Bad Dürkheim Liebeserklärung an die Mutter

„Ich hätte ihm noch stundenlang zuhören können“, raunte eine Besucherin beim Stühle rücken am Ende von Rafik Schamis Besuch in der Buchhandlung Osiander. Zu schnell verflogen die knapp 90 Minuten, die der 68-jährige Deutsch-Syrer mit den rund 250 Zuhörern verbrachte.

Er heißt eigentlich Suheil Fadél, sein Pseudonym Rafik Schami bedeutet so viel wie „Freund aus Damaskus“. Daher verwundert es nicht, dass der Abend eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt wurde, ganz so, wie die Vorankündigung zum „Poetischen Spaziergang mit Schami“ versprochen hatte. Es war tatsächlich ein Spaziergang für Augen und Ohren, und ganz sicher keine gewöhnliche Autorenlesung. Der promovierte Chemiker las an diesem Abend überhaupt nicht. Er sprach, gestikulierte, malte mit Worten die Wüste und Damaskus in die Herzen der Zuhörer. Erwartungsvoll waren die Gäste, die meisten von ihnen Kenner seiner bislang 69 Veröffentlichungen. Wie etwa Katharina Asmus. Sie habe schon viel gelesen und ihre Schwester habe ihn schon einmal live erlebt. Auch Kristina Eichelberger, die ehrenamtlich die Bücherei der Pauluskirche leitet, ist ein überzeugter Fan. „Ich habe Rafik Schami jetzt auf der Buchmesse in Frankfurt gesehen, ihn auch schon öfter hier in Neustadt erlebt und natürlich viele Bücher von ihm gelesen. Ich hatte auch hier einmal nachgehakt, wann er denn wieder einmal zu uns kommen würde“, verriet sie. Zu Beginn seines Auftritts wollte Schami das traurigste Kapitel abhaken, die aktuelle politische Situation in Syrien. Aus der Verschwörung, dem Aufstand gegen das Assad-Regime, das seit Jahrzehnten wie in einer Monarchie im Familienclan herrsche, habe sich inzwischen ein Bandenkrieg entwickelt, in dem 21 Gruppen mitmischten. „Es ist leichter die Länder zu nennen, die nicht in den Konflikt verwickelt sind“, meinte er. Neben der Zerstörung der Stadt und des Landes, also der materiellen Seite und den unzähligen Toten, die zu beklagen sind, ist es vor allem auch eine Zerstörung der Seele, meinte Schami. „Wenn etwa der Sohn eines Nachbarn dessen Sohn im Kampf getötet hat, wie können dann diese Menschen noch Wand an Wand wohnen“, fragte er. Kinder seien in diesem Konflikt besonders betroffen. Seit über drei Jahren gebe es für viele keinen Unterricht mehr und kein Lachen. Deshalb engagiert sich Rafik Schami im Verein „Schams“, den er initiiert hat. „Alle Einnahmen gehen direkt an die Projekte, ohne Umwege über andere Hilfsorganisationen und werden dort auch kontrolliert“, erklärte der Autor. Nach diesen traurigen Minuten über die Lebenssituation im heutigen Damaskus begann die Lesung, die dann doch keine war. Schami: „Sie sitzen hier für zwei Stunden. Das ist für Sie eine Verlustgeschichte. Diese Zeit können Sie nie wieder zurückbekommen.“ Doch niemand unter den Zuhörern dürfte diese Zeit mit Schami bedauert haben, so sehr zog er das Publikum in die Mauern der Stadt seiner Kindheit. Ob es die Geschichte des Handwerkers war, der das Familieneinkommen „aufbesserte“, in dem er das Spendenkörbchen der Heiligen Maria plünderte oder Schami den strengen Priester Johannes vorstellte, er sprach mit sanfter Stimme, verstärkt durch seine gestikulierenden Hände. Der Abend wurde so auch zur Liebeserklärung an die Mütter, speziell auch an seine eigene. „Mutter hatte eine göttliche Zunge“, lobte er. Vielleicht liegt darin sein Talent als Erzähler begründet. Doch auch ein etwas traumatisches Kindheitserlebnis mit seinem Großvater mag dazu einen großen Teil beigetragen haben. Dies enthüllte Schami bei seiner abschließenden Geschichte. Kunstvoll baute er den Höhepunkt des Abends auf, indem er zunächst seinen weisen, großzügigen Opa porträtierte. Der Sechseinhalbjährige besuchte mit dem Großvater eines Tages den Flohmarkt. Dort spielte sich ein Spektakel ab. Eine Frau pries ihren Mann zum Verkauf an, weil er nicht sprach. Argwöhnisch beobachtete der junge Schami danach seinen Vater, ob er den Ansprüchen seiner Mutter entsprach. Und nahm sich vor, dass er später einmal viel reden wolle, um nicht auch von seiner Ehefrau verkauft zu werden. Was am Ende blieb, war tatsächlich Bedauern. Aber nicht, weil die Zeit mit Schami eine verlorene Zeit gewesen ist, sondern darüber, dass sie so schnell vorübergegangen war. Ihm, dem großen Erzähler, tausend und eine Nacht zuzuhören, wäre eines der schönsten Geschenke.

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