Rheinpfalz Trauer und Taumel

Mit 99,5 Prozent wählt die Landes-SPD Ministerpräsidentin Dreyer zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl. Die Ereignisse in Paris überschatten den Parteitag in Ludwigshafen.

Mehr als fünf gefühlsgewaltige Stunden und ein sehr gutes Ergebnis für ihre Spitzenkandidatin Malu Dreyer liegen hinter den 400 Delegierten und ebenso vielen Gästen des SPD-Landesparteitages in Ludwigshafen, als Parteivizechef Alexander Schweitzer die Genossen in sakral anmutender Manier geradezu aussendet: „Gehet hin und kämpfet!“ Am 13. März 2016 wird ein neuer Landtag gewählt und die Chancen der SPD, nach 25 Jahren an der Macht zu bleiben, werden von Wahlforschern derzeit als nicht allzu hoch eingeschätzt. Vom Parteitag sollte ein Signal ausgehen, hieß es im Vorfeld bei allen führenden SPD-lern – und dann drohten die Anschläge von Paris der ganz eigenen Dramaturgie einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die halbe Nacht sei hin und her diskutiert worden, selbst die Absage der Veranstaltung war eine Überlegung, sagt Generalsekretär Jens Guth. SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel musste ohnehin in Berlin bleiben. Die Verantwortlichen entschieden sich dafür, das Gedenken an die Toten von Paris an den Anfang zu stellen – wo auch schon eine Schweigeminute für Helmut Schmidt vorgesehen ist. Malu Dreyer verurteilt das Attentat: „Es ist ein barbarischer Anschlag auf unsere offene Gesellschaft, auf unsere Demokratie und auf Europa“, sagt sie. Roger Lewentz ist zunächst als Innenminister gefragt, nicht als Parteichef. Doch so betroffen Dreyer ihre mehr als einstündige Rede beginnt, so sehr gelingt es ihr, die Stimmung im Saal zu drehen. Die Delegierten jubeln ihr zu, immer wieder wird sie von rhythmischem Klatschen unterbrochen. Ihre Themen: die Flüchtlingspolitik, natürlich. 848 Euro pro Monat werden die Kommunen ab Januar für jeden Flüchtling bekommen. „Die CDU wollte, dass wir uns nicht einigen, das ist ihr nicht gelungen, und darüber bin ich sehr, sehr froh.“ Die Genossen quittieren das mit viel Applaus – auch den Familiennachzug, den sie verteidigt, und den Vorrang der freiwilligen Ausreise vor der Abschiebung. Alles Themen, in denen die rheinland-pfälzische CDU unter Julia Klöckner eine härtere Linie fährt. Noch einen Hieb auf den Bundesinnenminister: „Wenn Thomas de Maizière 1962 die Flut in Hamburg gemanagt hätte, hätte es schlecht gestanden um diese Stadt“, sagt sie in Anspielung auf Helmut Schmidt. Dreyer kündigt die Einführung persönlicher Pflegemanager an, um den Rechtsanspruch auf Pflege umzusetzen. Und am Ende das Versprechen: „Die Menschen suchen Halt, Sicherheit, Zukunft, das gibt es bei mir.“ Die Genossen wählen sie mit 395 von 397 Stimmen zur Spitzenkandidatin. 95,5 Prozent sind das. Ihrem Vorgänger Kurt Beck fehlte vor fünf Jahren eine Delegiertenstimme. Auf ihn prasselte damals massive öffentliche Kritik ein, Nürburgring, Stellenbesetzung in der Justiz – das alles focht die Genossen nicht an. Bei der Landtagswahl verlor die SPD fast zehn Prozentpunkte. Beck, Ehrenvorsitzender der SPD, blieb dem Parteitag fern, Generalsekretär Jens Guth erwähnte ihn nicht einmal bei der Begrüßung, erst Parteichef Roger Lewentz richtete Stunden später Grüße aus. Als Dreyer vor einem Jahr ihr Kabinett radikal umgebildet hat, grollten ihr manche Genossen. Inzwischen sind es wohl deutlich weniger geworden. Auch sonst sind die Sozialdemokraten mit ihrem Führungsteam weitgehend zufrieden. Alexander Schweitzer holte mit 383 Ja-Stimmen auf Platz zwei das beste Ergebnis. Einzig Generalsekretär Jens Guth wurde mit 357 Stimmen wohl für manche Unzufriedenheit bei der Listenaufstellung abgestraft. Überraschend musste sich der Bad Dürkheimer Landtagsabgeordnete Manfred Geis (55) einer Kampfabstimmung stellen. Der Landesvorstand hatte ihn auf Platz 28 nominiert, aber der 31-jährige Abgeordnete Nico Steinbach aus der Eifel wollte ihm diesen als sicher geltenden Platz streitig machen. Steinbach argumentierte, Geis werde seinen Wahlkreis sicher wieder direkt gewinnen, während er selbst auf Platz 44 keine Chance habe. Steinbachs Gegenkandidat im Wahlkreis ist Michael Billen, der vor fünf Jahren das Direktmandat geholt hatte, obwohl sich große Teile seiner CDU gegen ihn gestellt hatten. Geis gewann das Duell gestern mit 66,6 Prozent. „Ich kann den Kollegen verstehen, bin mit allen im Reinen“, sagte er danach. Jetzt geht’s auch für ihn ans Aufstehen und kämpfen.

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