Donnersbergkreis Dem Aus folgen „Blitzhochzeiten“

In unserer Serie „Schnappschüsse von früher“ veröffentlichen wir in loser Folge alte Fotos und ihre Geschichten. Die heutigen Aufnahmen hat uns unser Mitarbeiter Arno Mohr zur Verfügung gestellt. Von ihm stammt auch der Text.

Dass Behörden geschlossen oder umstrukturiert werden, ist nicht nur heutzutage Thema. Schon vor Jahrzehnten war dies an der Tagesordnung. Beispiel: das Finanzamt Obermoschel. Zum 1. August 1967 wurde das Finanzamt durch eine Verfügung der Oberfinanzdirektion Koblenz vom 28. Juli aufgelöst. 45 Jahre lang hatte die kleinste pfälzische Stadt diese Finanzinstitution mit zuletzt rund 30 Mitarbeitern beherbergt. In einem stattlichen Sandsteingebäude in der Richard-Müller-Straße untergebracht, war das Amt für die Erhebung und Verwaltung der Steuern, auch die Kraftfahrzeugsteuer, in 42 Gemeinden mit rund 28.000 Einwohnern im nördlichen Teil der Nordpfalz zuständig, darunter auch Gemeinden im heutigen Landkreis Bad Kreuznach. Das Amt kümmerte sich um drei Sachgebiete: Das Erste beinhaltete die Einkommens- und Gewerbesteuer sowie den Lastenausgleich, Sachgebiet II umfasste die Umsatz- und Vermögenssteuer sowie die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, zu Gebiet III zählte die Finanzkasse mit Buchhaltung. Für das Jahr 1959 weist das Finanzamt Obermoschel sechs Groß- und 72 Mittelbetriebe auf. Es gab 320 Klein- und 1361 Kleinstbetriebe. Neben den zwei überregional bekannten Herstellern von Landwirtschaftsmaschinen (Ludwig und Otto Keiper) gab es auch damals schon eine gute Struktur mit Weinbau-, Handwerks- und Einzelhandelsbetrieben wie auch ein aufblühendes Kfz-Gewerbe. Hinzu kam eine beachtliche Anzahl von mittel- und kleinbäuerlichen Betrieben. Vier Millionen Mark betrug das jährliche Steueraufkommen im Finanzamtsbezirk Obermoschel. Amt und Unternehmer profitierten damals voneinander; man kannte sich, die Wege waren kurz. Gab es Probleme mit der Steuer, sprach man persönlich im Amt vor oder beredete es in der Stadt oder bei Veranstaltungen. Unbürokratische Lösungen waren an der Tagesordnung, schließlich kannte jeder die Bediensteten des Finanzamtes persönlich. Zweimal pro Woche boten Gewerbetreibende aus der Region vor dem Amt ihr Obst, Gemüse oder andere Kleinigkeiten zum Kauf an. Das nutzten nicht nur die Mitarbeiter des Amtes, sondern auch die Bevölkerung. Und nicht selten, schreibt Dieter Michel, Sohn des vorletzten Finanzamtsvorstehers Walter Michel, in der Stadtchronik, wurden Ärger oder Freude über einen Amtsbescheid mit einigen „Halwe“ in den ortsansässigen Wirtschaften begossen. So sei der „Ärger“ schnell vergessen gewesen. Michels erinnert sich auch an Schreiben an das „liebe Viehnanzamt“ in Obermoschel. Sein Vater, der für die Leitungsstelle aus Apolda (Thüringen) nach Obermoschel kam, sei von der Freundlichkeit und Urwüchsigkeit wie auch dem Humor der Obermoscheler begeistert gewesen. Mit dem 1. August 1967 war es noch nicht ganz vorbei mit dem Finanzamt in Obermoschel. Noch einige Wochen verrichteten die Mitarbeiter hier ihre Arbeit, bevor sie den Finanzämtern Bad Kreuznach und Kaiserslautern zugeteilt wurden. Das hatte sich auch bei den Angestellten herumgesprochen. Unter einigen jungen, unverheirateten Mitarbeitern soll es laut Ernst Lamb aus Unkenbach, einem frühen Bediensteten des Finanzamtes, nach der Information über die Auflösung zu sogenannten „Blitzhochzeiten“ gekommen sein. Schließlich erhöhten sich mit einer Heirat die Chancen, nicht nach Kaiserslautern versetzt zu werden, sondern in das näher liegende Finanzamt Bad Kreuznach. Gegründet worden war das Finanzamt Obermoschel wohl im Zuge des Aufbaus der Reichsfinanzverwaltung in den 1920er Jahren. Weil die Pfalz damals noch zu Bayern gehörte, war zunächst das Landesfinanzamt Würzburg vorgesetzte Behörde. Mit der Bildung des Landes Rheinland-Pfalz kam der Finanzamtsbezirk in den Bereich der Oberfinanzdirektion Koblenz. Letzter Vorsteher des Finanzamtes war von 1965 bis 1967 Steuerrat Paul Feldmann. Ständiger Vertreter des Vorstehers war der Steueramtmann Heinrich – genannt Hugo – Reichert, Geschäftsstellenleiter war Steuerhauptsekretär Otto Miesemer, der in Alsenz wohnte. Für die Vorsteher bestand Residenzpflicht. Ihre Diensträume befanden sich im ersten Geschoss. Heute gehört das Gebäude einer Privatperson und wird als Wohn- und Mietshaus genutzt.

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