Donnersbergkreis Gekommen, um zu bleiben?
„Wir sehen die Tendenz, dass diese Menschen – wenn erst mal ihre Anerkennung da ist – vom Land weggehen. Das ist schade, nicht zuletzt wegen der vielen Arbeit, die hier vor Ort von den Ehrenamtlichen geleistet worden ist. Man sollte schauen, was sind die Probleme, was könnten wir verbessern, was sind die Faktoren, damit die Zuwanderer langfristig bei uns bleiben.“ Sabine Bold, Geschäftsbereichsleiterin bei der VG Rockenhausen (auch) für Soziales, bringt die Problem- und Zielvorstellung des IN²-Projektes – so die Kurzform – treffend auf den Punkt. Die weiteren Teilnehmer des Gesprächs mit der RHEINPFALZ nicken: Rockenhausens Verbandsbürgermeister Michael Cullmann, Hans-Josef Hunz – Büro- und Projektleiter der VG Gerolstein –, Marina Jentsch und Klaus Fischer vom Institut für Technologie und Arbeit an der Technischen Universität Kaiserslautern sowie Patrick Torakai und Carsten Fels vom Lehrstuhl Stadtplanung der TU. Sie alle – und andere mehr (siehe „Zur Sache“) – versuchen in dem auf drei Jahre angelegten Forschungsvorhaben Lösungen für mehrere Herausforderungen zu finden. „Das Wanderungssaldo hat sich bundesweit seit 2010 verzehnfacht“, sagt Jentsch, bei der die Fäden des Projekts zusammenlaufen. Cullmann weist darauf hin, dass in „seiner“ VG bisher etwa 140 Menschen Zuflucht gefunden haben. „Wir sind aufgefordert, zielgerichtet und verantwortungsbewusst mit der Situation in unseren Gemeinden umzugehen, aber nicht in Entscheidungen aus Berlin und Brüssel eingebunden.“ Hunz skizziert für die VG Gerolstein eine parallele Entwicklung, die unter dem Begriff „demografischer Wandel“ bekannt ist und in ähnlicher Weise Rockenhausen betrifft: „Wir verlieren pro Jahr durchschnittlich 70 Einwohner. Zieht man die Zuwanderer ab, sind es ungefähr doppelt so viele – unsere Dörfer stehen zusehends leer und veröden.“ Die eine Tendenz nutzen, um die andere abzumildern: So lautet die Zauberformel von IN². Denn, wie Jentsch betont, „Migrationswellen sind auch eine große Chance für periphere Kommunen, für strukturschwache, ländliche Räume“. Hunz bestätigt, dass „wir diesbezüglich in den 1990er Jahren sehr gute Erfahrungen mit Zuwanderern aus den GUS-Staaten gemacht haben. Ein Großteil dieser Menschen ist bei uns geblieben, zum Teil auch sehr gut integriert.“ Cullmann hat ebenfalls beobachtet, dass „wir unter den momentan hier lebenden Flüchtlingen einen guten Prozentsatz haben, die durchaus bereit sind, dauerhaft hier zu bleiben. Wir haben eine deutlich bessere Wohnraumsituation, vor allem ist die soziale Integration viel einfacher als in großen Städten.“ Neuankömmlinge würden vielfach „an die Hand genommen“ und unterstützt, etwa beim Ausfüllen von Anträgen oder bei Behördengängen. Nur: So dankbar die meisten Zuwanderer für diese Starthilfen sind – auf Dauer reicht das nicht, um sie auf dem Land zu halten. „Wir haben ein unglaubliches ehrenamtliches Engagement, zeitweise kam bei uns auf einen Flüchtling ein Helfer. Doch ich habe unseren Leuten von Anfang an gesagt: Es kann sein, dass ihr da viel Herzblut reinsteckt und diese Menschen, wenn sie ihre Anerkennung haben, trotzdem wegziehen“, so Cullmann. Dies habe sich bislang zwar nur zum Teil bestätigt, aber wie die anderen Beteiligten ist der VG-Chef überzeugt: Ohne entsprechende Strategien und Maßnahmen werden viele den Lockungen der Städte auf Dauer nicht widerstehen. Die Gründe liegen auf der Hand: In den Zentren sind die Neubürger – viele ohne Führerschein – mobiler, haben einen größeren Aktionsraum und zudem oft eine bessere DSL- beziehungsweise Mobilfunk-Versorgung. Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sind wesentlich größer, ebenso die Erfahrung mit „Multi-Kulti“. Außerdem gibt es dort mehr und größere ethnische Gemeinschaften, denen sich die Flüchtlinge zugehörig fühlen. Für Cullmann besteht die Kunst nun darin, „allen Zuwanderern die Möglichkeit zu geben, sich entsprechend ihren – völlig unterschiedlichen – Fähigkeiten zu entfalten, sie in Lohn und Brot zu bringen. Das ist auf dem Land entsprechend schwieriger“. Im Laufe von IN² sollen die von Cullmann bereits angerissenen Vorteile des ländlichen Raumes – Nähe und Verbundenheit, bessere Umweltbedingungen, mehr Lebensqualität, günstigerer Wohnraum – systematisch erfasst und ausgebaut, an den Defiziten gearbeitet und bereits bestehende Initiativen vernetzt werden. Der Bürgermeister verspricht sich von IN² für „seine“ VG, „dass die durch ehrenamtliche Helfer geleistete Hilfe fachlich unterstützt wird“. Und sollte sich im Laufe des Projekts herausstellen, „dass es infrastrukturelle Defizite gibt, die ein Verbleiben in unserer Region erschweren, erwarten wir uns hierauf klare Hinweise und Lösungsansätze“, so Cullmann. Gelingt es, dass Zuwanderer auf dem Land sesshaft werden, könnten dadurch automatisch die demografische Situation und der Arbeitsmarkt in der Region stabilisiert werden. Die beiden VGs erhoffen sich zudem Fingerzeige, wie allgemein die Landflucht gestoppt oder zumindest gebremst werden kann. „Faktoren, warum Flüchtlinge hier weg gehen, können ja die gleichen Faktoren sein, warum auch junge einheimische Menschen unsere VG verlassen“, sagt Cullmann. Schnelles Internet ist ein Stichwort, ÖPNV ein anderes. Klaus Fischer hebt deshalb hervor, dass „nicht nur die Frage wie Flüchtlinge, sondern wie Menschen generell auf dem Land gehalten werden können“ im Fokus von IN² steht. Dessen Erkenntnisse sollen zudem „über die lokale Ebene hinaus weitergegeben werden“, ergänzt Patrick Torakai: Geplant ist ein „praxisnaher Leitfaden“, den auch andere Kommunen nutzen können. Fischer betont, dass IN² „kein reines Forschungsprojekt ist“, sondern Akteure vor Ort einbeziehen will: Vertreter der lokalen Politik und Wirtschaft, Vereine, Ehrenamtler in der Flüchtlingshilfe sowie die Zuwanderer selbst. Der Praxisbezug sei schon daran zu erkennen, dass an beiden Verbandsgemeinden eine eigene Stelle für das Projekt geschaffen worden ist (siehe „Zur Sache“). Fischer dankte Cullmann für dessen Zusage, „Türöffnerfunktionen“ übernehmen zu wollen. Derzeit wird eine erste – zunächst knappe – Befragung der Zuwanderer vorbereitet, erläutert Jentsch. „Parallel dazu sortieren wir mögliche Akteure und Institutionen, die dann gezielt angesprochen werden sollen.“ Auch werde ein Coaching-Konzept für die beiden „Netzwerkerinnen“ bei den Verbandsgemeinden erstellt. Für Herbst ist eine öffentliche Auftaktveranstaltung geplant, in der auch um Mitarbeit der Bevölkerung geworben werden soll. Noch stehe IN² ganz am Anfang, betont Fischer, aber Ideen gibt es schon einige: E-Learning-Formate für Flüchtlinge auf dem Land, Abbau bürokratischer Hürden auf dem Arbeitsmarkt, Netzwerke über die kommunale Ebene hinaus, Kooperationen mit Fernhochschulen und, und, und. Die Beteiligten freuen sich darauf, endlich loslegen zu dürfen. Auf sie wartet viel Arbeit, dass Menschen in die Verbandsgemeinden Rockenhausen und Gerolstein nicht nur kommen, sondern auch bleiben. Info Mehr zum Projekt im Internet unter www.integration-innovativ.de