Rheinpfalz Oft zart, manchmal hart

Es ist Walter Sittlers erster Besuch beim Festival des deutschen Films auf der Ludwigshafener Parkinsel, doch die Region kennt er gut. Immerhin begann der 62-Jährige seine Schauspielkarriere 1981 am Mannheimer Nationaltheater. „Seitdem hat sich in Mannheim viel verändert, aber auch in Ludwigshafen. Die Stadt hat viel dazugewonnen“, hat er bemerkt. Sittler denkt gern an seine Zeit in der Kurpfalz zurück – 13 Jahre lebte er in der Quadratestadt, eins seiner drei Kinder wurde hier geboren. Eigentlich wollte Sittler nach dem Abitur Medizin studieren, doch er bekam keinen Studienplatz. Zur Schauspielerei kam er durch Zufall, als er einen Freund besuchte, der an der Falkenberg-Schule für Schauspiel in München die Regieklasse absolvierte. Spontan entschloss sich der in Chicago geborene Sohn einer deutschen Lehrerin und eines amerikanischen Literaturprofessors, die Aufnahmeprüfung zu machen. „Ich habe bestanden, das gab den Ausschlag“, gibt er ehrlich zu. 1988 verließ Sittler Mannheim und ging ans Stuttgarter Staatstheater. Seine erste große TV-Rolle bekam er 1994 als Hoteldirektor Ronaldo Schäfer in der Serie „Girlfriends“ mit Mariele Millowitsch, die von 1994 bis 1997 lief. Seitdem ist er regelmäßig in Filmen und TV-Serien zu sehen, doch er hat nie aufgehört, Theater zu spielen: „Die Bühne ist meine berufliche Heimat.“ Millowitsch und Sittler wurden schnell zu Publikumslieblingen bei „Girlfriends“ und standen auch in der Comedy-Serie „Nicola“ (1997 bis 2005) gemeinsam vor der Kamera. „Die Chemie zwischen uns hat vom ersten Tag an gestimmt“, erinnert er sich. Sittler verkörperte wieder den Vorgesetzten, diesmal als Chefarzt. Die Rolle des distinguierten und zuweilen überheblichen Chefs liegt ihm. Allein schon durch seine Größe von mehr als 1,90 Meter und durch das graumelierte Haar strahlt er eine gewisse Autorität aus. Das macht ihn irgendwie zum perfekten Fernseh-Kommissar. Zumindest in der Rolle des deutschen Ermittlers Robert Anders, der auf der beschaulichen schwedischen Insel Gotland lebt und dort seit knapp zehn Jahren Mörder und sonstige Übeltäter dingfest macht. Zwei Folgen pro Jahr strahlt das ZDF aus. Die Rolle bietet für einen Schauspieler viele interessante Aspekte, findet Sittler: „Als Kommissar kannst du überall hingehen: zu armen Leuten, zu reichen Leuten, sogar ins Bordell. Das hat etwas Voyeuristisches.“  Neun Wochen im Jahr verbringt er auf Gotland, dann werden beide Episoden am Stück gedreht. Die Ostsee-Insel ist für den Wahl-Stuttgarter zur zweiten Heimat geworden, die Kollegen – unter ihnen Pippi Langstrumpf-Darstellerin Inger Nilsson als Gerichtsmedizinerin – zu guten Freunden. „Die Drehs sind immer ein schönes Wiedersehen“, erzählt Sittler, der auch längst dem Charme der Insel erlegen ist: „Ich war jetzt schon sehr oft dort, und doch entdeckt man immer wieder etwas Neues.“  Die landschaftliche Schönheit des Drehorts macht für ihn einen Teil des Erfolgsgeheimnisses von „Der Kommissar und das Meer“ aus. Einen anderen Teil sieht er in der Dramaturgie. „Im Vordergrund steht nicht das Verbrechen, sondern das menschliche Drama. Die Gewalt ist nicht offensichtlich, sondern läuft auf einer anderen Ebene ab. Bis jetzt habe ich in allen Folgen beispielsweise nur zwei Mal meine Waffe benutzt. Das macht Til Schweiger im ,Tatort’ innerhalb von zwei Minuten“, sagt er. Robert Anders’ Privatleben indes wird in der Krimi-Serie viel Platz eingeräumt: Er ist nicht nur Polizist, sondern auch liebevoller Ehemann und Vater. Das unterscheidet Sittlers Kommissar von vielen anderen TV-Mörderjägern, die geschieden, deprimiert, betrunken oder traumatisiert sind. Das schafft für den Zuschauer eine gewisse Wohlfühl-Atmosphäre, aller Verbrechen zum Trotz.  Als Sittler sich dann gegen den geplanten Tiefbahnhof und das Projekt Stuttgart 21 engagierte, nahmen ihm das viele Menschen übel. Der Publikumsliebling wurde unbequem. Seine Popularität bescherte der Protestbewegung mediale Aufmerksamkeit. Dass es dafür Kritik geben würde, damit habe er gerechnet, sagt Sittler. Dass sie so unter die Gürtellinie gehen würde, damit nicht: „Man wollte mich mundtot machen. Aber es ging dabei nicht um mich als Person, das habe ich nach einer Weile erkannt.“ Walter Sittler bereut seinen Einsatz für Stuttgarts Kopfbahnhof nicht: „Ich würde es jederzeit wieder machen. Ich habe viel darüber gelernt, wie Politik funktioniert.“ Auch heute noch reagiert er emotional, wenn man ihn auf das Thema S 21 anspricht: „Vieles von dem, was wir prognostiziert haben, ist doch eingetroffen“, sagt er mit harter Stimme und blitzenden Augen. Beispiele gefällig? „Die Kostenexplosion und die Probleme beim Bau.“ Von der politischen Bühne hat sich Sittler zurückgezogen. Es sind nun soziale Themen, die ihn umtreiben: Kinder und ihre Rechte. Dafür geht der Schauspieler nicht auf die Straße, sondern dreht seit Jahren gemeinsam mit seiner Frau Sigrid Klausmann-Sittler Dokumentarfilme, bei denen er auch als Produzent tätig ist. Ihr aktuelles Projekt heißt „199 kleine Helden“ und begleitet Kinder aus aller Welt auf ihrem langen, oft gefährlichen Schulweg durch ein indisches Rotlichtviertel, über eine Brandrodungsfläche in Laos oder durch irakisches Kriegsgebiet. Die „kleinen Helden“ erzählen dabei von ihren Wünschen und Träumen. Sittler will ihnen damit eine Stimme geben: „Sie haben keine Lobby, dabei müssen sie später doch mal den Laden schmeißen.“

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