Rheinland-Pfalz Bewährtes durcheinander wirbeln

Ulrike Margit Wahl kommt aus Ostdeutschland und findet die Pfälzer Lebensart unwiderstehlich.
Ulrike Margit Wahl kommt aus Ostdeutschland und findet die Pfälzer Lebensart unwiderstehlich.

«BÖHL-Iggelheim.» Spannend soll die Arbeitswelt sein. Keine öde Routine. Eine Utopie? Ulrike Margit Wahl sieht das anders. Mit der ihr eigenen Euphorie will sie frischen Wind in Hochschulen und Unternehmen bringen. Die 41-Jährige lebt im vorderpfälzischen Böhl-Iggelheim und ist seit drei Jahren bundesweit als Coach unterwegs. Firmen und Universitäten sollen von ihren Ideen profitieren. „Die meisten Leute sind ganz zufrieden mit ihrer Arbeit, aber das reicht nicht“, sagt sie. „Die Augen sollten leuchten, wenn Menschen von ihrem Beruf erzählen.“ Den eigenen Job lieben – für viele Arbeitnehmer ist das nicht mehr als ein frommer Wunsch. Genau hier will Wahl etwas bewegen. Als Hochschulerfrischerin, wie sie sich selbst nennt, und Querdenkerin wird sie von ihren Auftraggebern engagiert, um Bewährtes durcheinander zu wirbeln. Wahl hat die Erfahrung gemacht, dass Hochschulen und Unternehmen oft unflexibel sind. Sie schaffen es nicht, die Stärken ihrer Studenten und Mitarbeiter herauszukitzeln: „In starren Strukturen kann niemand sein volles Potenzial ausschöpfen.“ Wahl will Langeweile, Lust- und Antriebslosigkeit beenden. „Das Arbeitsklima“, sagt sie, „ändert sich, sobald Begeisterung ins Spiel kommt.“ Wenn die gebürtige Leipzigerin über ihre Projekte spricht, sprüht sie vor Energie. Sie sei ein Kind der Wende, erzählt sie. Geprägt von den Zwängen der Diktatur, aber auch neugierig auf alles Unbekannte. Wahl verreist gerne, geht offen und interessiert auf andere Menschen zu. Die alleinerziehende Mutter zweier Kinder lacht gerne und oft, lässt sich nicht leicht ins Bockshorn jagen. Zumindest jetzt nicht mehr. „Der Weg in die Selbstständigkeit war nicht leicht“, sagt sie. „Aber ich möchte andere Frauen ermutigen, ihn zu gehen.“ Anfangs habe ihr das Jobcenter das Leben zur Hölle gemacht. „Der Mitarbeiter hat mich angeschrien, weil ich meine sichere Stelle im öffentlichen Dienst aufgeben wollte. Heute lasse ich mich von niemandem mehr anbrüllen.“ Ohne die finanzielle Hilfe für Existenzgründer hätte sie das erste Jahr nicht überstanden, das gibt sie offen zu. „Aber inzwischen läuft meine Firma richtig gut.“ In der Pfalz fühlt sich die 41-Jährige längst heimisch, findet ihren Ausgleich beim Joggen im Pfälzerwald. Sie mag das Klima, die Weindörfer und die Pfälzer Lebensart: „Hier wird alles geradeheraus gesagt. Und es gibt diese wunderbare Grundeinstellung: Arbeite hart, lass es dir aber auch gut gehen.“ Diffuse Vorurteile, wenn es um Ossis oder Wessis geht, kann Wahl nicht leiden. Sie ist der Ansicht, dass jeder Deutsche in beiden Teilen des Landes gewesen sein sollte. Den Fall der Mauer hat sie als Glücksmoment erlebt. Wuchs sie doch in einer Kleinstadt in Brandenburg auf, wo ihre Familie gesellschaftlichen Repressalien ausgesetzt war. Der Vater verlor seine Stelle als Ingenieur, nachdem die Familie einen Ausreiseantrag gestellt hatte. „An der Klassenfahrt nach Moskau durfte ich nicht teilnehmen, weil wir der Kirche nahe standen“, erinnert sie sich. „Stattdessen musste ich in der Schule das Treppenhaus putzen.“ Die engen Grenzen, die ihr damals gesetzt wurden und die Familientreffen mit der Verwandtschaft im Westen sieht sie als Schlüssel für ihre persönliche Entwicklung. Nach der Wende sei sie mit ihren Eltern viel gereist und habe in dieser Zeit große Hilfsbereitschaft und Geduld erlebt. Wahl glaubt, dass viele Deutsche ihr Land, seine Kultur und seine Bildungsangebote nicht richtig zu schätzen wissen. Ihrer Meinung nach ist es gefährlich, wenn junge Leute nicht mehr bemerken, wie kostbar die Freiheit ist. An den Hochschulen spricht sie manchmal aber auch über die Schwierigkeiten, die sie selbst mit der Wahl des passenden Studiums hatte. In Mannheim hadert sie mit Betriebswirtschaft, steigt um auf Anglistik und Politik. Den Spagat zwischen Beruf und Familienleben kennt sie gut. Mit allen Schwierigkeiten, die eine junge Mutter, die Vollzeit arbeitet, so hat. Nach dem Studienabschluss befasst sie sich mit Qualitätsmanagement und anderen Hochschulprojekten, bleibt zehn Jahre im Unibetrieb. Heute findet sie den Wissenstransfer zwischen Hochschule und Wirtschaft spannend. Genau wie neue Denkansätze, die sie ihren Kunden vermitteln möchte. Wahls Ansicht nach müssen sich die Universitäten von verstaubten Lehrmethoden verabschieden. Als Coach plädiert sie dafür, Grenzen auszuloten und Zäune zu versetzen. Von der unterschiedlichen Arbeitsweise, die sie an der Popakademie Mannheim und an der Fachhochschule Worms erlebt hat, profitiert die Mediatorin. „Ich weiß jetzt“, sagt sie, „mit welchen Werkzeugen sich Probleme lösen lassen.“

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