Pfalzgeschichte(n) Der Pfälzer Putschist: Theodor Casella

Münchner Putschisten vor Straßenbarrikaden auf ihrem Weg vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalle.
Münchner Putschisten vor Straßenbarrikaden auf ihrem Weg vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalle.

Eines der deutschen Ereignisse, die sich an einem 9. November jähren, ist der Versuch von Adolf Hitler und Erich Ludendorff 1923 die Reichsregierung in Berlin zu stürzen. Mit dabei bei diesem „Bierkeller-Putsch“ in München: ein dienstuntauglich aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrter junger Offizier mit Landauer Wurzeln: Theodor Casella.

Der Putsch vom 8. und 9. November vor 100 Jahren sollte Adolf Hitler mit Hilfe der Bayern an die Macht bringen. Von München aus wollte man die Reichsregierung in Berlin zu Fall bringen. Das gescheiterte Unterfangen wurde von der nationalsozialistischen Propaganda später in eine heroische Niederlage umgedeutet, Hitler würdigte die Gefallenen im Vorwort in seinem Buch „Mein Kampf“ als „Blutzeugen der Bewegung“. Einer der Putschisten hatte eine besondere Beziehung zum pfälzischen Landau: Theodor Casella.

Theodor Casella aus Landau als kaiserlicher Offizier.
Theodor Casella aus Landau als kaiserlicher Offizier.
Nicht erfüllte Ankündigung.
Nicht erfüllte Ankündigung.

Verwandt oder verschwägert mit der heute noch dort lebenden gleichnamigen Familie ist er nicht. Der Putschist Theodor Casella wurde am 8. August 1900 in München geboren. Sowohl sein Großvater wie auch sein Vater, alle mit dem Namen Theodor, waren Berufssoldaten. Der Vater wurde 1869 in Landau geboren. Als Berufssoldat wurde man immer wieder versetzt, und so kam auch Vater Casella von München wieder ins heimische Landau, im Jahre 1907 als Hauptmann zum Stab des 23. Infanterieregiments. Casella senior nahm gleich nach Kriegsbeginn 1914 an der Schlacht in Lothringen teil. Danach zog er mit der Pfälzer Division nach Nordfrankreich, wo er in der Schlacht bei Herbécourt, südöstlich von Péronne, Anfang Oktober 1914 fiel. Sein Name ist auf dem Kriegerdenkmal des Landauer Hauptfriedhofs genannt.

Verwundet an der Westfront

In Landau lebten die Casellas in einer Wohnung an der Ecke Westring-Badstraße. Theodor junior besuchte die Volksschule und das Humanistische Gymnasium. Nach dem Tod des Vaters kam er Ende 1914 zum Kadettenkorps in München, wo vernehmlich Söhne aus Offiziers- und Beamtenfamilien zu Offizieren ausgebildet wurden. Hier schloss Casella 1917 mit der Hochschulreife ab und kam als Fahnenjunker-Unteroffizier zum 7. Bayerischen Feld-Artillerie-Regiment. Seine militärische Stammrolle nennt zahlreiche Schlachteneinsätze an der Westfront: Einige Wochen vor Kriegsende in der Schlacht bei Reims wurde er am rechten und linken Arm, am rechten Oberschenkel, am rechten Schulterblatt sowie am Kopf schwer verwundet. Zur Genesung kam er ins Lazarett nach Landau, wo er das Ende des Krieges erlebte.

Noch vor der Besetzung der Pfalz durch die Franzosen ging er wieder nach München. Anfang 1919 begann er dort ein Studium, Ende April trat er dem Freikorps von Weckbecker bei. Nachdem die Reichsregierung Scheidemann im März 1919 die Bildung einer vorläufigen Reichswehr beschlossen hatte, wurde Casella am 1. Mai 1919 dorthin entlassen, entschädigt für seinen Kriegseinsatz beim kaiserlichen Heer mit 50 Mark Entlassungsgeld „und einem compl. Marschanzug“.

Freikorps an der Ruhr

Nach dem Versailler Vertrag allerdings musste das Reichsheer bis zum Januar 1921 seinen Bestand auf 100.000 Mann reduzieren, lediglich etwa zehn Prozent der gesundheitlich „dienstfähigen“ Offiziere durften übernommen werden. Casella gehörte aufgrund seiner Verletzung nicht dazu, die Stammrolle im bayerischen Kriegsarchiv nennt den April 1920 als Datum für seinen Austritt aus dem Militärdienst im Range eines Leutnants. Er hat dann mit den militaristischen Freikorps an den Kämpfen im Ruhrgebiet und Oberschlesien teilgenommen, ist im „Landauer Anzeiger“ zu lesen.

Greifbar wird Casella wieder 1923. Am 1. Mai 1923 fand die erste größere Aktion der Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Kampfverbände statt, ein Zusammenschluss verschiedener nationalistischer Vereine, darunter auch der Wehrverband „Reichsflagge“, zu dem sich Casella bekannte. Die Kampfverbände forderten die bayerische Regierung dazu auf, die Demonstrationen der „Roten“ zum 1. Mai zu verbieten. Das Ultimatum wurde von der Regierung jedoch abgelehnt, was dazu führte, dass sich die Anhänger der Kampfverbände illegal Waffen besorgten und am Morgen des 1. Mai kampfbereit auf dem Münchner Oberwiesenfeld standen. Doch die Reichswehr hatte eine Kordon um den alten Exerzierplatz gelegt und sorgte dafür, dass die Beteiligten kampflos ihre Waffen abgaben.

Auch Casella war beteiligt und wurde von der Polizei beschuldigt, mit einem Maschinengewehr auf dem Oberwiesenfeld gewesen zu sein. Er bestritt dies, er habe nur eine Pistole getragen, dafür habe er einen Waffenschein besessen, was durch eine Recherche der Polizei bestätigt wurde. Eine weitere Recherche ergab, dass er nicht der NSDAP angehörte, damals noch eine von vielen miteinander konkurrierenden völkischen Gruppen. Er bestätigte aber, Mitglied der vaterländischen Organisation „Reichsflagge“ zu sein.

Der Münchner Bürgerbräukeller, seit den frühen 1920er-Jahren Stammlokal der NSDAP.
Der Münchner Bürgerbräukeller, seit den frühen 1920er-Jahren Stammlokal der NSDAP.

Tatort Bürgerbräukeller

Streitereien zwischen den verschiedenen völkischen Gruppen führten dann dazu, dass die Führung der „Reichsflagge“ mit einigen lokalen Gruppen im Oktober 1923 aus dem Verbund der Kampfverbände ausscherte. Daraufhin bildete Ernst Röhm aus den verbliebenen Kampfgruppen der „Reichsflagge“ den neuen Verband „Reichskriegsflagge“, der sich dem Deutschen Kampfbund, Nachfolger der Vaterländischen Kampfverbände, anschloss, und zu dem auch Casella gehörte. Auf Vermittlung Röhms hatte Hitler die politische Leitung des Deutschen Kampfbundes Ende September 1923 übernommen. Hitler dachte an eine Putsch-Aktion, um eine nationale Diktatur zu errichten. Man einigte sich, auf einer nationalen Feier im Bürgerbräukeller am Vorabend des Jahrestages der Novemberrevolution loszuschlagen.

Aus den teilweise unterschiedlichen Schilderungen ergibt sich – auch mit Blick Fokus auf Casellas Schicksal – folgender Ablauf: Am Abend des 8. November war auch ein Teil der bayerischen Regierung im voll besetzten Bürgerbräukeller, um die Rede des bayerischen Generalstaatskommissars Gustav Kahr – ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten zum Kampf gegen Rechts und Links – zu hören, der über die Ziele seiner Politik sprach. Nach etwa einer halben Stunde betrat Hitler mit SA-Chef Hermann Göring und bewaffneten SA-Leuten den Saal. Hitler unterbrach mit einem Schuss in die Decke die Rede Kahrs, stieg auf einen Stuhl und verwies auf den von Kampfverbänden und SA umstellten Bürgerbräukeller und erklärte die Regierung „der Novemberverbrecher in Berlin“ für abgesetzt und die Bildung einer „provisorischen deutschen Nationalregierung“ unter seiner Führung. Angesichts der waffenstarrenden Umgebung stimmten Kahr und die Vertreter der bayerischen Regierung nach kurzer Unterredung zu.

Ernst Röhm hatte am gleichen Abend seine Mitglieder der „Reichskriegsflagge“ im Löwenbräukeller einbestellt. Auf die Nachricht, dass die bayerische Regierung dem Putsch zugestimmt habe, marschierte Röhm mit seinen Leuten, unter ihnen auch Casella, sogleich zum Wehrkreiskommando München, dem Sitz des bayerischen Landeskommandanten der Reichswehr. Es wurde besetzt, um die mögliche Gegenaktionen der Reichswehr zu kontrollieren oder auch abzuwehren, weshalb auch Straßenbarrikaden vor dem Gebäude errichtet wurden.

Tod am Odeonsplatz

Aber noch in derselben Nacht hatten sich Kahr und die teilnehmenden Mitglieder der bayerischen Regierung von ihrer Zusage an Hitler distanziert, sie sei nur auf Druck zustanden gekommen. Die telefonisch angeforderten regierungstreuen Truppen von außerhalb Münchens kamen und rückten am Vormittag gegen das Wehrkreiskommando vor, das nun von der „Reichskriegsflagge“ unter Röhm verteidigt wurde. Bei dem Schusswechsel wurden zwei Putschisten getötet, einer davon war Theodor Casella. Röhm handelte eine Feuerpause aus. Um den Putsch nicht scheitern zu lassen, sollte unter Führung Hitlers ein Propagandamarsch vom Bürgerbräukeller zum Wehrkreiskommando durchgeführt werden, wohl auch, um Röhm und seine Truppe zu unterstützen. Der Marsch mit etwa 2000 Beteiligten endete jedoch in einer Schießerei an der Feldherrnhalle mit 19 Todesopfern. Daraufhin gab Röhm auf, er wurde verhaftet, die Mitglieder der „Reichskriegsflagge“ mussten die Waffen abgeben, durften aber frei abziehen.

November: Putschisten und eine Menschenmenge auf dem Münchner Marienplatz.
November: Putschisten und eine Menschenmenge auf dem Münchner Marienplatz.

Casella und den weiteren getöteten Putschteilnehmern widmete Hitler zwei Jahre später den ersten Band seines Buches „Mein Kampf“, den er in der Gefängnis-Haftzeit für seinen Putschversuch geschrieben hatte. Die gefallenen Putschisten sind dort namentlich aufgeführt, Theodor Casella mit der Berufsbezeichnung „Bankbeamter“, der Polizeibericht bezeichnete ihn als „Bankvolontär“.

Ehrungen in Landau

Nach 1933 wurde in Landau daran erinnert, dass einer der sogenannten „Blutzeugen der Bewegung“ seine Jugendjahre dort verbracht hatte. Am zehnten Jahrestag des Hitlerputsches, am 9. November 1933, wurde in Landau die Badstraße in Casellastraße umbenannt. Dazu hatte der Landauer Stadtrat ein Telegramm an die Mutter Casellas nach München gesandt: „Zum Gedenken und zur Ehre Ihres Sohnes Theodor als Vorkämpfer und Opfer für das heutige neue Deutschland haben die Kreisleitung und Fraktion der NSDAP sowie der Stadtrat der Stadt Landau, Pfalz, heute beschlossen, die hiesige Badstraße in Casellastraße umzubenennen“.

Der „Landauer Anzeiger“ sah die Umbenennung der Badstraße in Casellastraße angesichts dem an der Straße liegenden Humanistischen Gymnasium als verpflichtendes Vorbild für die Landauer Schuljugend und als Symbol „an Pflichttreue und Opfermut“, die bedingungslose Opferbereitschaft wurde zum Orientierungs- und Erziehungsmaßstab erklärt.

Ende des Ruhms

Von Theodor Casella liegen außer seinen Aussagen in den Polizeiprotokollen zum Verhalten im Mai 1923 keine Äußerungen vor. Doch darf man davon ausgehen, dass er, groß geworden in einer militärischen Familientradition im bayerischen Königreich, im August 1917 auf den bayerischen König Ludwig III. vereidigt, als „Kriegsbeschädigter“ keine berufliche Perspektiven im reduzierten 100.000-Mann-Reichsheer hatte. Er hat wohl vergeblich versucht, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Vermutlich hegte er aufgrund seiner Familientradition große Sympathien für eine Wiedereinführung der Monarchie. Als Mitglied in den Freikorps und auch in der „Reichs(kriegs)flagge“ gehörte er zu denen, die die parlamentarische Demokratie und den „Parteienhader“ der Weimarer Republik ablehnten und bekämpften und sich für eine autoritäre Regierungsform einsetzten.

Diese undemokratische und völkisch-nationalistische Haltung führte dazu, dass mit Kriegsende 1945 die Badstraße in Landau wieder ihren alten Namen bekam. Auch Casellastraßen in anderen Städten wie Düsseldorf, Worms oder Heilbronn heißen längst wieder anders.

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