Donnersbergkreis Bei den „Schmuddelkindern“ zu Besuch

Luden ein zum „Tisch unter Pflaumenbäumen“: Uli Holzhausen und Matthias Leßmeister ließen mit Franz Josef Degenhardt eine so gal
Luden ein zum »Tisch unter Pflaumenbäumen«: Uli Holzhausen und Matthias Leßmeister ließen mit Franz Josef Degenhardt eine so gallige wie kritische und poetische Stimme der 68er wieder aufleben.

«WEIERHOF.» Die Lieder Franz-Josef Degenhardts haben eine ganze Generation politisch engagierter Menschen geprägt, beeinflusst und zu Diskussionen angeregt. Doch füllen sie heute noch einen Konzertraum? Durchaus, auch wenn die Gäste eindeutig eher der Ü60-Generation angehören und weniger den U30, wie die Chefin des Blauen Hauses, Ruth Leyendecker, bei der Begrüßung des Konzertes mit Uli Holzhausen und Matthias Leßmeister schmunzelnd feststellte.

„Der, der meine Lieder singt“, so nannten die beiden ihr Programm nach einem bekannten Lied Degenhardts, in dem der Liedermacher den Wolf im Schafspelz, den Menschenverächter hinter der Maske des Gutbürgerlichen einmal mehr anprangert. Quer durch das poetische und musikalische Schaffen der Ikone der 68er-Bewegung ging die musikalische Reise, von seinen frühen Erfolgen bis hin zu kritischen Stücken, die Degenhardt kurz vor seinem Tod im Jahr 2011 geschrieben hatte. Uli Holzhausen spielt die Gitarre souverän und singt. Doch anders als sein Vorbild Degenhardt besitzt Holzmeister eine sehr angenehme Stimme, die Art seines Vortrages steht in der Tradition des französischen Chansons, erinnert an George Brassens, während Degenhardt knarzte, bitter intonierte, überzog in der Artikulation, um seine Botschaft zu unterstreichen. Ebenfalls angelegt an die französische Liedermacherkunst erklang das Akkordeon Matthias Leßmeisters. Ungewohnt als Begleitung der bösen Texte, originell dazu im Kontrast und charmant bei den Instrumentalstücken, setzte Leßmeister einen besonderen Akzent an diesem Abend. Was den Alt-68ern vertraut war, hätten jüngere Zuhörer als Geschichtsstunde zur Erläuterung der gesellschaftlichen Stimmung in der Nachkriegszeit und in den 1960er und 1970er-Jahren erleben können. Degenhardt war links, poetisch, böse und genau beobachtend bis zuletzt. Aus dem Jahr 2008 stammt sein Lied „Auf der Heide“, hier besucht er das unbekannte Grab von Rudi Dutschke und stellt im Gespräch mit dem Mitkämpfer aus der Apo-Zeit fest, dass die braune Szene immer noch vorhanden und sogar im Wachsen begriffen ist. Aktuelle Lyrik, warnend und erschreckend. Degenhardt als Mahner anno 2019? Ja, es läuft einem wie damals kalt den Rücken runter, wenn er die Typisierung seiner verachteten Bürgerlichkeit vornimmt, wenig scheint überwunden, vieles ist wieder beängstigend aktuell. Die poetische „schöne, alte, schöne Stadt“, die damals wie heute Angst vor der Realität und vorm Aufwachen hat, berührt. „Bei Degenhardt hat jedes Wort Bedeutung“, erklärt Holzhausen, er erinnert, dass der Liedermacher, der einst wie Hannes Wader und Reinhard Mey auf dem berühmten Waldeck-Festival seine Karriere als Sänger und Schreiber gründete, Feinde aus allen Lagern der Gesellschaft vorweisen konnte. „Die große Schimpflitanei“, in der er verbale Attacken gesammelt hatte, erinnert an so manchen Shit-Storm, der heute in den sogenannten „Sozialen Medien“ losgetreten wird, wenn einer nicht ins Bild der Massen zu passen scheint. Eindringlicher Sprechgesang in Degenhardts Version von „Sacco und Vanzetti“, Ohrwurm-Melodie von Ennio Morricone, berühmt geworden durch Joan Baez, die Ermordung zweier italienischstämmiger amerikanischer Arbeiterführer, die immer noch unter die Haut geht. Der schmale Grat zwischen Idylle, Spießbürgertum und Menschenverachtung bleibt Thema bis zuletzt. Als 1974 die Nelkenrevolution in Portugal die Diktatur beendete, war das auch Thema für Degenhardt und sein „Grandola Villa Morena“. Bitterböse und immer noch wirkungsvoll sein Sonntagslied, was hat sich geändert, „Sonntags in der kleinen Stadt“? Nostalgisch die „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“, poetisch „Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen“, bissig die „Tarantella“. Als Zugabe kommen die „Schmuddelkinder“, eines der berühmtesten Stücke Franz-Josef Degenhardts, mit viel Applaus bedacht, und das zarte Liebeslied „Es ist ein Schnee gefallen“, was die zärtliche Seite des bitterbösen Liedermachers noch einmal aufzeigte. Großes Lob und verdienter, langanhaltender Applaus für die Vorführenden, Holzhausen und Leßmeister sorgten für einen musikalisch wie lyrisch ausgezeichneten Abend in schönster Chanson-Tradition und eine gelungene Hommage an einen kritischen Gesellschaftsbeobachter aus der jungen bundesdeutschen Geschichte, die auch schon wieder 70 Jahre auf dem Buckel hat.

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