Kultur Das Spielen geht weiter

Beschreibt sich im Buch als „leidenschaftlichen Europäer“: Mario Adorf.
Beschreibt sich im Buch als »leidenschaftlichen Europäer«: Mario Adorf.

„Ich war wirklich nie ehrgeizig. Viele Dinge habe ich nur getan, weil sie am Wegesrand lagen“, lässt sich Mario Adorf in „Zugabe!“ zitieren. „Ich habe vielleicht die Gabe entwickelt, Chancen zu erkennen. Auch heute denke ich: Man muss lernen, das Glück zu packen.“ Kann es so einfach sein, sich aus einer schweren Kriegsjugend in der Eifel, gar teils im Waisenhaus und später im Luftschutzbunker verbracht, zu einem der größten deutschen Schauspieler zu entwickeln? Mario Adorf zumindest erzählt gern von sich als Mensch ohne großen Plan, der aber Gelegenheiten zügig beim Schopf packt. Und man hört dem großen Geschichtenerzähler auch sehr gern zu, inzwischen noch lieber als in früheren Jahren. Denn heute, mit 88, zeigt sich der in Mayen aufgewachsene Schauspieler, der Rheinland-Pfalz nach wie vor als seine Heimat sieht, aufgeschlossen und mit allem im Reinen. Auch mit dem Alter, abgesehen von der schlimmer werdenden Schwerhörigkeit. „Ich überlasse mich dem Alter allmählich, ohne es oder den Verfall zu beschönigen“, sagte er kürzlich beim Pressetermin in Berlin. Je älter desto besser, lautet auch die These des Buchs „Zugabe!“, das nicht Adorf selbst geschrieben hat, sondern der Journalist Tim Pröse („Focus“, „Münchner Abendzeitung“). Der 48-Jährige versteht den Band als Porträt, Spurensuche und Reportage. Wobei er glaubt, „dass Worte allein nicht reichen, um ihn zur erklären“, diesen Mann mit dem Kaminknistern in der Stimme und der raumgreifenden Wirkung. Und so erzählt Pröse von einem Lieblingslied, das Adorf immer summe: „Good Bye, Johnny“, gesungen von Hans Albers, 1939, zu Kriegsbeginn. Da war Adorf neun. Es ist ein Lied über den Tod eines Freundes, getragen von der Hoffnung, dass das Leben doch weiter geht. Zwangsoptimistisch irgendwie, typisch für Adorf, meint Pröse. Ein Jahr lang hat er Adorf begleitet und interviewt, sein Buch will nun die ganz besondere Adorf-Aura entschlüsseln, dem „Unerklärlichen, das er stets mit sich führt, näherkommen“. Und so bilden Wortlaut-Interviews das Herz des Buches. Dazwischen liegen Pröses Interpretationen und Anekdoten, auch eigene Erinnerungen, an sein Entdecken des Schauspielers Adorf etwa. „Die ersten Erlebnisse mit ihm duften nach Steinofen und zerlaufenem Käse“, schreibt er: Denn als Kind der 1970er habe er Adorf beim erstem Besuch einer Pizzeria auf einem Foto entdeckt – und ihn seither mit Italienträumen assoziiert. Diese Szene wirkt ein wenig konstruiert. Wie auch die Sache mit dem Lieblingslied. Schließlich könnte Adorf „Good Bye, Johnny“ während der Arbeit am Buch schlicht öfter geträllert haben, weil das Lied Teil des Tour-Repertoires sein wird, das ab Mai vor dem 88-Jährigen liegt. Befragt hat Pröse Adorf zumindest nicht zu diesem Lied. So ist dieses Buch auch eine gewisse Mogelpackung. Als „Lebensbilanz“ kündigt der Verlag das Werk zudem an, während Adorf selbst gerade bei der Berliner Uraufführung des Dokumentarfilms „Es hätte schlimmer kommen können – Mario Adorf“ deutlich machte, dass er noch nicht ans Bilanzziehen denkt. Oder ans Aufhören. Zwar wird die ebenfalls „Zugabe“ benannte Lesetour – oder eher Geschichtenerzählreise – seine letzte vor Live-Publikum sein, kündigte er in Berlin an. Aber dies sei „nur ein kleiner Abschied von der Bühne, nicht von Film und Fernsehen“. Adorf will immer weiter spielen. Und so sind auch die Gespräche über seinen Beruf, den er als Möglichkeit zum Hineinriechen in andere Leben beschreibt, die schönsten in Pröses Buch: „Ich verwandle mich nicht in jemand, ich identifiziere mich nicht mit ihm, sondern ich versetze mich in ihn“, erklärt er seine Arbeit. Und: „Ich habe den Reichtum dieses Berufs immer so verstanden, dass ich, wenn ich andere Menschen spiele und mich mit ihnen beschäftige, Erfahrungen sammeln konnte, die diese Menschen gemacht haben. Es wurden dann auf einmal meine Erfahrungen.“ Auch ist es spannend, mit Adorf über Politik, die deutsche Gegenwart und Vergangenheit zu sprechen. Wie er dem Tod im Krieg entkam, erzählt Adorf verstreut in verschiedenen Kapiteln noch einmal. Und wie er eher zufällig, aus Bewunderung für die Marine, als knapp 14-Jähriger sich doch nicht wie der Rest seiner Schulklasse – unter Aufforderung des Lehrers nach dem misslungenen Stauffenberg-Attentat – zur Waffen-SS gemeldet hatte. Politisch steht Adorf der Sozialdemokratie nahe. Und ist „leidenschaftlicher Europäer“, schließlich lebte der Halbitaliener lange in Rom, heute wohnt er in München, in Paris und im Sommer in St. Tropez, woher seine Frau Monique stammt. Den Rechtsruck Europas beobachtet er mit Sorge: „Ich habe zuerst gedacht, dass sind ein paar Wahnsinnige und Verrückte und Fehlgeleitete. Ich habe es nicht ernst genommen. Und plötzlich ist die Politik erkrankt, die politischen Kräfte wissen keinen Ausweg mehr.“ Er sei „fassungslos, dass es Leute gibt, die ernsthaft diese ganzen populistischen Ideen verfechten, dass Menschen existieren, die wirklich gegen die Demokratie sind“. Er glaubt: „Viele sind verbohrt, ihnen fehlt es ganz simpel an Menschlichkeit.“ Diese nachdenklichen, starken Passagen hat Tim Pröse ans Ende seines gar nicht so dicken Buches gestellt. Offenbar möchte der Mann, der aus dem Boulevardjournalismus kommt, die Leser zunächst mit leichteren Themen unterhalten. So erfahren wir, dass die Mayener Dampfnudeln, die seine Mutter trotz harter Hungerjahre zwischendurch zaubern konnte, Mario Adorfs liebste Speise waren. Auch Adorfs Liebesleben will Pröse erkunden und beschreibt das beobachtete Eheleben der Adorfs in St. Tropez – das scheint dann fast ein wenig voyeuristisch. Und so ist der weniger private Film „Es hätte schlimmer kommen können – Mario Adorf“ doch das bessere Porträt dieses großen Schauspielers. Die Dokumentation könnte vor dem Kinostart im Herbst auch beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen laufen, wo Mario Adorf schon gerne zu Gast war. Buch, Film und Tour —Tim Pröse: „Mario Adorf – Zugabe!“, Kiepenheuer & Witsch; 258 Seiten; 20 Euro. —Der Kinostart von „Es hätte schlimmer kommen können“ ist für Herbst geplant. —Ab Mai ist Mario Adorf mit Geschichten und Chansons auf „Zugabe“-Tournee: 15. Mai, Stuttgart; 17. Mai, Baden-Baden; 18. Mai, Frankfurt; www.marioadorf.com

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