Kultur Die Diva kann sprechen

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„Mmmmh, mmmmh.“ Die Mannheimer Nacht mit Madonna beginnt um halb Acht und in der Warteschlange. Kühl. Um nicht zu sagen „Frozen“. Mit zornigem Wind im Haar. Draußen. Nach Ewigkeiten erst Körperkontakt. Und leider mit einem Security-Mann, der hartschalige Notizbücher für scharfe Waffen hält. Endlich drin dann in der ausverkauften SAP-Arena, unsexy dösen. Konzertbeginn, kurz vor Elf. Madonna kommt sehr spät und aus Antwerpen. Wir sind – mit Verlaub – Stunden älter. Sie seit Jahrzehnten ja kaum mehr als Sekunden.

Auf der Videowand jetzt das Gesicht von Bad-Boy-Boxer Mike Tyson, der auch schon besser ausgesehen hat. Im Käfig. Gefangen. Er sagt, er sei schön. Madonnaräkeln hinter Gittern dazu. Denkt wohl, sie sei Jeanne d’Arc. Zugriff erfolgt. Gezerre uniformierter Typen. Kunstblut rinnt. Wie aus dem Video heraus auf die Bühne marschiert die Privatarmee der – das muss jetzt raus – 57 Jahre alten Immer-Queen des Pop auf. Goldglänzende Krieger, Helm mit Heiligenschein, Kreuze als Waffen. Fuchteln, fighten. Dann sie. Vom Himmel hoch kommt sie her. Im Käfig. Madonnaeinschweben, martialisches Tun am Boden. Die Feldherrin reiht sich in die Truppe ein. Wofür gekämpft wird? Blöde Frage. „Iconic“, das erste Lied wummert. Text: „Tell me I’m no good and I’ll be great/Say I have to fight and I can’t wait.“ Soll wohl heißen, Madonna führt auf der um ihr 13. Studioalbum herum inszenierten „Rebel Heart“-Tour einen Weltkrieg für sich selbst. „Ich will die Welt retten“, sagt sie. Und meint – wenn es nicht um Musik-Bedeutungsüberhänge wie den geht, dass Miniröcke für Frauen jenseits der Meno-Pause noch okay sind – vor allem sich selbst. Ihren Selbstanspruch. Ihren Triumph des Behauptungswillens im Business der Allergrößten, das sie in ihrer weiblichen Altersklasse mangels praktizierender Konkurrenz sowieso alleine vertritt. „Bitch, I’m Madonna“ singt sie als zweites Lied. „No one fucks with the queen“, sagt sie später in der Nacht einmal in einem ihrer Gucci-Wang-Puglisi-Moschino-Miu-Miu-Prada-Kostümpanzerungen. Ganz genau. Und davor wird in der über zweistündigen, durchgetakteten, zwischen Ethno-Musical, Cirque du Soleil, Moulin Rouge und Lagerfeuer arrangierten Show wie immer gegen Macht und Prüderie und die Kirche rebelliert. Und das Altwerden und – Gott bewahre – Sterben. Gegen nichts also, was sie in den vergangenen 30 (!) Jahren nicht schon songtechnisch eingerissen hätte. Kein Tabu, nirgends, das nicht selbst von der die Ex-Hupfdohle, Ex-Virgin, Ex-Pornomadame, Ex-Esoterikerin, Ex-Discoqueen, Ex-Mustermutter, Immer-Ikone selbst etabliert worden wäre. Die Frau auf zwei Beinen und mit einer Milliarde Fußnoten, wie einmal jemand schrieb, tanzt mit Musik bewaffnet ganz unsubtil offene Türen ein. Was als popkultureller Gestus natürlich ganz großartig ist. Im Einzelnen aber manchmal auch fad. Für die Freunde der objektiven Berichterstattung sei gesagt, dass das Glitzerkleid, das Madonna im Konzert trug, laut Presseinfo mit 2,5 Millionen Swarovski-Steinen besetzt war. 60 Menschen arbeiteten an den Kostümen, 500 Paar Schuhe wurden maßgeschneidert, 22 Videos spielten im Hintergrund, über zwei Millionen LED-Pixel waren beteiligt, 23 Songs wurden gespielt, 25 Saiteninstrumente benutzt. Eine Karte kostet schon einmal 200 Euro. Für den Rest bleibt die Nachricht, dass bei Madonna das Mehr mehr bleibt. Ein gutes Konzert. Madonna-DIN. Kein berührendes. Nicht überragend. Ekstase? Nein! Musik: Von Diplo arrangiert, dem gefragtesten Produzenten derzeit. Oder David-Guetta-Helfer Avicii. Neuerfinder Kayne West war bei der Studioproduktion „Rebel Heart“ dabei. Sehr okaye Musik. Das neueste Ding, aber die Luft ist raus. (Man wird ja selbst doch auch älter). Kein ganz großer Hit, aber in 14 Ländern auf Platz eins. Nichts, was die Leute aufspringen lässt, aber „Rebel Heart“ singen sie schon mit. Auch sehr gut: „Iconic“ und „Illuminati“. Bei „Living For Love“ brummbummt der Bass im Übrigen herzallerliebst. Im Konzert neu sind die stillen Inseln. Die Singer-Songwriter-Szenen. Die Ukulele, die Madonna zur zurückgenommenen Version von „True Blue“ spielt – die Backgroundsängerinnen fingerschnippen –, steht ihr gut. Der Heavy-Metal-Bass, den sie für „Burning Up“ anschleppt, dagegen ist zu groß. Bestes Kostüm: Der Torerofummel, den sie zu einem Flamenco-getriggerten Mix aus „La Isla Bonita“, „Dress you up“ und „Lucky Star“ anhat. Bühnenbild: Videomonitore. Eine kippbare Bühne für Tanztheater. Auslauf in den Innenraum. Tänzer: Wahnsinn. Müssen leiden. Werden von der Chefin malträtiert. Bei „Heartbreak City“ stößt sie einen vom Gipfel der Wendeltreppe ins Bodenlose. Aber er fällt weich. Beste Performance: „Like a Virgin“, wenn Madonna sich selbst in theatralisch-roboterhaften Zuckungen fast ironisiert. Schlechteste Geschmacklosigkeiten: Die als Nonnen verkleidete Tänzerinnen in Rüschenslip stangentanzend an Kreuzen. Oralsex mit Madonna in einer Abendmahlszenerie. Dass Madonna im leicht durchgeknallten Song „Holy Water“ mit verzerrter Sing-Stimme behauptet „Yeezus loves my pussy“. Muss auch in unheiligen Wertekriegszeiten nicht zwingend sein. Körperdaten, Coolness: Madonna sieht von weitem aus wie eine Hollywood-Diva aus den 1950ern. Kalkiges, knitterfreies Gesicht, Mund rot, der Spott um die Mundwinkel. Madonna hat – ganzganz leicht – Winkearme. Süß. Madonna atmet manchmal leicht schwer. Madonna tanzt nicht immerzu. Madonna nimmt sich drei lange Umziehauszeiten, während ihre Tänzer herumhansen. Einmal turnen – zum Playback von „Sex“ – vier Paare in der politisch korrekten Konstellation Mann/Frau (2), Frau/Frau und Mann/Mann in Betten herum. Manchmal schreitet Madonna nur noch königlich über die Bühne. Öfter bewegt sie ihren Hintern nur noch in Andeutungen. Madonna singt wie Dolly Parton. Madonna trällert „La vie en rose“ (nicht sehr gut). Sitzend. Mit Ukulele. Zwischendurch geht auch mal was daneben. Madonna war nie für ihr Singenkönnen weltberühmt. Letzte Nachrichten: Madonna ist irdisch. Madonna kann unperfekt. Madonna spricht. Madonna kann Anbiedern („Are you my bitches?“). Versucht Jokes und lernt das deutsche Wort Witz dazu. Madonna wirft einen Brautstrauß und holt den Fänger auf die Bühne und gibt ihm den Spitznamen „Schnitzel“. Patrick aus Karlsruhe, der kein Englisch kann und „Madonna made me gay“ auf dem T-Shirt stehen hat. Sie wollen heiraten. Sagt sie. Und lacht. Patrick muss leider tanzen. Madonna schenkt ihm eine Banane zur freien Verfügung. Er kapiert: nichts. Das Ganze ein Großscheitern. Madonna sucht Bauer. Patrick ab. Aus. Die ersten gehen. Eine Zugabe. Auf tritt sie, Deutschland-Fahne als Regencape um. Singt „Holiday“. Die Tänzer haben noch nicht frei, Breitwand-Trallala. Der Vorhang fällt. „Bye, Bitches“ steht da. Meint sie mich? Mmh. Dass die Nacht so enden muss.

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