Aktionsmonat Ein Burger für die Ewigkeit: Rammstein-Sänger Lindemann wirbt für den Veganismus

Till Lindemann isst veganen Burger
Till Lindemann isst veganen Burger

Dass jetzt ausgerechnet mit Rammstein-Sänger Till Lindemann für vegane Ernährung geworben wird, zeigt nur wie aufgeheizt die Debatte ist. Wer für Veganismus eintritt, muss offensichtlich - noch - den Ball flach halten. Unter den Jungen aber wächst die Tofu-Fraktion.

Till Lindemann isst genüsslich einen Pflanzen-Burger. Der inoffizielle Deutsche Meister der Provokation. Der leidenschaftliche Fleischesser. Der international schwer verehrte Kopf der brachialen Pathos-Punk-Gruppe Rammstein. Zuletzt feierte er unverblümt die Vergewaltigung einer durch K.O.-Tropfen sedierten Frau in Gedichtform. Vorher sein Musikclip-Auftritt samt Band, alle in KZ-Häftlingskleidung. Jetzt also vegane Ernährung. Soll was genau heißen?

Der Spot zeigt Lindemann mit blonder Perücke, im Anzug, mit weiß-roter Hemd-Krawatten-Kombination. Er ist allein auf Youtube rund eine Million Mal angeklickt worden. Das Remake einer Kunstaktion. Denn der Fünf-Minuten-Film zitiert eins zu eins das Video „Andy Warhol isst einen Hamburger“, das 1982 entstanden ist.

Bei Warhol ging’s darum, seine Faszination für den amerikanischen Way of Life auszustellen. Berühmt sein Satz von der „perfekten“ Cola, die den Geschmack demokratisiere. Bedeutet: Auch für einen Elon Musk schmeckt sie nicht anders als für Hinz und Kunz. Coca-Cola und Pepsi nutzten damals die Vorlage gerne aus.

Der Lindemann-Burger-Spot ist von der Firma LikeMeat gedreht worden. In Zusammenarbeit mit „Veganuary“. Die 2014 gegründete britische Organisation bringt jetzt auch deutschen Verbraucher/innen näher, sich vegan zu ernähren. Und damit, im Gute-Vorsätze-Monat Januar (January auf Englisch) zu beginnen. Wer sich bis zum 31. auf der Internetseite anmeldet, wird mit veganen Rezepten, Informationen und Produktempfehlungen versorgt. Kein Wunder, dass selbst Lidl oder Aldi, sonst nicht als Horte des Veganismus verschrien, die Kampagne als Verkaufsförderung herzlich willkommen heißen.

Lindemann, steht in einer Kampagnen-Pressemitteilung fast stolz, sei bekennender Fleischesser. Und: „Wir glauben daran, dass man liebgewonnene Traditionen mit einem modernen Lifestyle verbinden und somit das Beste von beidem genießen kann.“ Fleisch essen also als „liebgewonnene Tradition“, vegane Ernährung als Pendant zum SUV-Fahren. Dazu Lindemann, der nicht als er selbst, sondern in der Rolle als Andy Warhol einen veganen Burger verzehrt. Defensiver lässt sich die Sache des Veganismus kaum noch vertreten. Vielleicht auch nicht anders. Die ganze Kampagne ist der Versuch, den Ball flach zu halten. Das Gegenteil der Haltung, die ein gängiger Witz illustriert: Woran erkennt man einen Veganer? Er erzählt es einem. Um kaum eine Sache jedenfalls wird leidenschaftlicher gestritten als um den Fleischkonsum und die quasi naturrechtliche in Anspruch genommene Vernutzung der Tier- und Pflanzenwelt. Und warum? Weil die einen die Lebensentwürfe der anderen bestreiten.

Eiferer gegen „Schmeckt-mir“-Fraktion

Extrempositionen: der missionarische Eiferer versus den Steak-essenden Widerstandskämpfer, der seine Freiheitsrechte verteidigt.

Schrumpfformen: der leise sein moralisch-ethisches Überlegenheitsgefühl auskostende Hafermilch-Cappuccino-Trinker und Kartoffel-„Leberwurst“-Esser gegen die „Schmeckt mir halt“-Fraktion. Sind nur Tiere, immerhin.

Varianten: der Ich-esse-sehr-wenig-Fleisch-und-wenn-dann-nur-Bio-Flexitarier und der Eier löffelnde Vegetarier, der einkalkuliert, dass ein Huhn, das man in Ruhe ließe, 15 Eier im Jahr ausbrüten würde – statt so gut wie jeden Tag eins zu legen. Von der Angora-Unterwäsche, für die Kaninchen die Haare ausgerissen werden, zu schweigen.

Sagen wir es so: Im Prinzip stellt jeder gesunde und muntere Veganer unter den eine Million Bundesbürgern, die so leben (darunter 70 Prozent Frauen), eine ethische Provokation dar für uns anderen. Zumindest aber für die Fleischkonsumenten. Es geht auch anders.

60 Kilogramm essen die Deutschen durchschnittlich im Jahr davon. Trotz der Skandale. Mit dem Risiko, krank zu werden (Diabetes, Fettleibigkeit, Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs). Auch wenn man Bluthochdrucktabletten nehmen muss, statt als Veganer B-12-Nahrungsergänzungsmittel.

Die Tierhaltung, selbst ungeachtet davon, mit wie viel Lebensverachtung sie vielfach vonstatten geht, verursacht rund 15 Prozent der Treibhausemissionen weltweit. Mehr als der gesamte Verkehrssektor – 7,1 Milliarden Tonnen CO2 genau genommen. Für 500 Kilokalorien Rindfleisch sind 4902 Liter Wasser nötig. Für 500 Kilokalorien Kartoffeln 89 Liter. Tierhaltung erzeugt Tier- und Pflanzenartensterben. Auf 70 Prozent (oder 125 Millionen Hektar) der landwirtschaftlichen Fläche der EU wird Tierfutter angebaut. Der Regenwald wird auch dafür vernichtet. Viel Holz, um im Bild zu bleiben, für eine „liebgewordene Tradition“. Möglich immerhin, dass jetzt eine neue entsteht.

„Das Verhältnis zu den Tieren“, lautet der erste Satz von Corine Pelluchons kämpferischem „Manifest für die Tiere“ (C.H. Beck, 12 Euro), „ist ein Spiegel, wozu wir in den letzten Jahrhunderten geworden sind“. Sie meint: Einer Menschheit „die ihre Seele zu verlieren droht“. Neue Umfragen indes zeigen, dass sich langsam etwas zu ändern scheint.

Deutschland ist schon der größte Markt für vegane Produkte weltweit. Von Januar bis Juli 2020 ist der Umsatz, der mit Soja, Tofu, Hafermilch & Co erzielt worden ist, hierzulande noch einmal um 42,9 Prozent auf 1,248 Milliarden Euro gestiegen. Ein Grund, wie es heißt, sei, dass sich durch die Pandemie gerade das Selbst- und Umweltverhältnis der Menschen intensiviert.

Einer Untersuchung der Universität Göttingen des Jahres 2020 zufolge ernähren sich knapp 13 Prozent der 15- bis 29-Jährigen vegetarisch oder vegan. Gegenüber sechs Prozent in der Gesamtbevölkerung. Viele der Jungen haben sich dabei unter dem Eindruck der Klimaschutzbewegung umentschieden, der sich 75 Prozent der Veganer/innen zugehörig fühlen. Sei’s drum: Was erst, wenn sich jetzt noch die Rammstein-Fans anschließen?

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