Kultur „Das war eine Konterrevolution“

Karl-Heinz Steffens beim Gespräch in der Ludwigshafener Philharmonie.
Karl-Heinz Steffens beim Gespräch in der Ludwigshafener Philharmonie.

Im Juli geht mit dem Abschlusskonzert des Musikfests in Speyer eine Ära bei der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz zu Ende. Chefdirigent Karl-Heinz Steffens wird das Orchester nach neun Jahren verlassen. Im Gespräch mit Frank Pommer berichtet Steffens von erreichten Zielen, aber auch von Enttäuschungen, und er bezieht dezidiert Stellung zu der Art und Weise, wie das Orchester zuletzt mit dem scheidenden Intendanten Michael Kaufmann umgegangen ist.

Wenn Sie ein Resümee ziehen sollten nach fast zehn Jahren bei der Deutschen Staatsphilharmonie, welche Ziele haben Sie erreicht? Was bleibt quasi unerledigt?

Ich kam hierher nach Ludwigshafen mit den Erfahrungen, den Qualitätsansprüchen auch eines Soloklarinettisten bei den Berliner Philharmonikern und habe hier einen ziemlich heterogenen Laden vorgefunden. Ich habe von Beginn an gesagt, dass es mein Anspruch ist, dass das Orchester dann, wenn ich gehen werde, auf dem Niveau musizieren wird, wie die um uns agierenden Rundfunkorchester des Südwestrundfunks oder auch des Hessischen Rundfunks. Das Orchester sollte kompakt werden, sollte eine eigene Sprache finden, einen eigenen Klangstil. Die Leute sollten erkennen können: Das ist der Klang der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Ich finde, da haben wir einiges erreicht. Aber so ein Orchester ist natürlich einem stetigen Wandel unterzogen, es kommen junge Musiker hinzu, ältere bekommen ganz plötzlich Probleme, Gruppen, die vorher noch wunderbar funktioniert haben, geraten in Schwierigkeiten. Da muss man frühzeitig gegensteuern, man muss in die Zukunft des Orchesters investieren – das habe ich gegenüber der Politik, gegenüber dem Träger des Orchesters, deutlich gemacht, aber nicht das erreicht, was nach meiner Überzeugung notwendig gewesen wäre. Vielleicht schaffen das jetzt Menschen, die eine andere Sprache gegenüber der Politik sprechen als ich das getan habe. Trotzdem überwiegt der positive Eindruck: Das Orchester ist künstlerisch stabiler, es ist konkurrenzfähig geworden in unserer gemeinsamen Zeit. Gibt es konkrete Projekte, die Sie gerne umgesetzt hätten? Sie hatten doch beispielsweise mal Pläne für weitere Opernprojekte. Ich hatte nach dem „Ring“ die Lust und den Drang, weiterhin Oper mit dem Orchester zu spielen, weil das für die Entwicklung des Orchesters sehr gut gewesen wäre. Da bin ich aber leider doch recht klar zurückgepfiffen worden aus Mainz. Der Träger im Ministerium hat zwar gesagt, dass sei schön gewesen mit dem „Ring“, aber man habe ja die Opernhäuser in Mainz und Kaiserslautern und würde deshalb für weitere Opernprojekte keine Zustimmung, keine Unterstützung geben. Deshalb war meine Idee, einen Zyklus mit den Da-Ponte-Opern von Mozart in einer unserer Spielstätten in der Pfalz zu machen, nicht realisierbar. Sie müssen bei der Staatsphilharmonie einfach mit dem zufrieden sein, was Sie haben und daraus dann das Beste machen. Das klingt jetzt aber schon ein wenig verbittert. Entspricht das Ihrer momentanen Stimmung? Oder was überwiegt beim Abschied: Stolz, Freude, leichte Trauer und Melancholie? Es ist schon die Einsicht, dass wir für die erforderliche Weiterentwicklung des Orchesters nicht die zwingend erforderliche Unterstützung aus Mainz bekommen haben. Aber es gibt keine Verbitterung, weil wir ja trotzdem so tolle Projekte wie den Zyklus aller Bruckner-Sinfonien in den Domen des Landes machen konnten. Ich wollte ja immer zeigen, was wir auch in zu engen Grenzen leisten können. Deshalb ist es mehr Zufriedenheit mit dem Erreichten – und auch Abschiedsschmerz. Es gab ja nicht so viele Chefdirigenten, die fast zehn Jahre bei dem Orchester waren. Dazu waren es für mich sehr bedeutende Jahre: ich musste ja auch mir selbst und der Welt überhaupt erst einmal beweisen, dass ich das machen kann. Ich habe eine Stelle bei den Berliner Philharmonikern ebenso aufgegeben wie eine Professur in Berlin und musste nun schauen, dass ich auch im Alltag als Dirigent bestehen kann, nicht nur in den ersten vier, fünf Konzerten. Das macht mich schon glücklich und auch ein wenig stolz. Es gab ja durchaus auch Auseinandersetzungen mit dem Mainzer Ministerium, wo man Ihnen Versprechungen bezüglich Orchesterstellen gemacht hat, die nicht eingehalten wurden. Ist das vergessen oder schwingt da noch Enttäuschung mit? Ich will da eigentlich nicht mehr zurückblicken, auch wenn sicherlich der Frust dabei ist, nach dem Sie eben schon einmal gefragt haben. Aber es ist mehr der Frust über mich selbst, weil ich mich frage: „Was habe ich falsch gemacht, dass ich das nicht erreichen konnte, was in der Sache doch so sinnvoll und notwendig ist?“ Man argumentiert, engagiert sich, versucht zu überzeugen, scheint ja auch Fortschritte zu machen, um dann doch zu erfahren, dass das Land keine Notwendigkeit für die Entwicklung sieht. Das waren dann so die Momente, in denen ich nach Hause gekommen bin und meiner Frau gesagt habe: „Ich mache das nicht mehr weiter.“ Ich hätte noch mehr Ideen für dieses Orchester gehabt, aber bei allem Loben und Hilfe-Zusichern, der Rückenwind, den ich aus Mainz gebraucht hätte, der kam nicht. Da muss jetzt vielleicht ein jung-dynamischer künftiger Weltstar kommen, dem man nichts mehr abschlagen kann. Das habe ich jetzt ganz nüchtern akzeptiert und verstanden. Ganz ohne negative Gefühle. Da schwingt dann aber doch auch Enttäuschung mit? Ja, natürlich, es kann ja auch gar nicht anders sein, wenn man immer wieder das Gefühl vermittelt bekommt, dass für die entscheidenden Politiker die Kultur einfach nicht die angemessene Bedeutung hat. Für mich ist das ein großer Fehler. Man spielt die Kultur dann aus gegen Kita-Plätze und vergisst dabei, dass das Zusammenleben der Menschen – zumindest für mich – als Kultur zu bezeichnen ist. Kultur und Soziales sind für mich absolut eins. Vor diesem Hintergrund betrachtet, würden Sie denn Ihrem Nachfolger einen Rat mitgeben? Nein, ganz bestimmt nicht. Ich kam hierher, da waren die damalige Intendanz und der Personalrat völlig zerstritten, ich kam in eine Situation, in der es schwere Differenzen zwischen Intendanz und Ministerium gab. Es waren wirklich sehr komplizierte Zustände, um es vorsichtig auszudrücken. Ich habe da auf meine ganz persönliche Art reagiert, und das muss mein Nachfolger auch tun. Es ist ja auch jetzt wieder viel negative Energie da, wobei es scheint, dass mit dem neuen Intendanten Beat Fehlmann jemand gefunden ist, der hier ausgleichend wirken kann. Jetzt müssen alle nach Wegen suchen, aus dieser Situation wieder herauszukommen. Aber es gibt nun doch auch künstlerische Kriterien, die man mitbringen muss für dieses Orchester, das keine wirkliche Heimat hat, quasi als Reiseorchester unterwegs ist? Der Chefdirigent der Staatsphilharmonie muss die Musik und das Musikmachen wirklich lieben, und zwar in Zweibrücken wie in Pirmasens oder in Ludwigshafen und Mannheim. Die Staatsphilharmonie ist ja wirklich kein Luxusorchester; wenn Sie hier Chef sind, haben Sie keinen Saal, in dem das Orchester Hausorchester ist, dafür aber einen schwierigen Probenraum. Der Neue muss aber ein so leidenschaftlicher Musiker sein, dass ihm das eigentlich egal ist. Wir haben ja sehr viele Eingaben gemacht, weil die Probensituation wirklich unerträglich ist, es gab Pläne für Umbau und Verbesserung. Doch am Schluss hieß es immer: „Nein, es ist kein Geld da.“ Sich davon nicht demoralisieren zu lassen, das ist das Einzige, was man da tun kann. Bei der Staatsphilharmonie wird es den totalen Umbruch geben, da auch Intendant Michael Kaufmann das Orchester verlassen wird. Wäre es aus Ihrer Sicht besser gewesen, wenigstens auf dieser Führungsposition Kontinuität zu wahren? Ich habe alle Beteiligten immer empfohlen, mit dem Intendanten Michael Kaufmann weiterzumachen. Michael Kaufmann wollte unbedingt, dass ich meinen Vertrag hier verlängere, er hat aber auch verstanden, warum ich mich anders entschieden habe. Dennoch hätte ich mich gefreut, wenn das Orchester mit ihm hätte weitermachen können. Für mich waren das sieben großartige Jahre zusammen mit ihm bei der Staatsphilharmonie, und es wäre ohne Michael Kaufmann doch nur ein Bruchteil dessen, was wir vor allem in Bezug auf die nationale, ja internationale Außenwirkung des Orchesters erreicht haben, möglich gewesen. Deswegen bin ich traurig, dass er das Orchester verlässt. Aber jeder von uns ist nur ein Mensch, und jeder kann nur ein gewisses Quantum an Widerstand gegen seine eigene Person ertragen. Wenn man das Gefühl hat, das geht jetzt zu weit, dann kann ich verstehen, dass Michael Kaufmann für sich entschieden hat, seine Konsequenzen daraus zu ziehen. Wenn Sie eine solche Institution wie die Staatsphilharmonie nur noch führen sollen aus der Sicht eines Betriebs- oder Personalrats, dann ist das das Ende dieser Institution. Dann bekommen Sie nichts mehr nach vorne gebracht. Sie haben die Auseinandersetzungen zwischen Intendanz und Teilen des Orchesters angesprochen, inwieweit haben Sie diese denn verfolgt? Ganz ehrlich? Das war eine Konterrevolution. Ein Umsturz, der genau geplant war und eisenhart durchgezogen wurde. Ich habe dem Orchester sehr früh gesagt, dass ich damit nichts zu tun haben will. Und ich habe deutlich gemacht, dass ich das nicht in Ordnung finde, dass ich es geradezu für skandalös halte. Das Orchester agiert dabei nach außen immer als Kollektiv, wie Pilatus. Keiner will etwas gesagt oder getan haben. Aber natürlich sind es Einzelpersonen, die für so etwas verantwortlich sind. Ich bin überzeugt, dass viele Mitglieder des Orchesters durchaus sehen, was Michael Kaufmann bewegt, positiv verändert hat für die Staatsphilharmonie. Aber diese Leute gehen unter und werden von den Revoluzzern einkassiert. Man kann das immer wieder auch beim Verhältnis zwischen Chefdirigent und Orchester beobachten. Am Anfang ist da Euphorie und Begeisterung, mit der Zeit kühlt die Atmosphäre merklich ab. Mitunter endet es in einer hässlichen Scheidung. Ist das normal? Ich habe schon das Gefühl, dass wir im Guten auseinandergehen. Unsere letzten Konzerte waren alle sehr schön. Ich wünsche mir, dass dies für die verbleibenden Konzerte auch so sein wird. Fragen der Orchesterpolitik gehen wir aus dem Weg, wir machen jetzt unsere Musik zusammen. Von meiner Seite gibt es den Wunsch, im Juli, wenn wir beim Musikfest in Speyer den Wagner-Abend gespielt haben, auch mit Freude auseinandergehen werden.

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