Kultur Zurück vom Ring!

Er hatte das letzte Wort auf der Volcano Stage: Serj Tankian von System of a Down.
Er hatte das letzte Wort auf der Volcano Stage: Serj Tankian von System of a Down.

Nach einem Zwischenspiel auf dem Flugplatz Mendig ist das Festival Rock am Ring in diesem Jahr wieder auf den Nürburgring zurückgekehrt. Es war eine Heimkehr mit Hindernissen, nachdem das Festival am Freitagabend wegen einer Terrorwarnung unterbrochen werden musste. Nach einer Nacht voller Ungewissheiten ging es am Samstag weiter – bis zum frühen Montagmorgen. Doch trotz bester Stimmung: Das Thema Terror blieb präsent, erst recht nach den Anschlägen von London. Einschüchtern oder gar von Rechtspopulisten instrumentalisieren ließ sich aber niemand.

„You’ll never walk alone.“ Die Hymne des FC Liverpool. Mittlerweile in allen Fußballstadien der Welt ein Klassiker. Auch im Fritz-Walter-Stadion, wo die Fans des FCK stolz darauf sind, dass sie von der Liverpooler Anfield Road die offizielle Erlaubnis zum Singen bekommen haben. Aber auch am Nürburgring ist die Hymne ein Dauerbrenner. Am Freitagabend sowieso. Man machte sich Mut. Es geht um Zusammenstehen. Um Zusammengehen. Um Aufstehen und Geradestehen. Die Fans verließen das Gelände nach der Absage des Rammstein-Konzerts auf der Hauptbühne und des gestoppten Acts von Liam Gallagher auf der kleineren Bühne absolut außergewöhnlich. Kein Drängeln, kein Schubsen, weit entfernt von jeder Panik. Nur das Singen, das wollten sie nicht lassen. „You`ll never walk alone.“ Es ist dies auch der letzte Song, mit dem die Toten Hosen am Samstag ihren Auftritt beenden. Die Düsseldorfer Band bedankte sich bei den Rock-am-Ring-Fans für deren Verhalten am vorausgegangenen schwarzen Freitag. Nach zwei Stunden im Eifel-Regen. Und zwei Stunden Dauerparty. Es lastete ein ziemlich großer Druck auf den Edel-Punkern aus Düsseldorf. Sie waren als zweiter Headliner des Festivals eingeplant, nach der Rammstein-Verhinderung durch die Terror-Warnung wurden sie zur ersten großen Nummer. Doch die Hosen um Frontman Campino sind routinierte Bühnentiere. Und sie hatten alles für beste Stimmung mit dabei: „Bommerlunder“, „Jägermeister“ natürlich, auch das neue Album. Und als vorletzten Song: „Tage wie diese“. Doch die Hosen waren nicht alleine. Da war ja auch noch eine weitere Band aus Düsseldorf. Die Broilers. Die haben mal als Punker angefangen, heute machen sie mit ihrem auch durch Bläser angefütterten Rock großartige Stimmung. Die wurde am Freitagabend abrupt beendet. Doch die Broilers holten ihren Auftritt am Samstagabend nach. Und sie hatten die eine oder andere Rechnung offen. „Die da auf der Couch sitzen und ihren Mist im Internet verbreiten, denen sagen wir nur: Wir rocken Deutschland, nicht ihr“, spielte Sänger Sammy Amara auf die unvermeidliche AfD-Reaktion nach der Terrorwarnung von Freitagabend an. Die Rechtspopulisten hatten einen Tweet in Form eines Wahlplakats abgesetzt, darauf die Slogans: „Wir rocken Deutschland“ und „Damit nicht nur Rock am Ring wieder sicher wird.“ Das kam nicht gut an bei den Fans auf dem Nürburgring. „Nazis raus“-Rufe hallten durch den Bereich vor der Volcano Stage und unterstützten die Broilers in ihrer Botschaft. Und es ist ja irgendwie auch eine völlig abwegige Vorstellung, da passen zwei Dinge nicht zusammen, die auch einfach nicht zusammengehören. Bei „Wir rocken Deutschland“ kann man ja vielleicht an vieles denken, aber bestimmt nicht an die Storchs, Gaulands, Petrys, Meuthens dieser Republik. Netter Versuch, liebe AfD. Zielgruppe aber komplett verfehlt. Und beim nächsten Tweet einfach mal nicht die Ängste und Sorgen von Menschen für den eigenen Wahlkampf missbrauchen. Was übrigens auch Marek Lieberberg so sieht, der sich in einer Pressemitteilung ausdrücklich gegen „Versuche der Vereinnahmung durch die AfD und andere populistische Gruppierungen“ verwahrt hat. Begonnen hatte das Festival, das zumindest von Unwettern verschont blieb, mit Fangesängen des Drittligaaufsteigers SV Meppen. Schon skurril, oder? Lässt sich aber erklären. Die allererste Band Razz kam aus dem Emsland. Und hatte offensichtlich ein paar eigene Fans mitgebracht. Razz hatte den ersten von ursprünglich geplanten über 80 Auftritten, die durchaus auch stilistisch durchsortiert waren. Mal wurde die Hauptbühne zur richtig harten Nummer mit internationalen Metal-Bands, dann war sie eher eine deutsche Angelegenheit, während die zweite Bühne, die Crater Stage, zur Rap-Nische umfunktioniert wurde. Es brauchte eine gewisse Zeit, bis sich das Klassik-geschulte Gehör zurecht gefunden hatte. Aber es wurde quasi mit sanfter akustischer Gewalt auf die richtige Spur gebracht. Das schießt dann auch an den Gehörgängen vorbei direkt in den Bauch. Die Basstöne tasten nach, was es zum Frühstück gab. Auch das Bier aus Plastikbechern wird noch ein zweites Mal aufgeschäumt. Die Bands dazu heißen Skindred, Sum 41 oder auch Five Finger Death Punch. Einfach mal den Kopf ausschalten, ihn in einer Art automatisierten Pendelbewegung nach vorne schnellen lassen, auch wenn das passende Haar dazu fehlt. Rammstein hätte vielleicht den Beweis erbringen können, dass großartig inszenierter Rock nichts anderes ist als große Oper. Nun musste es ohne Feuerzauber funktionieren, und die Jungs von System of a Down sprangen beherzt in die Bresche. Eine Alternative-Metal-Band aus den USA, deren Mitglieder allesamt armenischer Herkunft sind. Man hört dies den einzelnen Melodiesequenzen an, die ebenso östlich-orientalisch angehaucht sind wie der Gesang des großartigen Sängers Serj Tankian. Es ist ein hartes Brett und eine gewaltige, quasi pausenlose Show, welche System of a Down zum Abschluss der Konzerte auf der Hauptbühne ablieferten. Tankian hatte zuvor schon einen Gastauftritt zusammen mit der vorletzten Band Prophets of Rage. Gemeinsam erinnerte man an den kürzlich verstorbenen Soundgarden-Sänger Chris Cornell – ein Gänsehautmoment vor der untergehenden Sonne über der Eifel. Ansonsten pflegen die Prophets, unter denen sich drei Mitglieder der aufgelösten Erfolgsformation Rage against the Machine finden, ihre Trump-Antipathie aus Überzeugung. „Fuck Trump“ ziert die Rückseite der Gitarre von Tom Morello. „Make Germany great again“ lautet die Botschaft von Sänger Chuck D. Das passt zum vielleicht großartigsten und witzigsten Plakat, das zu entdecken war: „Make the Ring great again.“ Und die Frage der Broilers: „Rock am Ring, geht’s Dir gut?“, die kann man ruhigen Gewissens mit Ja beantworten. Daran ändern die AfD so wenig wie Terrorwarnungen. Gut so. Bis nächstes Jahr.

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