Bad Dürkheim Kratzig-kränkelnder Kabarettist in Bestform

Wenn das die Rohfassung war, dann braucht Lars Reichow an seinem taufrischen Programm „Freiheit“ nicht mehr viel zu feilen: Was der renommierte Kabarettist am Dienstagabend in der Aula des Dürkheimer Werner-Heisenberg-Gymnasiums zu bieten hatte, waren staunenswerte und vergnügliche Ansichten und Aspekte eines großen Themas, präsentiert mit geschliffenen Wort- und Tastenspielen – kurz, eine gelungene Vorpremiere.

Zuerst ein bisschen Schmeichelei für die Dürkheimer Seele: Hier in der Kurstadt sei die Freiheit zu Hause, noch dazu versorge die Weinstraße jeden mit Fröhlichkeit. Wenn einem soviel Gutes wird beschert, das ist zumindest einen Zweifel wert: Hier könnte sich einer lustig machen. Aber beim findigen und fintenreichen Lars Reichow weiß man das nie so genau. Der seriös auftretende 50-Jährige lächelt verhalten, lässt die wachen Blicke durch den Saal schweifen und die Themen raffiniert ineinander fließen. In scheinbar beiläufigen Grübeleien gelingen ihm überraschende Wendungen im weiten Feld der Freiheit. Wie unübersichtlich sich dieser viel beackerte Boden zwischen Asylbewerberheim und Oktoberfest erstreckt, das macht Reichow seinem Publikum mit einem geschickten Kombinieren von Lebens- und Sichtweisen deutlich. Überfluss und Armut, Wohlstand und Not stellt er einander gegenüber, wobei er den Medienkonsumenten eher unbeteiligt zeigt: Als distanzierter Fernsehzuschauer verfolgt er am behaglichen Feierabend den Überlebenskampf von Flüchtlingen im Mittelmeer. In musikalischen Vorträgen bringt der Kabarettist seine Aussagen unaufdringlich aber wirksam zum Ausdruck, etwa wenn er das Überdauern von Diktaturen beschreibt. Er singt oder spricht zum exzellenten Pianospiel, mischt leise, zarte Töne mit energischer Heftigkeit und bitterer Satire. Durch einprägsames Wiederholen von Worten und Satzteilen drängt er die Aussagen zusammen und verstärkt so ihre Wirkung. „Freiheit kann so leise sein, dass man sie kaum hört“, sagt Lars Reichow und lässt ihre Kostbarkeit zwischen den Zeilen anklingen, wenn er vom Kindsein singt und seinem unbeschwert schwebenden Spiel zwischen Selbstentdeckung und Sicherheit. Auch nimmt er sein amüsiertes Publikum mit auf eine heikle Wohnmobilreise oder aber ins Gefilde von Merkwürdigkeiten einer überschnappenden Vergnügungsgesellschaft. Von den Vorteilen des Älterwerdens springt er zur „immer dichten“, weil mit Ohrstöpseln versiegelten Jugend, von allgegenwärtigen Apps zu den Lichterfestspielen moderner Kaffeeautomaten. Und er landet schließlich in den Tiefebenen der Politik, die er mit einem Putin-Merkel-Dialog in absurde Komik steigert. Ob Reichow nun geschmeidig auftritt oder scheinbar zerstreut und zufällig seine Betrachtungen einschiebt: Er ist ein echter Virtuose. Einer, der im Spiel der Assoziationen die Gedanken frei sein lässt. Was aber lernt der vergnügte Zuschauer aus all den scheinbar freiheitlichen Wunderlichkeiten? Im Alltäglichen lauern ständig verdächtige Klippen. An ihnen macht der Kabarettist seine feinen und scharfzüngigen Attacken fest und fordert auf zu freier Denkarbeit. Der stürmische Beifall des Publikums forderte seinerseits mehrere Zugaben. Was ein Wunder: Der hörbar mit kratziger Stimme kränkelnde Kabarettist schien in Bad Dürkheim wieder gesund geworden, ulkte über den geknautschten Wandschmuck der Aula und veranschaulichte noch eine Lehrstunde der strapaziösen Art. Wenn man ihm glauben darf, behält er sein Dürkheimer Publikum in bester Erinnerung, kam den Zuschauern doch die Ehre der allerersten Lacher im Programm zu: „Jede andere Stadt muss sich daran messen!“

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