Hart am Leben Vor Amazon bestellte man bei den freundlichen Männern mit Schlips an der Haustür

Trifft man kaum noch an der Haustüre: den Staubsauger-Vertreter mit Schlips.
Trifft man kaum noch an der Haustüre: den Staubsauger-Vertreter mit Schlips.

Früher kamen Hausierer und Vertreter, heute der Paketdienst – Beobachtungen in einer Outletstraße

Die Männer kamen regelmäßig, meine Mutter erwartete sie schon. Uns Kindern waren sie ein wenig unheimlich. Sie hatten ein Glasauge, eine Lederhand oder ein Holzbein. Der mit der Beinprothese fuhr auf einem Fahrrad, das sich mit einem Pedal bewegen ließ. Es waren Hausierer. Ihre Waren transportierten sie in umgehängten Aktentaschen. Einer besaß einen Mantel, auf dem innenseitig sein Sortiment angebändelt war: Küchenmesser, Spülbürsten, Scheren, Kochlöffel. Meine Mutter kaufte immer etwas, dankbar, dass die eigene Familie den Krieg heil überstanden hatte. Andere Kriegsversehrte boten Postkarten („mit dem Munde gemalt“) oder Waren aus der Blindenanstalt an.

Hausfrauen waren die Zielgruppe der Vertreter

Der Handel an der Haustür war damals gang und gäbe. Einige Firmen machten ihren Umsatz nur mit ihren Außendienstmitarbeitern, Vertretern. Sie steckten in hellen Sommeranzügen und trugen braune Schuhe. Sie fuhren einen Kombi und kamen meistens am frühen Vormittag oder nach der Essenszeit, wenn sie sicher sein konnten, die Hausfrauen alleine anzutreffen. Die waren ihre Zielgruppe, auf sie waren sie eingestellt. Immer höflich und zuvorkommend, zu einem Scherz aufgelegt und um keinen anerkennenden Kommentar verlegen: „Schön haben Sie es hier, so möchte man wohnen.“ Meine Mutter nannten sie „gnädige Frau“. Sie wirkten wie Schauspieler, die ein Stück aufführten, das gefiel mir.

Was sie anzubieten hatten, waren elektrische Hausgeräte. Vor allem Staubsauger. In meiner Erinnerung kommt es mir vor, als hätten wir jedes Jahr einen neuen gekauft. Der Fortschritt bei der Entwicklung muss rasant gewesen sein. Die Vertreter beeindruckten meine Mutter mit konstruktivem Detailwissen, als erläuterten sie den Aufbau einer Bohrinsel. Wichtig war ihnen, auf die geradezu leichtsinnige Bauweise unseres alten Staubsaugers hinzuweisen. Damit wären in zwei, drei Jahren unsere Teppiche hin. Nun folgte der praktische Teil, zwei Männer in Schlips und Anzug, die in Nullkommanichts unser Wohnzimmer reinigten. Da konnte die gnädige Frau nicht widerstehen und kaufte das Teil.

Heute wohnen wir in der Outlet-Straße

Das liegt nun ein halbes Jahrhundert zurück. Aber der Haustürhandel blüht. Nur kommen keine Vertreter mehr, weil wir die Waren im Internet aussuchen und probehalber bestellen können. Bis nachts um zehn sind die Lieferwagen unterwegs, wir wohnen inzwischen in einer Art Outlet-Straße. Weil die Nachbarn berufstätig sind, nehmen wir ihre Bestellungen entgegen und stapeln sie in unserer Diele. Das sollten Architekten bedenken, wir brauchen künftig andere Grundrisse und Mobiliar, um das tägliche Warenlager logistisch zu beherrschen.

Wenigstens kennen wir jetzt alle, die hier wohnen, wenn wir die Pakete tauschen.

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