glich, wurde aus Brettern kurzerhand eine Ad-hoc-Brücke verlegt. Foto: Stepan
Das im 18. Jahrhundert errichtete Kreuz in der Hauptstraße.
Das im 18. Jahrhundert errichtete Kreuz in der Hauptstraße. Foto: Stepan
Holz dominiert in den räumen von Bianca Rathmanns Wellness-Atelier.
Holz dominiert in den räumen von Bianca Rathmanns Wellness-Atelier. Foto: Stepan
In Angelika Schneider-Funks „Crazy Music School“ wird auch mal geboxt, wenn es sein muss.
In Angelika Schneider-Funks »Crazy Music School« wird auch mal geboxt, wenn es sein muss. Foto: Stepan
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