Forschung Schliemanns Erbinnen: Ausstellung über Archäologinnen
Archäologie – bei diesem Stichwort fallen einem Ausgrabungen von Schätzen vergangener Hochkulturen ein. Heinrich Schliemann gilt bis heute als Prototyp des Forschers, der auf dem Weg zu seinen Entdeckungen in Troja und Mykene weder Mühen und noch Risiko scheute. Er ist Vertreter einer männlich dominierten Fachdisziplin – in der sich Frauen nur langsam durchsetzen konnten.
Die aus Jüterbog stammende Ida von Boxberg (1806-1893) ist eine davon. Wie die meisten der vorgestellten elf Frauen ist sie unverheiratet, führt ein langes Leben und hat einen bürgerlichen Hintergrund, der die Verwirklichung ihrer Berufspläne erleichtert. Die Tochter eines adligen Offiziers lebt lange als Gouvernante in Frankreich und bekommt dort Kontakt zu den in Europa führenden Altsteinzeitforschern. Mit ihrer Erfahrung bei Ausgrabungen in Frankreich kann sie in ihrer Wahlheimat Zschorna bei Radeburg den sächsischen König mit ihren bedeutenden prähistorischen Sammlungen beeindrucken.
Von Boxberg und andere Archäologinnen im 19. Jahrhundert gelten als seltene Exotinnen, die als Autodidaktinnen mit ihrer Leidenschaft und Fachkenntnis bei weltoffenen Kollegen durchaus auf Anerkennung stoßen. Nach der Öffnung der Universitäten für Frauen werden diese dagegen von Männern verstärkt als Konkurrenten auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Karriere wahrgenommen.
Margarete Bieber (1879-1978) ist eine andere dieser Pionierinnen. 1901 ist sie die erste Abiturientin in Westpreußen und beginnt als erste Gasthörerin ein Studium in Berlin. 1923 wird sie an der Universität Gießen als zweite Frau in Deutschland außerplanmäßige Professorin. Bei Forschungsreisen zu Stätten der römischen und griechischen Antike stößt sie immer wieder auf männliche Vorbehalte, die sie mit Offenheit und Freundlichkeit zu überwinden versucht. 1934 flieht Bieber als Jüdin vor den Nazis in die USA.
„Wenn Sie ein Kerl sind, bleiben Sie bei der Vorgeschichte!“
Gertrud Dorka (1893-1976) arbeitete ursprünglich als Lehrerin. Ihr Interesse an der Frühgeschichte führt sie zum Studium der Archäologie in Berlin. Als ihr Professor 1936 ihr Dissertationsthema aus ideologischen Gründen ablehnt, macht sie an der Uni Kiel weiter, wohin sie ein anderer Professor mit den Worten vermittelt: „Wenn Sie ein Kerl sind, bleiben Sie bei der Vorgeschichte!“ Wegen ihrer Distanz zur NS-Ideologie wird sie 1947 als erste Frau Direktorin eines staatlichen Museums, des heutigen Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin. Gleichzeitig ist sie Leiterin der Berliner Baudenkmalpflege und damit auch verantwortlich für eine Ausgrabung, die Anfang der 50er-Jahre im Stadtteil Britz zu einem sensationellen Fund aus dem sechsten Jahrhundert führt.
Waldtraut Schrickel (1920-2009) ist in der DDR die erste Frau, die im Fach Ur- und Frühgeschichte habilitiert. Nach ihrer Flucht in die Bundesrepublik kommt es zum Karriereknick – die Spezialistin für Steinzeitforschung erhält nur eingeschränkte Lehrbefugnis an der Universität Heidelberg. Nicht wenige Archäologinnen, die vom Osten in den Westen wechseln, konnten in den 50er- und 60er-Jahren ihre wissenschaftlichen Karrieren in der Bundesrepublik nicht fortsetzen, „weil sie in den männlich dominierten Fachbereichen als Konkurrenten gesehen wurden“, sagt Ausstellungskuratorin Doris Gutsmiedl-Schümann.
Frauen müssen mehr leisten als Männer für die Anerkennung
Und heute? Laut Gutsmiedl-Schümann beginnen mehr Frauen als Männer mit dem Studium der Archäologie, doch bei den Studien-Abschlüssen und später im Beruf ist das Verhältnis umgekehrt. „Es brechen mehr Frauen ab oder suchen sich nach dem Abschluss einen anderen Beruf, weil sie glauben, dass sie Berufs- und Privatleben nicht miteinander vereinbaren können“, sagt die Privatdozentin an der TU Berlin. „Doch das ist ein Irrtum: Wer Kinder hat, muss nicht für Ausgrabungen lange weit von zu Hause weg unterwegs sein. Archäologische Fachfirmen suchen Personal, das zum Beispiel bei Vorarbeiten für Bauprojekte in der Region den Boden erkundet.“
Das Fazit der Kuratorin, die in einem Forschungsprojekt die Biografien von 400 Archäologinnen unter die Lupe genommen hat: „Frauen haben bei ihren Arbeiten stärker einen interdisziplinären Blick. Und sie probieren eher in der Praxis aus, was sie erforscht haben, zum Beispiel die Herstellung von entdeckten Kleidungsstücken oder die Ausübung von antiken Sportarten. In Nachrufen findet man oft den Hinweis, dass Archäologinnen mehr leisten mussten als männliche Kollegen, um anerkannt zu werden.“
Die Ausstellung
„Ein gut Theil Eigenheit – Lebenswege früher Archäologinnen“ bis 3. September im Museum August Kestner in Hannover, vom 4. Oktober bis 14. November an der Uni Mainz (Schule des Sehens, Jakob-Welder-Weg 18) und vom 20. November bis 31. Dezember im Trierer Palais Waldendorff. Digital ist die Ausstellung unter archaeologinnen-lebenswege.de zu finden.