Ostern RHEINPFALZ Plus Artikel Abt Nikodemus von Jerusalem: „Glauben ist wie ein Kuss“

Pilger tragen in diesem Archivbild auf der Via Dolorosa das Kreuz – an Karfreitag 2024 gibt es wegen des Kriegs kaum Touristen,
Pilger tragen in diesem Archivbild auf der Via Dolorosa das Kreuz – an Karfreitag 2024 gibt es wegen des Kriegs kaum Touristen, die Jerusalem besuchen,

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Abt Nikodemus von Jerusalem lebt seit 20 Jahren im Heiligen Land und hat einen ganz persönlichen Blick auf die Frage, warum den deutschen Kirchen die Mitglieder weglaufen. Ein Gespräch zu Ostern über die Sehnsucht nach Sinn, verkopfte Pilger und den Krieg zwischen Israel und der Hamas.

Abt Nikodemus, Jerusalem ist Juden wie Christen und Muslimen heilig. Wir sind in der Karwoche und der islamische Fastenmonat Ramadan läuft. Ende April folgt das Pessach-Fest. Und gleichzeitig ist Krieg im Heiligen Land. Wie wirkt sich der Waffengang Israels gegen die Hamas auf die Osterfeier in Ihrer Abtei und den anderen Kirchen Jerusalems aus?
Die Juden hatten ja auch gerade Purim, und wir haben zweimal Ostern. Das westliche jetzt und das östliche fünf Wochen später – das wird dann eine Woche nach dem jüdischen Pessach sein. Ich wünsche unseren orthodoxen Brüdern und Schwestern, dass sie Ostern unter anderen Umständen feiern dürfen.

Die massivste Auswirkung, die wir spüren ist: Es gibt keine Pilger. Es gibt sie, aber das sind vereinzelte. Normalerweise haben wir zu Ostern so drei, vier Gruppen gleichzeitig da, mehrere Hundert Pilger, und diesmal wird das glaube ich sehr beschaulich sein. Palmsonntag waren wir 35 Leute. Das erinnert an Corona, da war das auch so.

In Jerusalem selbst – das mutet vielleicht seltsam an – merkt man, würde man nicht die Nachrichten verfolgen, vom Krieg nichts. Der Krieg ist sozusagen erschreckend weit weg. Gaza ist 80 Kilometer entfernt und das sind 80 weite Kilometer. Das heißt, jemand, der in Deutschland vor dem Fernseher sitzt und Nachrichten schaut, ist näher dran als jemand, der in Jerusalem lebt und den Fernseher auslässt.

Keine Pilger, weil der Krieg den Touristen Angst macht …
Ja, das Pilgern ist zusammengebrochen. Und die Christen hier, auch wir als Dormitio, leben finanziell von den Pilgern. Christen sind ganz klassisch Reiseführer, Busunternehmer, Restaurantbesitzer, Hoteliers, und das ist genau der Sektor, der richtig massiv getroffen wird. Gerade wenn wir nach Bethlehem schauen, über die Mauer nach Beit Jala, Beit Sahur, christliches Zentrum der Westbank, da sind die Christen wirklich auf den Pilgertourismus angewiesen. Die haben kein Weihnachten gehabt. Das war schon brutal. Sie werden jetzt auch kein Ostern haben.

Nikodemus, bürgerlich: Claudius, Schnabel ist seit 2023 der Chef der Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion im Süden der Altstadt von
Nikodemus, bürgerlich: Claudius, Schnabel ist seit 2023 der Chef der Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion im Süden der Altstadt von Jerusalem. Er wurde 1978 in Stuttgart geboren und studierte in Fulda, München, Münster und Jerusalem. 2003 trat er als Beneditkinermönch in die Dormitio-Abtei ein.

Dabei sind die Christen in diesem Konflikt zwischen Hamas und Israel zwischen den Stühlen.
Wir Christen sind Opfer auf beiden Seiten. Am 7. Oktober wurden auch vier Katholiken ermordet, vier Philippinos, Arbeitsmigranten, drei Frauen, ein Mann. Und mittlerweile haben wir in Gaza 30 tote Christen. Die Christen haben einen furchtbaren Preis bezahlt, haben aber den geringsten Anteil an diesem Konflikt. Denn ich kann garantieren, kein Christ in Gaza hat je eine Rakete gebastelt oder irgendjemanden entführt und getötet. Und die Christen sitzen auch nicht in den Flugzeugen der israelischen Armee oder in den Panzern.

Können Sie den wirtschaftlichen Schaden schon beziffern?
Wir haben zwei Klöster, Tabgha am See Genezareth und Jerusalem – da sind 38 Angestellte, vom Toilettenputzer zum Personal in der Cafeteria und im Laden. Da kommen in normalen Zeiten bis zu 5000 Pilger. Die Infrastruktur und das Personal sind darauf ausgelegt, dass gut 5000 Pilger kommen können. Würde ich rein ökonomisch denken, müsste ich das Personal nach Hause schicken. Aber wenn ich die entlasse, gerade unser Personal im Kloster Jerusalem, die aus der Westbank kommen, entlasse ich die mit ihren Familien in die Armut. Da gibt es kein Kurzarbeitergeld oder Bürgergeld oder so etwas.

Ich habe keinen unserer Angestellten seit dem 7. Oktober entlassen. Das heißt, jeden Monat verlieren wir einen höheren fünfstelligen Eurobetrag, weil die Ausgaben so gut wie gleich bleiben, aber die Einnahmen mangels Pilger wegbrechen.

Wie kompensiert Ihr Kloster das?
Eine Aktion, mit der wir das etwas kompensieren können, ist unsere Aktion Osterlicht. Da zünden wir in unseren Klöstern für jeden, der uns eine Spende gibt, eine Osterkerze an. Da machen dann auch Leute mit, die wir als Stammpublikum, bezeichnen können, die sich aber im Moment eben nicht trauen, hierher zu reisen oder sagen „Ich traue mich ja, aber meine Frau nicht oder mein Reisebegleiter“.

Der Krieg in Nahost polarisiert die Deutschen: auf der einen Seite die Pro-Palästina-Fraktion auf der anderen Seite die Fraktion derer, die Israels Recht auf Selbstverteidigung unterstreichen und jeden Widerspruch als Antisemitismus sehen. Wie sehen Sie den Blick der Deutschen aufs Heilige Land. Hat sich da etwas verändert in den letzten Jahren oder sind das so die beiden Lager, die es da immer gegeben hat und dasselbe Spiel sehen wir eben nun wieder?
Ich finde den deutschen Blick unheimlich anstrengend. Das kommt mir vor wie bei einem Fußballmatch: So Borussia Dortmund gegen Bayern München und jeder schwenkt so seine Fahne und feuert sein Team an. Da muss ich sagen: Ne, Leute, hier sterben Menschen. Hier leiden Menschen. Hier werden Biografien zerstört. Hier wurden Menschen vergewaltigt, hier wurden Menschen entführt. Hier zittern Menschen um ihre Zukunft, hier sind Menschen auf der Flucht. Das ist ein Ozean von Leid. Und da will ich gar nicht aufwiegen, welches Leid schlimmer ist. Da finde ich es anstrengend, wenn manche Menschen nur Tränen für eine Seite haben. Da ist meine Position, die ich auch in Friedenszeiten immer wieder betone: Ich bin weder pro Israel oder pro Palästina, ich bin pro Mensch.

In Friedenszeiten hören das die Leute immer gerne. Da heißt es dann, der Abt von Jerusalem hat das aber schön gesagt. Im Krieg sieht es anders aus. Aber das ist wirklich auch ein Konsens hier unter uns Brüdern. Denn jedes Staatsgebilde, jede Grenze, jede Flagge, jede Hymne ist menschengemacht. Und das sollte man nicht sakralisieren. Was wirklich göttlich ist und eine unverlierbare Würde hat und was Juden und Muslime und Christen gemeinsam glauben, ist, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Im säkularen Gewand steht es ja so im Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und letztendlich haben wir im Moment doch nur Verlierer auf beiden Seiten.

Unsere Antwort, unsere Botschaft in dieser Kriegszeit ist: Wir sind da. Unsere Kirchen sind offen, unsere Cafeteria ist offen. Wir sind als Mönche da, feiern Liturgie. Wir beten auch. Am 17. Oktober haben wir 24 Stunden gebetet – alle 150 Psalme. Es gab schon zwei Konzerte. Wir haben in unserem Kloster Tabgha ein ganzes Behindertendorf aufgenommen. Wo wir können, wollen wir helfen. Einfach da sein. Und konsequent pro Mensch sein.

Der aktuelle Krieg mit der Hamas – hier Dschabalia im Gazastreifen – ist im Alltag in Jerusalem kaum präsent.
Der aktuelle Krieg mit der Hamas – hier Dschabalia im Gazastreifen – ist im Alltag in Jerusalem kaum präsent.

Sie kritisieren in einem Beitrag auf katholisch.de, der Katholikentag Ende Mai in Erfurt müsse viel stärker das gemeinsame religiöse Gespräch über das Heilige Land vermitteln - über die Konfessionen hinaus. Was meinen Sie damit?
Also, der Katholikentag hat das Motto „Zukunft hat der Mensch des Friedens“. Und wenn ich mir die Nachrichten in der Tageschau ansehe, ist ja meine Wahlheimat immer noch Tag für Tag präsent. Und ich glaube, es gibt vor allem auch eine religiöse Perspektive dazu. Und dann gibt es nur diese eine einzige Veranstaltung zu diesem Thema, das hochaktuell ist und leider hochaktuell bleiben wird?

Mir fehlt auch grundsätzlich beim Katholikentag der Blick in die weite Welt. Was die Katholische Kirche doch auszeichnet, ist diese universale Perspektive, sie ist Weltkirche. Gerne können wir auch vergessene Konflikte diskutieren – Nicaragua oder gerne Süd-Sudan. Auch die Ukraine könnte gerne noch viel stärker im Blick sein. Wie kann man aber gerade den Nahen Osten dermaßen unterbelichten? Und dann noch die eine Veranstaltung ohne religiöse Stimmen besetzen? Ladet doch religiöse Führer ein, Juden, Christen, Muslime aus dem Heiligen Land ein und lasst die reden. Von mir aus ökumenisch, nur verschiedene Christen. Ich hätte zig Ideen, die über das hinausgehen, was der Katholikentag anbietet.

Sie wurden evangelisch getauft, sind dann zum Katholizismus übergetreten und sind sogar Abt geworden. Viele Deutsche können heute die Unterschiede zwischen den beiden großen Kirchen gar nicht mehr benennen. Was unterscheidet die beiden theologisch aus Ihrer Sicht bis heute?
Da muss ich etwas klarstellen. Ich bin kein Konvertit. Ich war 13, als ich Katholik wurde. Vorher gab es aber keine evangelische Glaubenspraxis, von der ich mich abgewandt hätte. Ich bin mehr oder weniger nichtkirchlich erzogen worden. Ich stamme aus einer Künstlerfamilie. Als die Einladung zum Konfirmationsunterricht kam, habe ich mich dann entschieden, dass ich katholisch sein wollte.

Ok, aber was konkret trennt die beiden Kirchen?
Was ökumenisch trennt, ist die Ämterfrage um das bischöfliche und priesterliche Amt - und das Amt des Papstes. Aber – da bin ich wenig originell in dieser Aussage – die großen Fragen sind weniger theologischer Art. Da haben wir schon sehr, sehr viel ausgetragen und sehr, sehr viel bewegt.

Die Frage ist, glaube ich, auch die einer emotionalen Art und es geht um Perspektive. Der ganz, ganz große Pluspunkt der Katholischen Kirche ist – und das höre ich auch von evangelischen oder orthodoxen Freunden – dass wir eine Universalkirche sind. Wir sind eine Kirche auf jedem Kontinent und in jedem Land präsent. Eine Kirche, die wirklich global denkt. Ihre Beheimatung ist jenseits von Sprach- und Kulturgrenzen. Da ist dieses große Wir, diese große Glaubensgemeinschaft von 1,37 Milliarden Mitgliedern.

Gleichzeitig ist die Katholische Kirche zentralisiert, das Papsttum wird gerne kritisiert.
Ja, das hat auch wiederum etwas Lähmendes, weil man dann sagt, warum können wir es bitte nicht so oder so machen? Das braucht ein gutes Hinhören und nochmal Hinhören und nochmal Hinhören. Bei der Evangelischen Kirche ist es das andere Extrem, wo quasi jede Landeskirche ihre eigene Liturgie hat. Wo teilweise das einzelne Presbyterium sagen kann, bei uns machen wir das nun so hier. Da ist der Blick sehr stark vor Ort.

Das merken dann Protestanten, wenn sie ins Ausland gehen. Ein Evangelical in den USA, das hat ja sehr wenig zu tun mit der EKD in Deutschland.

Also, meine Liebeserklärung als Katholik lautet: Ich bin gerne Teil einer Weltkirche. Und ich möchte an einen Gott glauben, für den ich kein Abitur brauche. Wir bezeugen das ja in Jerusalem am Palmsonntag: Wenn Gott in Jesus Christus Mensch wurde, dann konnte ich ihn sehen und ich konnte ihn hören, ich konnte ihn anfassen und sogar riechen, das liebe ich. Ich bin Liturgiewissenschaftler. Das ist der Künstlersohn in mir: Ich liebe die nonverbalen Ausdrucksformen des Glaubens. Ich liebe religiöse Architektur, Kirchenmusik, liturgische Gewänder, Prozessionen, Gestik, Gebet. Alles, worin sich etwas vermittelt. Glaube ist nicht nur eine intellektuelle Kopfübung, sondern etwas, was mit allen Sinnen auch erfassbar ist. Und ich glaube, das kann man auch säkular vermitteln. Jede verbale Liebeserklärung ist immer ein Stammeln. Und nicht so intensiv wie ein Kuss zum Beispiel oder eine Umarmung.

Palmsonntag 2024 in Jerusalem: Armenische Priester in der Grabeskirche.
Palmsonntag 2024 in Jerusalem: Armenische Priester in der Grabeskirche.

Woran liegt das ihrer Meinung nach, dass sich die Deutschen so schwer damit tun, einfach zu glauben und sich fallen zu lassen?
Ich bin immer ein bisschen zurückhaltend mit solchen Ferndiagnosen, weil ich es auch „genieße“, wenn die Deutschen mir erklären, wie ich mich im Nahe Osten zu verhalten habe. Ich bin jetzt 20 Jahre hier und war zuständig für die Migranten und Asylsuchenden. Und ich frage, was diese Leute bewegt. Oder warum Pilger hierherkommen. Ich glaube, als Kirche müssen wir klar machen, wir sind eigentlich Gottsucher. Wir müssten eigentlich die Sehnsuchtsexperten werden. Wenn Leute fragen, was ist eigentlich der Sinn des Lebens, was ist eigentlich das, was bleibt? Oder ich finde diese eigentlich säkulare Frage spannend, mit der man auch mit Atheisten ein tolles Gespräch anfangen kann: Findet mich das Glück?

Das ist eine Frage, die eigentlich jeden Menschen umtreibt. Und da finde ich es traurig, dass viele Menschen in Deutschland nicht auf die Idee kommen, dass die Kirche auf diese Frage eine Antwort haben könnte. Da müsste man kritisch zurückfragen, liebe Kirche, wie stellt ihr euch dar, wie inszeniert ihr euch, zu was meldet ihr euch zu Wort, wie kommt ihr rüber?

Unternehmensberater würden fragen: Braucht es eine andere Struktur für Kirche?
Lassen Sie uns überlegen, bei aller Vorsichtigkeit. Sagen wir, wir wären so eine Art Werte-Konzern. Dann würde ich erwidern: Also Mercedes und BMW, die stellen auch irgendwie Werte her. Materielle Werte zwar, aber ich finde diese ganze Werte-Ethik schon sehr schwierig als Ansatz. Ich will keine Werte vermitteln. Ich will Menschen bei der Gott-Suche helfen. Ich möchte die Frage nach Gott wachhalten.

Ja, und wie geht das?

Ich

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