Sport Wutwolke über dem deutschen Strafraum

Zufriedenheit sieht anders aus: Wortführer Müller, daneben Schürrle, Höwedes, Gomez und Hector.

Saint-Denis. Bei der Bewertung mancher Fußballspiele hilft der Blick zurück. Weltmeister Deutschland hat in Brasilien vor zwei Jahren nach dem 4:0 über Portugal zum Auftakt was folgen lassen? Ein 2:2 gegen Ghana. Das zweite Turnierspiel liegt der Elf von Joachim Löw nicht. Und so gilt es, wohl auch das 0:0 gegen Polen am Donnerstag in Saint-Denis im zweiten EM-Gruppenspiel einfach abzuhaken.

Im Grunde kann sich auch keiner beschweren, denn Bundestrainer Löw hatte die EM im Vorfeld immer wieder in zwei Phasen eingeteilt. Wie im Leben heißt die Devise bei der Titelmission in Frankreich: erst die Pflicht und dann die Kür. Mit kühlem Kopf soll die Gruppenphase überstanden werden. Nun ist die deutsche Elf mit den punktgleichen Polen nach zwei Spielen Gruppenerster. Beide haben je vier Zähler auf dem Konto. Um diesen Platz zu verteidigen, muss am Dienstag (18 Uhr) im Prinzenpark in Paris gegen Nordirland (3 Punkte) ein Sieg her. Denn es ist damit zu rechen, dass das Team um den polnischen Superstar Robert Lewandowski gegen die punktlose Ukraine gewinnt. Sollte dem so sein, muss zudem das eine Tor „Vorsprung“ (Tordifferenz) gegenüber den Polen verteidigt werden. Mit den Fragen nach der Nullnummer, es war die erste im Turnier, sind die meisten Spieler sehr sachlich umgegangen. Da sie um die Gefährlichkeit der polnischen Offensive wussten, hätten sie eben „ein bisschen vorsichtiger agiert. Wir waren darauf bedacht, nicht in blöde Kontersituationen zu laufen“, erklärte Benedikt Höwedes, der Schalker Innenverteidiger, der mal wieder die Lösung als Außenverteidiger ist, allerdings als rechter und nicht wie bei der WM in Brasilien als linker. Für den 28-Jährigen muss sich alles wie ein Déja-vu anfühlen. Vor der WM war fraglich, ob er nach Verletzungen überhaupt dabei ist – und er wurde zum gefeierten WM-Helden. Nun hat er es wieder gerade so geschafft, fit zu werden und ist in der Abwehr gesetzt. Ob die im weiteren Turnierverlauf so bleibt wie sie ist, wird zu den Dingen gehören, die nach den ersten beiden Spielen auf dem Prüfstand stehen. Bei Höwedes stimmt viel, er bringt Zweikampfstärke und viel Biss mit. Auf der linken Seite bleibt der Kölner Jonas Hector manches schuldig, vor allem verwertbare Bälle, wenn’s Richtung gegnerisches Tor geht. Im Eins-zu-eins kommt er nicht durch, aber warum sollte er Flanken liefern, wenn in der Mitte der falsche „Neuner“ Mario Götze steht, der mit seinem 1,76 Meter kaum Kopfball-Duelle gewinnen kann? Sehr emotional hat der beste deutsche Spieler auf die brotlose Kunst seiner Vorderleute reagiert. Schon auf dem Platz ist dem „Man of the Match“, Jérôme Boateng, in der Schlussphase der Partie der Kragen geplatzt. Als es den Polen gelang, einen Freistoß in sehr guter Position zu ziehen, da entlud sich bei dem 27-Jährigen, der jenseits des Platzes die Sanftmut in der Person zu sein scheint, der ganze aufgestaute Frust. Er brüllte alle und keinen an und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Wie im Auftaktspiel gegen die Ukraine (2:0) gab es am Schluss ein Feuerwerk der Gefühle. Diesmal allerdings stieg eine Wutwolke im deutschen Strafraum auf. Ein Happy End wie im ersten Spiel, als Bastian Schweinsteiger als Joker mit seinem späten Tor noch den Abend rettete, blieb aus. Der Abpfiff war dieses Mal eine Erlösung. „Wir können froh sein, dass wir 0:0 gespielt haben. Wir müssen mal zum Abschluss kommen. Wir spielen bis ins letzte Drittel sehr gut, aber dann kommen wir nicht am Gegner vorbei und werden nicht gefährlich. Das müssen wir verbessern, sonst kommen wir nicht weit“, meinte Boateng. Löw redete hinterher auch gar nicht groß um den lauwarmen Brei herum, relativierte aber. „Für mich war es zu erwarten, dass es solche Spiele und solche Kämpfe gibt. Für die Offensive war es nicht so einfach. Die Polen haben die Räume hervorragend zu gemacht und uns in deren Hälfte relativ schnell attackiert“, meinte der 56-Jährige gelassen. Ihm und der Mannschaft würden nun schon die paar Tage bis Dienstag reichen, um die Offensive in Schwung zu bringen. Heute ist erst mal frei. Zur Erinnerung: Bei der WM folgte auf das Unentschieden im zweiten Gruppenspiel das 1:0 über die USA.

Kein Durchkommen, kein Abschluss: Mario Gomez.
x