Nachruf Der Vater des „Kleinen Nick“: Zum Tod des Zeichners Sempé

Zeichnete mit Lust an kindlicher Freude: Jean-Jacques Sempé anno 2019 vor einer Illustration seines größten Erfolges, dem „Klein
Zeichnete mit Lust an kindlicher Freude: Jean-Jacques Sempé anno 2019 vor einer Illustration seines größten Erfolges, dem »Kleinen Nick«.

2014 ließ Frankreich Sondermünzen zu den Werten der Republik prägen. Jean-Jacques Sempé zeichnete stellvertretend für die „Freiheit“ eine Figur, die freihändig Fahrrad fährt. Und fast kindliche Zufriedenheit verströmt. Nun ist der Erfinder des „Kleinen Nick“ kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben.

Wer in Paris wohnt, hat Glück. Etwa das Glück, in die Galerie Martine Gossieaux hinterm Musee d'Orsay huschen zu können, um dort Werke des Künstlers Jean-Jacques Sempé zu bewundern. Jetzt ist der Illustrator des „Kleinen Nick“ gestorben – am 17. August wäre er 90 geworden. Sein Verlag Diogenes würdigte Sempés Arbeiten nun als „Meisterwerke des Humors“. In ihnen habe er auf „zärtlich-ironische“ Art den Menschen ihre Schwächen und die der Welt vorgeführt.

Bis zuletzt hatte sich Sempé dankbar für die öffentliche Anerkennung gezeigt: „Ich hätte nie geglaubt, dass eines Tages jemand meine Sachen kaufen wird, um sie bei sich zu Hause zu haben“, bekannte er einmal gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“; „das haut mich um, auch nach all den Jahren noch.“

Die Zufälle des Lebens

Es ist diese fast kindliche Freude über die Zufälle des Lebens, die auch in Sempés Zeichnungen steckt; gepaart mit einem Hauch Melancholie und einer feinen Prise Humor. Dieser Dreiklang wurde ihm wohl in die Wiege gelegt. 1932 in Bordeaux zur Welt gekommen, habe seine Mutter sogleich einen Preis eingeheimst: den für das „schönste Baby“ der Stadt, erinnerte sich der Künstler in seinem 2012 erschienenen Band „Kindheiten“. „Ein schönes Baby, das war damals etwas Abscheuliches: ein dickes Kind, vollgepumpt mit überfetter Milch.“

Über die nachfolgenden Jahre hörte man von Sempé nur wenig Gutes. Von der Mutter seien ihm unter anderem die schallenden Ohrfeigen haften geblieben; vom Stiefvater, einem Lebensmittelhändler, die Streitereien mit der Mutter, wenn dieser alkoholisiert nach Hause kam. „Meine Kindheit war wirklich alles andere als lustig“, so der Zeichner. „Das ist gewiss der Grund dafür, dass ich das Heitere liebe.“ Und vielleicht auch dafür, dass in vielen seiner Zeichnungen Kinder im Mittelpunkt stehen – und die Welt der Erwachsenen oft grau und trist daherkommt.

Die Namensfindung

Besonders sichtbar wird das beim „Kleinen Nick“, Sempés wohl bekanntester Figur. Die zeitlos schönen Anekdoten über einen Schuljungen und seine Clique im Frankreich der 1950er- und 60er-Jahre hat auch in Deutschland eine große Fangemeinde, nicht zuletzt dank Hans Georg Lenzens genialer Übersetzung der Texte des Asterix-Autors René Goscinny. Wie es zu dem Ganzen kam, ist wieder einer jener glücklichen Zufälle, der dem Zeichner in die Hände spielte.

Erstmals ersann Sempé die anfangs noch namenlose Figur für eine Zeitschrift in Belgien. Der Chefredakteur des Blattes wollte dem Kind einen Namen geben. Kurz vor der nächsten Verabredung mit dem Mann, so Sempé, „fuhr ein Bus an mir vorbei, auf dem Werbung für einen Wein namens Nicolas zu sehen war – und, zack!, hatte ich einen Namen für den Kleinen“. Wenig später stieß Goscinny hinzu, der aus den geplanten Comic-Strips mit dem „Kleinen Nick“ ganze Geschichten entstehen ließ.

Ein Ideal

Die Erzählungen spiegeln Sempé zufolge eine Art Ideal wider. „Im ,Kleinen Nick' balgen sich die Kinder, aber sie tun sich nicht weh.“ Stattdessen haben sie jede Menge Spaß im Urlaub, auf dem Sportplatz oder bei Streichen in der Schule.

Natürlich sind seit 1950 eine Fülle an weiteren Werken entstanden. Titelbilder für das US-Magazin „New Yorker“ sind darunter, Zeichnungen für zahlreiche französische Printmedien oder ein Band über Musiker. Und vor zwei Jahren brachte Sempé den Bildband „Garder le cap“ (deutscher Titel: „Hin und weg“) heraus, eine Art Werkschau seiner Karikaturen für „Paris Match“. Danach setzte er sich zur Ruhe. Nun starb er nach Diogenes-Angaben in seinem Ferienort. kna

Sempé im Jahr 2002.
Sempé im Jahr 2002.
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