Neustadt „Hungrig einkaufen ist wie betrunken Männer aufreißen“

Manche können kochen …. ich kann Wein kalt stellen, das ist doch auch irgendwie wie Kochen, oder? Manche können backen …. ich auch, eben habe ich Marmorkuchen gebacken, die Black Edition. Näheres dazu heute Abend in der „Tagesschau“. Aber ich kann etwas, was viele nicht mehr können. Ich kann essen, und das immer gerne und mit viel Genuss. Somit sehe ich mich als ein wichtiges Bindemitglied unserer Gesellschaft. Und da Genuss nun mal „durch den Wagen“ geht, trifft man mich auch öfter im Supermarkt an. Außerdem erdet mich ein solcher Besuch immer. Er hält mich am Boden wie der dicke Nebel an einem Flughafen. Er ist der perfekte Ort für ernüchternde Beobachtungen zu Stammeskultur und Riten des Menschen. Daher zieht sich so ein Einkauf auch schon mal. Auch 50 Prozent der Anrufe meines Mannes erreichen mich im Supermarkt. Er: „Wo bist du?“ Ich: „Beim ,Globus.“ Er: „Beim Einkaufen?“ Ich: „Nein, ich mache gerade Sommerreifen auf alle Einkaufswagen.“ Was ich allerdings versuche zu vermeiden, ist, einen Supermarkt mit knurrendem Magen zu betreten. Ich weiß das noch aus meiner Studentenzeit: Hungrig einkaufen gehen, ist ein bisschen wie betrunken Männer kennenlernen. Man bringt Zeug mit nach Hause, das man weder braucht noch möchte. Apropos Zeug mit nach Hause: Da muss man jetzt in diesen Wochen auch wieder höllisch aufpassen. Die Lebensmittelindustrie meint ja alle zwei Jahre, ihre Produkte würden attraktiver, wenn irgendwas mit Fußball drauf ist. Egal ob auf Grillwürsten, auf Schokoladen-Matroschkas, auf einem veganem Gugelhupf auf Algenbasis oder auf destillierter Sojamilch. Ganz extrem ist es beim Empörungsbeschleuniger Bier. Der ganze Supermarkt wird zum Fanshop. Ich warte täglich darauf, dass noch ein Sonderposten mit Boateng-Bengalos, Frank-Ribery-Feuerlöschern und Arjen-Robben-Atemschutzmasken für die Spiele aufgebaut wird, in denen man auf Länder mit spezieller Fankultur – wie England – trifft. Ich habe letzte Woche mal versucht, nur Sachen einzukaufen, die nicht mit der WM beworben werden: Zum Abendessen gab es Klobürste mit Balsamico-Essig. Ich kann es nicht mehr sehen. Gestern Abend habe ich deshalb zum ersten Mal Lebensmittel online bestellt. So nennt man das doch, wenn man seinem Partner eine Whatsapp schreibt, was er auf dem Heimweg noch mitbringen soll …. oder? Die Kolumne Die Deidesheimerin Anne Vogd gewann 2016 den SWR 3-Comedy-Förderpreis in Bad Dürkheim – für die gebürtige Rheinländerin der entscheidende Impuls, ihre Tätigkeit als Diplomkauffrau an den Nagel zu hängen und sich ganz auf Comedy und Karneval zu konzentrieren. Unter der Rubrik „Annes Welt“ veröffentlichen wir an dieser Stelle regelmäßig, was der 52-Jährigen so durch den Kopf geht. Ein Buch mit ihren Kolumnen erscheint im Herbst im Ullstein-Verlag.

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