Kultur Vom Taugenichts zum mächtigsten Politiker der USA

Der eigentliche Orchestrator der US-Politik der Jahre 2001 bis 2009: Christian Bale als US-Vizepräsident Dick Cheney (Mitte) mit
Der eigentliche Orchestrator der US-Politik der Jahre 2001 bis 2009: Christian Bale als US-Vizepräsident Dick Cheney (Mitte) mit Amy Adams als seine Ehefrau Lynne und Sam Rockwell als US-Präsident George W. Bush.

Manches Manöver des späteren Vizepräsidenten der USA ist so unglaublich, dass ein Film davon nur im Gewand einer Satire erzählen kann. Und so war „Vice – der zweite Mann“, Adam McKays kritisches Dick-Cheney-Porträt, bei den Golden Globes in der Kategorie „Komödie/Musical“ nominiert. Zu lachen gibt es aber doch wenig in der nun achtfach oscarnominierten Filmbiografie, in der sich der Waliser Christian Bale in den erzkonservativen US-Politiker verwandelt.

„Vice“ ist ein Film mit doppeltem Boden, was schon beim Titel beginnt: „Vice“ heißt zum einen „Vize“, aber auch „Laster“ oder „Untugend“. Und als lasterhaft wird schon gleich der junge Cheney gezeichnet. Eine Trunkenheitsfahrt des Anfangzwanzigjährigen, der gerade sein Studium abgebrochen hat, zeigen die ersten Filmszenen, dazu den jungen Mann als wenig schuldbewussten Taugenichts (in Wirklichkeit war Cheney sogar zwei mal unter Marihuanaeinfluss am Steuer erwischt worden). Der Mann aus dem ländlichen Wyoming wirkt wie ein kleines Licht, jobbt als Straßenbauer, während seien ehrgeizige Freundin Lynne (wie immer stark: Amy Adams) brav an der Eliteuni Yale studiert. Sie sorgt denn auch für die Wende in seinem Leben – und erschafft ein Monster, suggeriert der Film in der Folge: Wenn er sich nicht zusammenreißt, werde sie ihn verlassen, droht sie. Und später, als er es als Praktikant ins Weiße Haus geschafft hat und vor dem nächsten Karriereschritt steht, setzt sie ihn weiter unter Druck. Er solle das Maximale aus sich herausholen, am besten eine Firma leiten, da ihr als Frau dies leider nicht möglich sei. Das mag die Motivation, zum mächtigsten Mann der USA werden zu wollen, zwar nur unzureichend erklären, allerdings ist Dick Cheneys Persönlichkeit wohl tatsächlich undurchdringlich. Die Recherche war schwer, sagt Regisseur Adam McKay, der zuletzt in „The Big Short“ das US-Bankensystem sezierte. Kein anderer US-Politiker sei so verschwiegen wie Cheney. Lange Jahre war er der stille Bürokrat im Hintergrund, der unauffällig die Strippen zog. Und er konnte sein eigenes Machtstreben mit seinen wirtschaftlichen Interessen so geschickt verweben, dass ihm niemand einen Strick daraus drehen konnte. In der Zeit, als der Demokrat Carter die USA regierte, war Cheney für eine Ölfirma tätig, die er später in den ölreichen Krisengebieten der Welt ins Geschäft brachte. Im Irak etwa. „Vice“ zeigt auf, wie sich Cheney erst bei Donald Rumsfeld (Steve Carell), damals Nixons Berater, unersetzlich machte, 1975 jüngster Stabschef des Weißen Hauses wurde, später Verteidigungsminister unter Bush Senior und schließlich – beraten von Anwälten, die später an Schaltzentren richterlicher Macht saßen – den Spielraum seines Vizepräsidentenamtes unter George W. Bush immer weiter ausdehnte. George W. Bush (Sam Rockwell) ist in „Vice“ der überforderte Trottel vom Dienst, der freiwillig einen Großteil der Macht an Cheney abgab. Dieser gab vor, ihm den Rücken freihalten zu wollen – in ein paar Bereichen wie Außenpolitik, Militär und Energiewirtschaft… Die Folgen spürt die Welt bis heute. 2003 marschierten US-Truppen in den Irak ein, auf Cheneys Initiative hin, der auch die Mär von den dort zu bekämpfenden Massenvernichtungswaffen schürte. Christian Bale gibt sein Bestes, um den Machtmenschen zu verkörpern, und könnte nach dem Schauspiel-Globe kommenden Sonntag den Oscar gewinnen. Doch Cheney ist einfach nicht zu fassen, gerade da der Film nicht zu viel darüber spekulieren will, was ihn zum so unerbittlichen Hardliner und Kriegstreiber machte. Eine menschliche Seite bekommt die Figur nur in den Szenen, die sich um seine Tochter Mary drehen, die lesbisch ist. Cheney wandte sich nie von ihr ab und mied Debatten zur gleichgeschlechtlichen Ehe. Regisseur Adam McKay baut bisweilen selbstironische Reflexionen über die Unmöglichkeit eines Cheney-Filmporträts ein, wodurch „Vice“ an die Strategien eines Michael Moore erinnert. Sonst aber reiht der Film doch biografische Stationen aneinander. Der Ton ist dadurch uneinheitlich, was irritiert. Dick Cheney ist einfach nicht zu fassen. Der Film ist dennoch äußerst erhellend, gerade angesichts eines US-Präsidenten Trump, der derzeit auch die Machtbefugnisse seines Amts bis zum Äußersten ausnutzt. Cheney hat ihm diesen Weg geebnet, lässt sich aus Adam McKays Politdrama folgern.

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