Rheinpfalz WM-Tagebuch: Ohne Fehl und Tadel

Wehmut kommt auf. In den letzten beiden Nächten habe ich bis halb eins auf der Tribüne gesessen, quasi mutterseelenallein, denn für wen hätte mein New Yorker Nachbar James produzieren sollen? In den USA war es halb eins mittags, er hatte noch viel länger Zeit als ich bis zum Redaktionsschluss und schrieb seine Texte stets im Hotel.

Bei uns war es 18.30 Uhr am Abend, die Kollegen hatten trotzdem Muße genug, meine Texte und Bernhards Fotos rechtzeitig zu verarbeiten. Zwangsläufig habe ich die Proben für die Schlussfeier beobachtet. Sie sind ein sicheres Zeichen, dass das Ende der WM heute naht. In meinem Erleben eine WM ohne Fehl und Tadel. Schon vor sieben Jahren waren die Olympischen Spielen makellos organisiert, nun kam mir alles noch entspannter, noch sympathischer vor, weil, so sehe ich das, die Menschen offener und selbstständiger sind, bewusster und zufriedener leben, und alle, die mit dem staatlichen Apparat zu tun haben, wie Armee oder Polizei, die Verbissenheit verloren zu haben scheinen. China hat sich weiter geöffnet, der Lebensstandard hat sich deutlich erhöht, es weht westlicher Wind durch die Straßen. Zugegeben, es bleiben Internetseiten gesperrt, aber die Kommunikationsplattformen sind für die jungen Chinesen ein Segen. Jeder hat ein Handy. Das ist Normalität und kein Statussymbol wie etwa die großen teuren Autos der jungen Reichen. Und die Supermärkte bieten alles – auf dem Land sieht’s bestimmt anders aus. Deshalb wollen ja so viele in die Städte, die aus den Nähten platzen. Aber, Veränderungen zum Positiven sind nur möglich, wenn die innenpolitische Stabilität erhalten bleibt. Mit Unruhen und Protesten kann der Apparat natürlich noch nicht umgehen. Klaus D. Kullmann

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