Bildband Konsumgeschichte der Plastiktüte

Gestaltung in Regenbogenfarben für die Farbbrillanz ihrer Kassetten: die BASF.
Gestaltung in Regenbogenfarben für die Farbbrillanz ihrer Kassetten: die BASF.

Vom Gebrauchsgegenstand zur Umweltsünde: Als sie erfunden wurde, wurde die Plastiktüte als praktische Innovation gefeiert. Ihre Erfolgsgeschichte ist beispiellos. Das wiederum lässt sie zum Umweltproblem werden.

Einkaufen, einpacken, wegwerfen: 1,6 Milliarden Plastiktüten, so verkündete das Bundesumweltministerium 2019, werden in Deutschland pro Jahr verbraucht. Das sind mehr als 3000 Stück pro Minute. Aneinandergereiht würden sie 20 Mal den Äquator umrunden, für ihre Herstellung brauche man mehr als 200 Millionen Liter Erdöl. Und obwohl man es aufgrund dieser Zahlen kaum glauben mag, ihre Langlebigkeit wurde ihr schließlich zum Verhängnis. Denn gelangt die Plastiktüte einmal in die Umwelt, dann dauert es über 100 Jahre, bis sie sich wieder abbaut. Und dass dies – neben dem Ressourcenverbrauch – ein Problem ist, wissen wir schon lange. Wissenschaftler gehen davon aus, dass im Jahr 2050 mehr Plastikmüll in unseren Meeren schwimmt als Fische.

1961 erstmals beim Kaufhaus Horten ausgegeben

Als Deutschlands erste Plastiktüte gefeiert, wird die Tragetasche, die das Kaufhaus Horten in Neuss 1961 herstellen ließ. Die blauen Dreiecke des markanten, über die Jahre kaum veränderten Musters stellen ein abstrahiertes H (für Horten) dar. 1965 kam hierzulande die erste vollautomatische Produktionsstraße zur Herstellung von Polyethylen-Tragetaschen auf den Markt.

Doch nun steht die Abschaffung der Plastiktüte aus unserem Alltag bevor – nach rund 60 Jahren. Denn ab Januar 2022 ist die Zeit der Plastiktüte Geschichte, ihre Verbreitung und Nutzung wird aus Gründen des Umweltschutzes endgültig eingestellt. Für den Kulturwissenschaftler Frank Lang und die Kunsthistorikerin Christina Thomson ist dies ein Anlass, mit ihrem Buch „Tüten aus Plastik – Eine deutsche Alltags- und Konsumgeschichte“ zurückzublicken. Ist doch die Plastiktüte nicht irgendein Alltagsgegenstand, sondern einer der uns alle viele Jahrzehnte begleitet hat. Alle Branchen haben dieses Verpackungs-, Transport- und Werbemittel genutzt und auch Umwelt- und soziale Organisationen haben sich ihrer bedient.

„Denken ist bereits Plastik“

Bekannte Designer wie Anton Stankowski (Rewe), Kurt Weidemann (Coop) oder Günter Frutrunk (Aldi Nord) haben Entwürfe erstellt. Joseph Beuys schuf den Satz „Denken ist bereits Plastik“ und illustrierte auf seiner Plastiktüte seine Vorstellung zur „Überwindung der Parteiendiktatur“. Gezielte Angriffe auf die Konkurrenz – „Mit anderen Tüten herumrennen? Ich bin doch nicht blöd“ – platzierte Media-Markt auf Tüten, das Handelsblatt „Lieber volle Rendite als leere Tüten“.

Werblich, plakativ, auffallend und zeitgemäß: Die bedruckte Plastiktasche als Werbeträger war stets auf den Spuren gestalterischer Trends unterwegs. Reißfest, wasserdicht und lange Zeit kostenlos wurde sie ebenso schnell zum unverzichtbaren Accessoire der Konsumgesellschaft. Die Vielfalt der Entwürfe und die Geschichte der Plastiktüte fächern die Autoren Lang und Thomson sortiert nach Themenblöcken und Motivgruppen auf. Und präsentieren zu Kapiteln wie „Zeit-Marken der Alltagsgeschichte“, „Marke macht Muster: Logo, Schrift und Corporate Design“, „Poppig Shoppen: Pop Art und Alltagskunst“, „Chicy Micky: Comics auf Tüten“ oder „Prominente Gesichter“ gut und gerne 280 ausdrucksvolle Beispiele. Ein Großteil stammt aus der Sammlung des Museums für Alltagskultur in Schloss Waldenbuch, einer Außenstelle des Landesmuseums Württemberg.

Info:

Frank Lang, Christina Thomson: »Tüten aus Plastik – Eine deutsche Alltags- und Konsumgeschichte«, Prestel Verlag München 2021, Hardcover, 216 Seiten mit rund 280 farbigen Abbildungen, 29 Euro

Bestellte als eines der ersten Unternehmen Tüten in Großauflagen: der Horten-Konzern.
Bestellte als eines der ersten Unternehmen Tüten in Großauflagen: der Horten-Konzern.
„750 Jahre Berlin“: „Plastetüte“ mit Stadtansicht.
»750 Jahre Berlin«: »Plastetüte« mit Stadtansicht.
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