Portät Reinhard Mey: Der Barde mit der Gitarre wird 80

Liedermacher Reinhard Mey wird 80.
Liedermacher Reinhard Mey wird 80.

Bei „Über den Wolken“ singt der ganze Saal mit. Mit solchen Liedern zur Gitarre begeistert Reinhard Mey, der nun 80 wird, seine Fans bis heute. Dabei hatte er in jungen Jahren erst einmal einen ganz anderen Beruf ergriffen.

Es gibt wohl nur wenige Menschen, die eine andere als die Startbahn null-drei kennen. Reinhard Mey hat der Piste – deren zugehöriger Flugplatz im Unklaren bleibt – ein musikalisches Denkmal gesetzt. In seinem viel gecoverten Song „Über den Wolken“ weht der Wind auch stets aus Nord/Ost. Und, ja, in der Luftaufsichtsbaracke scheint ein Kaffee-Trinker zu arbeiten. An heutigen Mittwoch wird der leidenschaftliche Hobbypilot und Liedermacher Reinhard Mey 80 Jahre alt.

Alter bedeutet für Mey nicht automatisch Ruhestand. Gerade erst hat er – allein und mit Gitarre vor bis zu 7000 Fans – coronabedingt verschobene Konzerte gespielt. Bei „Über den Wolken“ singt der ganze Saal mit. Er nennt es auf seiner Homepage „Tournee meines Lebens“.

Deutsches und französisches Abitur

Der gebürtige Berliner ist seiner Heimatstadt weitgehend treu geblieben. Hier lernt er nach Klavier und Trompete schließlich Gitarre. Das Instrument wird ihn durch sein Leben begleiten. Er spielt früh mit den Rotten Radish Skiffle Guys und im Trio „Les trois affamés“ (Die drei Hungrigen).

Die Eltern sind mit einem französischen Paar befreundet. Damit sowas wie Krieg zwischen beiden Ländern nicht mehr passiert, schicken sie Reinhard aufs französische Gymnasium in Berlin. Nach deutschem Abitur und dem französischem Gegenstück, dem Baccalauréat, lernt Mey Industriekaufmann, bricht aber das nur zur Beruhigung der Eltern begonnene Betriebswirtschaftsstudium ab. Er will sich ganz der Musik widmen.

Erfolg ab Anfang der 1970er-Jahre

Die Karriere beginnt als „Barde mit der Gitarre“ („Ich wollte wie Orpheus singen“) in den 1960er-Jahren in Frankreich als Frédérik Mey. Er vertont Balladen von François Villon und Gedichte des Lyrikers Georg von der Vring. In Deutschland tingelt er durch Kneipen, spielt Konzerte mit Hannes Wader – das jeweils dürftige eigene Programm der jungen Barden reicht für komplette Konzertabende noch nicht aus.

Der Erfolg kam 1971 mit seinem Song „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Titel wie dieser finden mit den Jahren als Sprichwörter ihren Platz im allgemeinen Sprachgebrauch. Mey wird zum Alleingänger unter den deutschen Liedermachern. Alben werden vergoldet, er spielt lange Tourneen.

Über 1300 Konzerte

Seine Lieder sind seine Biografie: So erzählte er, dass er in Berlin geboren wurde „als die ersten Bomben fielen“, dass er in der Schule „ein faules Stück“ war und zur Musik kam „wie die Jungfrau zum Kind“. Mey erzählt Kuriositäten wie „Ich bin Klempner von Beruf“ oder „Ankomme Freitag den 13.“, gibt sich rettungslos verliebt in „Annabelle, ach Annabelle“, er wird sarkastisch in „Die heiße Schlacht am kalten Büffet“ oder gar böse wie in „Diplomatenjagd“. Für das Duo Inga und Wolf schreibt er das einfühlsame Chanson „Gute Nacht, Freunde“, singt das Stück auch selbst.

Seine Sammlung umfasst mehr als 500 Lieder. Mehr als 1300 Konzerte hat er gesungen, 28 deutsche Studienalben und 18 deutsche Livealben hat er aufgenommen. Wenn er auf Tournee gehe, beginne er sechs Monate vorher, jeden Abend das komplette Konzert durchzuspielen. „Ich möchte in keinem einzigen Lied einen Hänger haben.“ Mehr als fünf Millionen Tonträger hat er verkauft. Die Songs auf der jüngsten Aufnahme „Das Haus an der Ampel“ werfen in melancholischem Grundton den Blick zurück aufs Elternhaus.

Zunehmend politischer

Mit seiner zweiten Frau Hella gründet Reinhard Mey die eigene Familie. Das Leben mit den Kindern Frederik, Maximilian und Victoria-Luise macht auch das Liedrepertoire privater. Maximilian stirbt 2014 nach fünf Jahren im Wachkoma nach einer Lungenentzündung. Frederik wird Pilot. Victoria-Luise begleitet den Vater mitunter als Sängerin oder Fotografin.

Mit den Jahrzehnten wird der überzeugte Vegetarier, der für manche aus der Generation der 68er im Vergleich zu anderen Kollegen zu weich gespült und zu gefühlig wirkte, politischer. Er positioniert sich für Frieden und gegen Krieg. 2003 singt er zusammen mit Hannes Wader und Konstantin Wecker Friedenslieder vor einer halben Million Demonstranten, die in Berlin gegen den US-Krieg im Irak protestieren. Im Frühjahr 2022 gehört Reinhard Mey zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes, der sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht.

Er wirkt zwar oft wie der sprichwörtliche nette Schwiegersohn, kann aber auch anders: 2002 legt er sich mit Rasen mähenden Nachbarn seines Ferienhauses in Kampen auf Sylt an. Seiner Beliebtheit schaden solche Auseinandersetzungen offenbar nicht. Seinen Geburtstag will er in aller Stille im Kreis seiner Familie feiern, wie seine Tournee-Managerin Sali Aydin berichtet.

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