Bad Dürkheim Friedensappelle und Liebesbotschaften

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Zum Mannheimer Literaturfestival „lesen.hören“ gehört der Auftritt eines Prominenten, der über Bücher spricht, die sein Leben geprägt haben. Statt einer intellektuellen Bücherschau bot Nina Hagen an, ihren Brecht-Liederabend in Mannheim zu präsentieren. Das ausverkaufte Konzert der einstigen Rock-Göre in der Alten Feuerwache war ein Plädoyer für Frieden und wurde vom Publikum bejubelt.

Die schrille „Godmother of Punk“ und Skandalnudel Nina Hagen und der hagere, asketisch wirkende Zigarrenraucher und Kommunist Bertolt Brecht? Passt das? Ein ganz und gar unmögliches Paar bilden die beiden nicht, denn Nina Hagens Mutter, die Schauspielerin Eva-Maria Hagen, kannte den Dichter und Dramatiker noch persönlich und hat unter seiner Regie an seinem Theater, dem Berliner Ensemble, gespielt. Nina Hagen selbst war schon als zwölfjähriges Mädchen ständige Zuschauerin in dem Ostberliner Theater, bei 55 Pfennig Eintritt, wie sie zu erzählen nicht müde wird. Und wie sehr sie sich Brecht verbunden fühlt, zeigte schon ihr punkiger Brecht-Abend zusammen mit Meret Becker zum hundertsten Geburtstag des Dichters 1998 im Berliner Ensemble. Wenn sie mit Fliegenpilzschleife und allerlei Flitter im schwarzen, zum Pony geschnittenen und zu Zöpfchen geflochtenem Haar, einem gescheckten Tuch um die Schultern und bunten Ringelstrümpfen die Bühne betritt, geht ein Raunen durchs Publikum. Zöge sie in diesem Aufzug über die Planken, würde sie selbst im derzeitigen Fasnachtstreiben noch auffallen. Aber ihre Friedensappelle und Liebesbotschaften meint sie offenbar bitter ernst, auch wenn dieser Pippi Langstrumpf des Showbusiness, die ihre Worte gern mit Grimassen begleitet, alles zur Parodie gerät. Selbstverständlich gehören sämtliche „Ohrwürmer“ aus der „Dreigroschenoper“ wie der „Mackie Messer“ oder das Lied der Seeräuber-Jenny zum Brecht-Programm, mit dem Nina Hagen erstmals vor vier Jahren im Berliner Ensemble aufgetreten ist. Sie hat aber auch kaum bekannte Lieder ausgegraben, etwa „Hosianna Rockefeller“ aus dem Dramenfragment „Der Brotladen“, einer Vorarbeit zur „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“. Die Musik zu diesem Lied haben einmal nicht Kurt Weill oder Hanns Eisler geschrieben, sondern der weniger bekannte Karl-Heinz Nehring. Zwischendurch hält Nina Hagen Ansprachen, wettert gegen Atomwaffenarsenale, „peng peng“, gegen „Säbelrasseln und gefährliches Kalte-Kriegs-Gedöns“, gegen den „radioaktiven Holocaust“. Sie malt das Menetekel vom Weltende an die Wand und zitiert Brechts Warnung aus dem „Galilei“ nach den Atombombenabwürfen der Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki: „Hütet nun ihr der Wissenschaft Licht/Nutzt es und missbraucht es nicht/Dass es nicht, ein Feuerfall/Einst verzehre noch uns all/Ja, uns all.“ Und den „Kanonensong“ aus der „Dreigroschenoper“ widmet sie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Aber Blut ist immer noch rot/Und für die Armee wird jetzt wieder geworben!“ Bei Brecht-Liedern bleibt es nicht. Nebenbei erwähnt Nina Hagen Brechts Einfluss auf Bob Dylan, und die Version der Doors vom „Alabama Song“ gibt Gelegenheit, auch deren düsteres „Riders on the Storm“ zu spielen. Am Ende wird der Bertolt-Brecht-Abend ganz zum Nina-Hagen-Abend. Die Sängerin, die sich vor acht Jahren taufen ließ, nimmt Brechts Bibellektüre zum Anlass, um zu Menschenliebe aufzurufen. Wer allerdings dachte, der Materialist hätte die Esoterikerin von ihrem spiritistischen Ufo-Trip herunterholen und erden können, sieht sich getäuscht. Auch Larry Normans „He’s an unidentified flying object“ ist im Programm. Kommentar: „Ein Lied über Jesus“. Nina Hagen selbst greift, fast das ganze Konzert sitzend, in die Saiten ihrer Klampfe, begleitet von dem Pianisten Fred Sauer, dem Gitarristen Warner Poland und dem Bassisten Michael O’Ryan. Die Musik ist eher rockig als clubbig. Doch über den einstigen Vier-Oktaven-Umfang, einst beispielhaft vorgeführt in „Naturträne“, verfügt die heisere Stimme der bald 62-Jährigen längst nicht mehr. Eher erinnert die Sängerin inzwischen an einen weiblichen Tom Waits. Aber auch dieser Indie-Rocker hat ja schließlich Brecht gecovert.

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