Kultur „Wann rufen Sie endlich an?“

Den großen Klaus Maria Brandauer (links) nach Worms zu locken, sei eigentlich gar nicht so schwer gewesen, sagt Intendant Nico H
Den großen Klaus Maria Brandauer (links) nach Worms zu locken, sei eigentlich gar nicht so schwer gewesen, sagt Intendant Nico Hofmann. Die Qualität der Nibelungenfestspiele habe sich inzwischen herumgesprochen.

„Ganz frisch, ganz neu“ wird er zwischen 12. und 28. Juli den Hagen bei den Wormser Nibelungenfestspielen spielen, kündigte Schauspielstar Klaus Maria Brandauer gestern bei der Vorstellung des diesjährigen Ensembles gut gelaunt in sanftem Plauderton an. Und reihte sich gern ein ins große Team, das nur gemeinsam das neue Stück „Überwältigung“ von Thomas Melle auf die Bühne vor dem Dom bringen könne: „Es gehört uns allen.“

Erst fläzt sich der 75-Jährige gemütlich in den Stuhl, harrt der Dinge – die sich als moderierte Bühnenshow entpuppen – und gibt danach entspannt und erzählfreudig Interviews: Klaus Maria Brandauer freut sich offenkundig ehrlich auf die Theaterabende in Worms. Auch wenn er einen Journalisten der „Bunten“ bei der zweiten der nur drei Pressefragen Richtung Bühne sanft rüffelt: „Sie haben mich nicht lieb, oder?“ Der habe ihn reinlegen wollen, meint Brandauer später im Journalistengespräch in kleinerer Runde unerwartet verletzlich. Er entschuldigt sich dann gar ein bisschen, als er über das Stück redet, dass ja thematisiere, wie nicht nur die Nibelungen miteinander warum umgehen. Mit dem Nibelungenstoff habe er sich bisher nicht beruflich beschäftigt, sieht ihn – vor allem in der Form, in die ihn Thomas Melle nun für Worms gebracht hat – aber als Chance, über eigene Fehler nachzudenken. „Überwältigung“ heißt das Stück, in dem Brandauer an 16 Abenden vor der Domkulisse spielen wird. Es sei eine Art Utopie, erklärt der Autor bei der Bühnenrunde. Ausgangspunkt ist der Schluss des „Nibelungenlieds“: Fast alle sind tot. Doch dann eröffnet sich ihnen eine Chance, das Vorherige noch einmal zu erleben – oder ganz anders zu machen. „Es ist eigentlich auch eine große Meditation über den Begriff Schicksal“, kündigt der 44-jährige Melle an. Genau dieser Ansatz und der zugesandte Text hätten ihn überzeugt mitzuwirken, sagt Brandauer. Erst kurz zuvor habe er die Wiener Bühnenadaption von Melles Erfolgsroman „Die Welt im Rücken“ gesehen – und sei begeistert gewesen. Die Domkulisse schätzt er obendrein, kennt Worms auch ein wenig: „Vor 15, 16 Jahren“ habe er Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ vor dem Dom vorgetragen – und sich später über die Nibelungenfestspiele gefragt, „wann rufen Sie mich denn endlich an?“, kokettiert er. Und sinniert, wo genau der Mond denn damals über dem Domportal aufgegangen sei. Freilufttheater ist Brandauer „ein Vergnügen“, erklärt er strahlend. Große Gesten brauche es dabei aber gar nicht: Eine laute Stimme reicht, führt er auch gleich beeindruckend vor. Pausen, Stille aber wirkten ebenso. Und jeden Abend möchte er erneut zur Uraufführung machen, im Dialog mit dem Publikum. Ideal sei „ein gemeinsamer Atem“. Auch hoffe er, dass ihm der Dom im Rücken da auch „ein Geschenk“ macht. Der Stoff rege dazu an, „dass man darüber nachdenkt, was das alles für einen Sinn hat - und in der Nähe einer Kirche geht das ja ganz gut“. So könne die Aufführung vielleicht „eine kleine Religionsstunde“ werden. „Wir wissen ja, wir brauchen da was, oder nicht?“ Von einer „Zwischenweltlichkeit“, die sie betonen wolle, spricht denn auch Regisseurin Lilja Rupprecht, die mit Bühnenbildnerin Anne Ehrlich, Kostümbildnerin Annelies Vanlaere und Komponistin Friederike Bernhardt das weibliche Inszenierungsquartett bildet. Die Mittdreißigerin arbeitet vor allem am Deutschen Theater Berlin, von dem das Gros des Ensembles stammt. Sie hat aber auch Boris Aljinovic, dem Fernsehpublikum als langjähriger Berliner „Tatort“-Kommissar bekannt, zum Mitwirken bewegt: „Ich wollte gar nicht. Ich wollte was anderes machen, aber die Begegnung war so herzlich“, sagt der 51-Jährige, der Gernot – den Bruder des Burgunderkönigs Gunther– spielen wird. Ein Nibelungenexperte sei er jedoch nicht, „ich kenne mich aber mit den Isländersagen aus“, sagt er entwaffnend. Intendant Nico Hofmann indes, seit 2015 und noch bis mindestens 2022 im Amt, freut sich, dass seine Neuausrichtung der Festspiele geglückt ist. „Es ist jedes Jahr was Neues, Aufregendes“, sagt der Mannheimer. Und manchmal auch ein bisschen wahnsinnig, blickt er zurück aufs Vorjahr, wo „wir 48 Stunden vor der Premiere alles noch mal neu justierst haben“ – auf Anraten seiner Mutter, die aus Mannheim angerufen habe. Sie gebe ihm ohnehin gerne Rat, „ob ich will oder nicht“, scherzt der 59-Jährige auf dem Podium. Hier in der Region zu arbeiten, ist ihm ein Bedürfnis: „Es ist Heimat“, sagt er. Und lobt das Publikum, das sein radikales neues Konzept so begeistert aufnehme. Ein Konzept, in dem die Qualität des Textes, der Regie und der Schauspieler ausschlaggebend sei, „nicht der Showaspekt“. Es gehe nicht mehr darum, „wann reitet ein TV-Star von ,Mordkommission Istanbul’ ein“, grenzt er sich auch von der Ära seines Vorgängers Dieter Wedel ab. Beteuert aber zugleich, dass er dies nicht despektierlich meine, „ich mache ja auch Fernsehen“. Doch hätten die Festspiele eben einen anderen Anspruch. Dass die letztjährige Inszenierung zusammen mit zwei Produktionen der Salzburger Festspiele vom Theatermagazin „Nachtkritik“ zu dem besten Drei des Sommers gekürt worden sei, spornt ihn an. Und der Nibelungenstoff sei noch lange nicht auserzählt. Er beschäftigt ihn auch in seiner TV-Arbeit: Eine Nibelungen-Serie mit zehn Folgen, gedacht als deutsches „Game Of Thrones“, ist sein „großes Wunschprojekt“ und werde bald umgesetzt werden können, kündigte Nico Hofmann an. Doch davor steht nun: „Überwältigung“.

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