Rheinland-Pfalz „Geheiiim“

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Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie zu den nicht mehr ganz so jungen Zeitgenossen gehören, dann erinnern Sie sich vielleicht noch dunkel an die Sesamstraße. In dieser Kindersendung gab es diese eine Figur, die stets versuchte, Buchstaben zu verkaufen. Der Dialog ist unvergessen: „Psssst“, ging es stets los. Dann weist die Figur namens Schlemihl auf die Exklusivität ihres Angebots hin, das sie in der Innenseite des Mantels befestigt hat. Weiter geht das Gespräch, oft mit Ernie: „He, Du!“ – „Wer, ich?“ – „Psssst!“ – (leiser) „Wer, ich?“ – „Genaaaaau …“. Irgendwann weist der Verkäufer dann darauf hin, dass das alles „geheiiim“ sei. Wenn Sie sich jetzt zu Recht fragen, was das mit Pfalz zu tun hat, dann ist der richtige Punkt gekommen, um in dieser Kolumne im Nachhinein eine Spionagegeschichte zu erzählen, die sich auf der Ramsteiner Airbase abgespielt hat. Und wie es bei Agententhrillern so üblich ist, dreht sich auch hier einiges um die Frage, was denn eigentlich alles so „geheiiim“ ist. Im Ramsteiner Nato-Hauptquartier soll ein Nordpfälzer streng geheime Daten geklaut haben. Ein Gericht sah das als erwiesen an und verurteilte ihn zu sieben Jahren Haft. Das Urteil selbst wurde von den Richtern kurzerhand als „geheiiim“ gestempelt und bleibt somit der Öffentlichkeit verborgen. Der Nordpfälzer ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß und wehrt sich gegen die Fehler, die die Justiz seiner Meinung nach begangen hat. Er hat dagegen schon etliche juristische Geschütze aufgefahren. Unter anderem bemängelte er, dass die Justizmitarbeiter – im Gegensatz zu ihm – überhaupt nicht für den Umgang mit als „geheiiim“ klassifizierten Daten geschult seien. Bislang endeten die juristischen Gefechte für den Nordpfälzer ohne nennenswerte Erfolge. Erst jüngst stritt er sich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Nato, um die Herausgabe von, Sie ahnen es vielleicht schon, „geheiiimen“ Daten. Im Laufe der Ermittlungen hatte die Bundesanwaltschaft vor Jahren Datenträger des Nordpfälzers beschlagnahmt. Die wollte er zurück und verwies darauf, dass sich darunter auch private und eben keinesfalls „geheiiime“ Daten befänden. Die Ermittler hatten sie nach dem Verfahren an die Nato überreicht. Ob ihre Asservatenkammer voll war oder sie schlicht nicht wussten, was sie mit dem Krempel anfangen sollten, ist unbekannt. Bei der Nato wussten die Verantwortlichen aber offenbar auch nicht so richtig, was sie damit treiben sollten. Mutmaßlich standen sie dort irgendwo unbeachtet in einer Ecke rum. Ein Vertreter des Verteidigungsbündnisses gab jedenfalls in der jüngsten Verhandlung zu Protokoll, dass er den Inhalt nicht kenne, aber eine Herausgabe an den Nordpfälzer nicht in Frage komme. Der Richter, der den „geheiiimen“ Inhalt ebenfalls nicht kannte, folgte jedenfalls der Argumentation der Nato und beschied dem Nordpfälzer, dass er die Daten nicht bekommen soll. Doch nun folgte die Kehrtwende. Heute vor einer Woche klingelte nämlich ein Kurier bei dem Mann. Er überreichte ihm ein Paket. Darin fand der Nordpfälzer seine lange vermissten Dinge. Zur Erinnerung: Noch vor ein paar Wochen hieß es, dass die „Herausgabe von diesen Informationen ihrem Wesen nach eine äußerst sensible und erstzunehmende Angelegenheit“ für die Nato darstellt. Aber was kümmert so ein Verteidigungsbündnis schon sein Geschwätz von gestern: Nun sind die Unterlagen plötzlich veraltet und trotz eines entsprechenden Vermerks nicht mehr sicherheitsrelevant. Liebe Leser und Leserinnen, gucken Sie doch mal, ob Sie in Ihrem Keller oder auf dem Speicher ebenfalls „geheiiimes“ Material lagern. Vielleicht interessiert sich ja die Nato dafür ... | Andreas Ganter

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