Kultur Humboldts Seelenverwandte

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Mit ihren Entdeckungsreisen machten sie im 19. Jahrhundert von sich reden und sind bis heute nicht vergessen: Männer wie David Livingstone, Sven Hedin oder Alexander von Humboldt. Letzterer verstand sich als Mentor dreier junger Forscher, die von 1854 bis 1858 in Indien und Zentralasien auf einer Expedition unterwegs waren. Sie steht jetzt im Mittelpunkt einer Ausstellung im Alpinen Museum München: „Über den Himalaya“.

Alexander von Humboldt muss von den wissenschaftlichen Fähigkeiten und körperlichen Kräften der drei in München aufgewachsenen Brüder Hermann, Adolph und Robert Schlaginweit überzeugt gewesen sein, sonst hätte er sie wohl kaum mit Empfehlungsschreiben unterstützt. Für ihn waren die jungen Forscher, die in der Isarmetropole studiert und dort auch Unterricht im Zeichnen, in den Naturwissenschaften und Fremdsprachen bekommen hatten, offenbar Seelenverwandte. Kein Zufall, dass sie ihre erste Publikation über die Alpen dem berühmten Weltreisenden widmeten. „Unter allen Dingen, zu denen ich mitgewirkt, ist Ihre Expedition nun eine der wichtigsten geblieben. Es wird mich dieselbe noch im Sterben erfreuen“, schrieb Humboldt den Wissenschaftlern am 4. September 1854 zum Abschied. Zwei Wochen später schifften sie sich von Southampton Richtung Indien ein und brachen zu ihrer mehrjährigen Forschungsreise auf – im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. und der britischen „East India Company“. Der in winziger Schrift abgefasste Brief Humboldts ist nun hinter Glas zu sehen. Vor allem aber fesseln die Besucher in der Ausstellung alte Fotografien und exotische Objekte wie eine tibetische Schlangenwirbel-Gebetskette, Masken, aus Serpentin geschnittene Trinkschalen oder rund 100 Aquarelle. Diese Blätter besitzen einen hohen ästhetischen Reiz und zeigen verschneite Gebirgsketten, Tempel sowie Porträts von Einheimischen. Rund 30.000 Kilometer Wegstrecke legte der aus Dienern und Dolmetschern bestehende Tross zurück. Träger waren bei diesem Wissenschaftstrekking unentbehrlich: Allein die Fotoausrüstung von Robert Schlaginweit war 200 Kilogramm schwer. Man sammelte Pflanzen und Mineralien, fertigte Karten und Tierpräparate an oder machte von Gesichtern Einheimischer Gipsabdrücke: Sammlungsstücke, die später in über 500 Kisten nach Europa transportiert wurden und nun in einer Auswahl zu sehen sind. Lange lagerten sie in der Jägersburg, einem Anwesen, das die Brüder in der Nähe des oberfränkischen Ortes Forchheim erworben hatten. Aufgebrochen waren die Schlaginweits, um ganz profane magnetische Messdaten zu erheben. Denn nicht im wissenschaftlichen Nirgendwo waren die drei unterwegs, sondern letztlich dienten ihre detaillierten Untersuchungen von Land und Leuten handfesten kolonialistischen Interessen ihrer Auftraggeber. Erstmals erforschten Europäer systematisch die Hochgebirgsregionen von Himalaya und Karakorum. Topografische Skizzen von Pässen und Gletschern in Kashmir, Ladakh, Sikkim und Kumaon entstanden. Heute gehören sie zu den ersten Landschaftsdarstellungen dieser Gebiete. Dass die Brüder wahre Tausendsassas waren, beweist die Tatsache, dass sie den Kamet im Garwhal-Himalaya 6785 Meter hoch stiegen und damit einen lange bestehenden Höhenrekord aufstellten. Derartiges Draufgängertum wurde Adolph Schlaginweit allerdings zum Verhängnis. 1857 fiel er bei einer Exkursion durch das politisch äußerst instabile Turkestan einem Warlord in die Hände und wurde schließlich als Spion einen Kopf kürzer gemacht. Während die verbliebenen zwei Brüder nach ihrer Rückkehr in Deutschland als Helden gefeiert wurden, betrachtete man die Ergebnisse ihrer Tour in England wesentlich nüchterner, ja stufte diese – da angeblich weitgehend bekannt – sogar als überflüssig ein. Wie auch immer heute die Forschungsreise der drei wissenschaftlichen Abenteurer beurteilt werden mag – faszinierend sind die jetzt präsentierten Relikte allemal. Die Ausstellung „Über den Himalaya. Die Expedition der Brüder Schlaginweit nach Indien und Zentralasien 1854 bis 1858“, bis 10. Januar 2016 im Alpinen Museum, Praterinsel 5, München zu sehen.

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