Rheinland-Pfalz Kindsbach: Besuch im ehemaligen Nato-Bunker

view_bunker220814mgo04.JPG
Stöpsel und Buchsen: Wolfgang Würmell (rechts) zeigt Redakteur Andreas Ganter die historische Telefontechnik in »Cave Kindsbach«.

Die Pfalz. (Fast) unendliche Weiten, Ebenen, Berge, Wasser, Wiesen. Und viel Wald. Die RHEINPFALZ hat sich wieder auf den Weg gemacht. Kreuz und quer durch die Pfalz. In unserer Sommerserie berichten Redaktionsmitglieder, was sie bei der „Tour de Pfalz 2014“ erlebt haben. Zum Abschluss der diesjährigen Staffel schildert heute Andreas Ganter seinen Besuch in einem ehemaligen Nato-Bunker, der mittlerweile in Privatbesitz ist.

Unspektakulär. Ein ganz normales Wohngebiet. Wäre da nicht eine Baulücke, wo eigentlich Platz für ein Gebäude mit der Hausnummer 20 wäre. Versteckt zwischen Häusern in der Kindsbacher Straße „Am Wingertshübel“ befindet sich der Eingang zu „Cave Kindsbach“ – einem ehemaligen Nato-Bunker, der seit knapp 20 Jahren in Privatbesitz ist.

Führungen auf Anfrage

Ein verwittertes Din-A-4-Blatt, das mit grauem Klebeband an einer Stahltür befestigt ist, entpuppt sich als Hinweis auf die Geschichte des Bunkers. Das Überbleibsel des Kalten Krieges ist schwer zu finden. Wer etwas wissen will über „Cave Kindsbach“ , kann entweder den Zettel lesen oder mit Wolfgang Würmell sprechen. Seiner Familie gehört das militärhistorische Relikt. Auf Anfrage führt der 61-Jährige Besucher durch den Bunker. Würmell startet die Führung mit einem 15-minütigen Vortrag. „Los ging alles vor 250 Millionen Jahren.“ Dann kriegt er aber schnell die Kurve ins 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung. Würmells Großvater Wilhelm war damals Prokurist der Eisenhandelsgesellschaft Röchling (Ludwigshafen) und zuständig für die Beschaffung von Formsand, einem unverzichtbaren Mittel zum Gießen. Wilhelm Würmell witterte das Geschäft, verließ Röchling und machte sich in Kindsbach selbstständig: Er kaufte einen Berg, dessen roter Sand ideal war als Formsand, und gründete 1919 das Kindsbacher Formsandwerk. 1937 – Hitler war an der Macht – wurde das Sandwerk besetzt. Die Reichsregierung investierte 1,2 Millionen Reichsmark zwischen 1938 und 1940 in den Ausbau des Sandsteinwerks zum Korpsgefechtsstand. Der durch die Formsandgrube angeschnittene Berg bot ideale Voraussetzungen für den Bau einer unterirdischen Kommandozentrale, und der zähe Formsand ließ sich hervorragend bearbeiten. So wurde der Berg weiter ausgehöhlt und in der ehemaligen Sandgrube entstand ein Bunker als Teil der Westwallanlage.

Nato übernimmt in den 70er Jahren

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen erst die Franzosen, 1951 übernahmen die US-Amerikaner den Bunker und bauten ihn aus. 1954 ging die Überwachungs- und Steuerzentrale an den Start. In den 70er Jahren betrieb die Nato mit 200 Soldaten „Cave Kindsbach“. 1984 begann die Stilllegung des Areals. Würmell erzählt die historischen Details, ohne sie abzulesen. Er ist routiniert. Fast kein Monat vergeht, an dem er nicht ein oder zwei Besuchergruppen hat. Anhand einer großen Karte erklärt Würmell den Aufbau des Bunkers, der eine Fläche von knapp 4000 Quadratmetern bietet – alles unter Tage, teilweise dreistöckig. Mit einem recht unspektakulären Schlüssel öffnet Würmell ein recht unspektakuläres Schloss – was sich hinter der Bunkertür verbirgt, ist aber ganz und gar nicht unspektakulär: Fast alles ist noch im Originalzustand, so wie es das Bundesvermögensamt 1993 übergeben hat. Feuchte, kühle Luft schlägt den Besuchern entgegen. Zwölf Grad herrschen im Bunker – Sommer wie Winter.

Gigantische Energiekosten 

Früher war das anders. Die Wehrmacht heizte ihren Korpsgefechtsstand auf 20 Grad, die Amerikaner bauten eine Klimaanlage ein. Die gigantischen Energiekosten dafür sind mit ein Grund, warum sich der Bunker nicht wirtschaftlich nutzen lässt. „Wir dachten, wir hätten einen Sechser im Lotto, als wir erfuhren, dass wir einen Bunker erhalten“, erinnert sich Würmell an die 90er Jahre, in denen seiner Familie mitgeteilt wurde, dass der Großvater immer noch im Grundbuch als Besitzer des Geländes eingetragen war und sie den Bunker erhielten, nachdem ihn das Militär nicht mehr brauchte. „Jahrelang versuchten wir, eine wirtschaftliche Nutzung zu erreichen – erfolglos“, berichtet Würmell. Das Einzige, was seine Familie mit dem Bollwerk machen könne, sei, Besuchergruppen durchzuführen. Würmell schließt die Tür zur Außenwelt. Zu groß ist die Gefahr, dass jemand unbemerkt den Bunker betritt und sich verläuft. Der Bunkerbesitzer schreitet zielsicher voran. Es geht vorbei an riesigen Schiffsdieselaggregaten. Die grüne Farbe, mit der weite Teile der langen Bunkergänge einst gestrichen wurden, blättert an vielen Stellen ab, darunter blitzen weiße Wände auf. Die Besucher laufen vorbei an unzähligen Räumen. Teils sind sie beleuchtet, teils stockdunkel. An manchen sind die Türen weit offen, andere sind geschlossen. Die Türschilder von damals hängen noch. Sie lassen erahnen, was sich in den Räumen abgespielt hat.

Kreatives Überbleibsel der Soldaten

Mit einem Schmunzeln im Gesicht betritt Würmell die ehemalige Waffenkammer. Von Gewehren und Pistolen ist dort nichts mehr zu sehen. Dafür zeugt ein anderes Überbleibsel der Soldaten davon, dass der Dienst ihnen offenbar kreative Freiräume ließ: Auf einer Wand prangt ein Gemälde einer spärlich bekleideten blonden Frau. Es stammt aus dem Jahr 1981, wie der Maler an der rechten unteren Bildecke verewigt hat. Weiter geht es. Vorbei an Kabelresten, über unebenen Boden bis hin zum Telefontechnikraum. Buchsen erinnern daran, dass einst Telefonisten Kabel hin und her stecken mussten, um eine Verbindung herzustellen. „Ich lasse alles, wie es ist“, meint Würmell. Natürlich könne er die Kupferkabel rausreißen und verkaufen, aber das habe keinen Sinn. Er will den Bunker so erhalten wie er ist. Plötzlich ändert sich der Untergrund. Die Besucher laufen nicht mehr auf hartem Beton, sondern auf weichem Teppich. Es geht in die Offizierswohnung. Der Fußboden ist nicht der einzige Luxus, den sich die Soldatenchefs leisteten. Zwar mussten sie auf Tageslicht verzichten, das heißt aber nicht, dass es in der Wohnung kein Fenster gab. Wer den in die Jahre gekommenen braunen Vorhang an dem Fensterrahmen auf die Seite zieht, sieht eine nicht ganz unkitschige Darstellung des Matterhorns.

Alpengemälde im Offizierskasino

Das Berggemälde ist nicht das einzige künstliche Panorama, an dem sich die Offiziere erfreuen konnten: Im ehemaligen Offizierskasino hängt ein deutlich größeres Bild. Es zeigt eine Berglandschaft. Würmell erklärt die Alpengemälde im Bunker mit dem Satz: „Offiziere müssen immer zu etwas aufschauen.“ Er muss es wissen, schließlich war er selbst lange Jahre Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Weiter geht es. An vielen Stellen, vor allem in den Maschinenräumen, befinden sich kleine weiße Täfelchen. In englischer und deutscher Sprache weisen sie darauf hin, vor was man gerade steht. „Durchlaufkühler – tank cooler“ heißt es etwa an der Lüftungsanlage. Die Schilder stammen noch aus der Zeit, wo hier Soldaten jederzeit damit rechnen mussten, dass der Krieg ausbricht. Beiläufig öffnet Würmell eine verstaubte Werkbank und präsentiert den Inhalt: alte Tüten und Kästen mit Ersatzteilen für die Apparaturen, die längst nicht mehr in Betrieb sind. Würmell weiß selbst nicht genau, was in den ganzen Kistchen ist. Dafür weiß er Bunker-Anekdoten. Einmal, erzählt Würmell, habe er einen Teil an einen Höhlenforscher vermietet. Der hat hier seinen 50. Geburtstag gefeiert. Die Fete war mitten im Sommer, entsprechend gekleidet erschienen die Gäste – mit den lediglich zwölf Grad, die im Bunker herrschen, hatte niemand gerechnet.

600 Objekte an Wand projiziert

Dann geht es ins „Herzstück der Anlage“. In einem bombensicheren Bereich befindet sich das „Air Defense Operation Center“. Von außen ist der Teil längst mit Brombeerhecken und anderem Grünzeug überwuchert. Im Inneren erklärt Würmell, dass die letzte militärische Nutzung von „Cave Kindsbach“ fast 30 Jahre her ist. 1993 wurde die Anlage geschlossen und an Würmells übergeben. Die letzten Jahre leisteten hier nur noch Putzfrauen und Hausmeister ihren Dienst. Ganz anders sah es in den 70er und 80er Jahren aus: Emsige Betriebsamkeit stand im „Air Defense Operation Center“ auf der Tagesordnung. Von hier, mitten in einem Berg in Kindsbach, überwachte die Nato den kompletten europäischen Luftraum. Über 600 fliegende Objekte konnten dafür auf eine spezielle Wand projiziert werden. Wären von Osten plötzlich unbekannte Flieger aufgetaucht, hätten sich Abfangjäger auf den Weg gemacht. Ein Air Operation Center gibt es übrigens bis heute in der Pfalz. Es liegt ganz in der Nähe: auf der Ramsteiner Air Base. Würmell durfte es mal besuchen. Als Dank dafür, dass er viele amerikanische Soldaten durch seinen Bunker führte.

Selbst ehemalige Soldaten sind erstaunt

Unter den Besuchern sind immer wieder Touristen, die früher in „Cave Kindsbach“ ihren Dienst geleistet hatten. Selbst sie sind erstaunt von den Ausmaßen des Bunkers. Während der militärischen Nutzung durfte jeder Soldat nur in das Areal, in dem er arbeiten musste. Die anderen Sicherheitsbereiche blieben tabu. Nach einer Stunde unter Tag fragt Würmell plötzlich: „Wissen Sie noch, wo der Ausgang war?“ Er weiß es, geht den Gang entlang, schaltet das Licht aus und öffnet die Tür ins Freie. Warme Luft schlägt den Besuchern entgegen. Bevor sich Würmell verabschiedet und den Bunker wieder verschließt, gibt er den Besuchern noch etwas mit auf den Weg: „Die Landstuhler Burg kennen viele. Kaum jemand weiß von dem Bunker. Dabei handelt es sich in beiden Fällen um militärhistorische Anlagen. Und im Bunker gibt es mindestens so viel zu sehen wie auf der Burg. Oder?“

x